Wasser aus der Kläranlage:Sauber, aber nicht rein

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Viele giftige Stoffe, die über das Abwasser in natürliche Gewässer strömen, sind mit der herkömmlichen Technik der Kläranlagen nicht in den Griff zu bekommen. Wissenschaftler wollen nun mit radikalen und exotisch anmutenden Methoden die vollständige Entgiftung erreichen.

Andrea Hoferichter

Wenn Chemiker der Universität Jena eine neue Methode zur Abwasserreinigung testen, klingt es wie beim Zahnarzt: Es zischt und piept mit hoher Frequenz. Mit einer Düse und einem Ultraschallgerät erzeugen die Forscher Druckschwankungen in einem wassergefüllten Glaszylinder. Dabei entstehen winzige Wasserdampf-Blasen, die so energiereich wie kurzlebig sind. "Wo sie wieder in sich zusammenfallen, kann es um 5000 Grad Celsius heiß werden", sagt Patrick Bräutigam, der die Tests betreut.

Kläranlagen reinigen das Abwasser - doch manche giftigen Stoffe gelangen trotzdem in die Umwelt. (Foto: DAH)

Bei diesen Temperaturen zerfallen die umliegenden Wassermoleküle in chemisch besonders aggressive Hydroxylradikale, die selbst schwer abbaubare Stoffe im Abwasser zerlegen können. Der reinigende Blasenkollaps heißt Kavitation und wird auch von Optikern genutzt, wenn sie Brillen im Ultraschallbad säubern oder - in der Natur - von Knallkrebsen, die die Bläschen mit schnellen Scherenbewegungen erzeugen und so ihre Beute betäuben.

Dass Wissenschaftler auf solche exotisch anmutenden Methoden zur Abwasserreinigung zurückgreifen, hat einen guten Grund: Viele umweltschädliche und giftige Stoffe, die über das Abwasser in natürliche Gewässer strömen, sind mit herkömmlicher Technik nicht in den Griff zu bekommen.

Sie passieren konventionelle Kläranlagen weitgehend unverändert und werden in Flüssen, Seen und mitunter sogar im Trinkwasser gefunden. Dazu zählen Dioxine aus der Papier- und Chemieindustrie, Fluorkohlenstoffverbindungen aus Flammschutzmitteln und Hydraulikölen, Pflanzenschutz- und Arzneimittel.

Zwar gilt die chemische Qualität von Gewässern heute mehrheitlich als gut, doch die Erklärung dafür ist einfach. "Nach der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie werden von Tausenden möglichen Schadstoffen zurzeit nur 33 überwacht", moniert Rolf Altenburger vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig. Zudem handelt es sich um Substanzen, die heute wirtschaftlich kaum noch eine Rolle spielen und in vielen Ländern oder sogar weltweit nicht mehr zugelassen sind. Eine Ergänzung der Rahmenrichtlinie wird zurzeit diskutiert.

Als besonders kritisch gelten Medikamente, manche Antibiotika, Pflanzen- oder Holzschutzmittel. "Diese Stoffe sind dafür gemacht, Zellen oder Organismen gezielt zu zerstören. Deshalb können sie schon in sehr kleinen Konzentrationen großen Schaden anrichten", sagt Altenburger. Ein Beispiel sei die Abnahme männlicher Forellen in natürlichen Gewässern. Schuld könnten die östrogenartigen Wirkstoffe der Antibabypille sein.

"Es geht hier aber nicht nur um einzelne Stoffe, die immer mal wieder für Schlagzeilen sorgen, sondern um ganze Chemikaliencocktails, von denen noch niemand weiß, wie sie wirken", sagt der Ökotoxikologe. Komplexer wird das Thema dadurch, dass sich je nach Ökosystem die unterschiedlichsten Abbauprodukte im Wasser bilden können.

Thomas Ternes von der Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG) in Koblenz nennt einen weiteren kritischen Faktor: "Manche Stoffe gehen aus der biologischen Reinigungsstufe konventioneller Kläranlagen leicht verändert hervor. Sie sind dann oft wasserlöslicher als die Ausgangssubstanzen und können in einigen Fällen sogar toxischer sein." Kläranlagen sollen heute vor allem den Nährstoffeintrag in die Gewässer verringern. Die Mikroorganismen, mit denen sie arbeiten, sind deshalb vor allem auf den Abbau von Stickstoffverbindungen, Phosphaten und leicht abbaubaren, organischen Substanzen spezialisiert.

Im Rahmen des europäischen Exzellenzprojekts Athene suchen die BfG-Forscher und Wissenschaftler des Schweizer Wasserforschungsinstituts Eawag jetzt nach einem Mikrobenmix mit Breitbandwirkung, der auch schwer abbaubare Stoffe bewältigt. Außerdem wollen sie die Abbauprodukte verschiedener Substanzklassen analysieren, und zusammen mit Forschern der Universität Frankfurt untersuchen, wie umweltschädlich diese sein können. Das Projekt steht allerdings, wie auch die Kavitationsmethode der Jenaer Forscher, noch am Anfang. "Zurzeit ist das reine Grundlagenforschung", betont Ternes.

Schnellere Lösungen könnten Verfahren liefern, die sich bei der Aufbereitung von Trinkwasser schon etabliert haben. Im Verbundprojekt TransRisk des Bundesforschungsministeriums testen Wissenschaftler gerade eine Pilotanlage zur Ozonierung von Abwasser. Die Verbindung aus drei Sauerstoffatomen ist ein starkes Oxidationsmittel und kann auch hartnäckige Schadstoffe zerstören. Allerdings bilden sich Ternes zufolge mitunter giftige Abbauprodukte.

Eine Alternative ist der Einsatz von Aktivkohle. In den Poren des schwammartigen Kohlenstoffs bleiben die problematischen Substanzen hängen. Setzt man das Verfahren als zusätzliche Stufe einer Kläranlage ein, muss die verunreinigte Kohle zusammen mit dem Klärschlamm entsorgt und verbrannt werden. "Das Verfahren ist etwas aufwendiger und erfordert Neuregelungen in den Bundesländern, in denen Klärschlamm zum Düngen der Felder eingesetzt wird", sagt Ternes.

Im EU-Projekt Pills prüfen Forscher der Emschergenossenschaft im Ruhrgebiet zurzeit eine Kombination aus Ozonierung, Aktivkohle und Membranfiltration, bei der Abwasser durch Folien mit winzigen Löchern gepresst wird. Die Pilotanlage am Gelsenkirchener Marienhospital ist seit Sommer letzten Jahres in Betrieb und soll die Arzneistoffe aus dem Abwasser entfernen, quasi direkt an der Quelle.

"Wir haben für manche Stoffe Entfernungsraten von deutlich über 90 Prozent, aber keines der Verfahren und keine Kombination kann alle Schadstoffe eliminieren", sagt der Leiter des Projektes Issa Nafo. Ähnlich falle das Fazit der Partnerprojekte in den Niederlanden, in der Schweiz und in Luxemburg aus. Hier werden Schadstoffe aus Klinikabwässern unter anderem mit Hilfe von UV-Licht und des Photokatalysators Titandioxid elektrochemisch zersetzt. "Diese Methode ist allerdings stromintensiv und deshalb besonders teuer", sagt Nafo. Im September wollen die Forscher einen gemeinsamen Abschlussbericht präsentieren.

Trotz aller Bemühungen ist eine perfekte Lösung für das Abwasserproblem daher noch nicht in Sicht. Das Ziel der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie, nach der bis 2015 alle EU-Gewässer im umfassenden Sinn in einem "guten Zustand" sein sollen, gilt ohnehin als nicht mehr erreichbar. Der Helmholtz-Forscher Rolf Altenburger schätzt: "Zumindest was ökologische Kriterien wie zum Beispiel Fischbestände betrifft, werden zwei Drittel der Gewässer das Ziel verfehlen."

© SZ vom 12.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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