Wahre Welt:Der Wein aus dem Meer

Deutsche Meeresbiologen haben den weltweit ersten Algenwein entwickelt. Sein Anbaugebiet ist die Ostsee, genauer: die Eckernförder Bucht. Ob das wohl schmeckt?

Nicola Holzapfel

Der beste Moment kommt vor dem ersten Schluck. Die Flasche liegt angenehm in der Hand, der Wein füllt das Glas nach und nach mit seiner irritierend gelbgrün-trüben Farbe und ebenso neugierig wie fasziniert führt man das Glas zum Mund - vollkommen darauf eingestellt, nun eine Sensation zu erleben.

Der erste Algenwein. "Was?", "Uäh", "Ihh". Die Reaktionen sind einhellig skeptisch. Als stünde schon fest, dass ein Wein aus dem Meer unmöglich schmecken kann.

Dabei hat er alles, was einen Wein ausmacht: Die Algen wurden vermaischt, mit Hefe versetzt und dann bei Raumtemperatur gelagert. Zwölf Monate lang ist er gereift. Sein Alkoholgehalt liegt bei 13 Prozent. Sein Name ist: Laminaria, wie die Alge, aus der er gewonnen wird.

Drei Jahre lang haben Meeresbiologen experimentiert, um den Algenwein zu schaffen. Die Firma O'Well betreibt an der Ostsee Deutschlands erste Algenfarm. Braunalgen werden im Labor vorgezüchtet und im Herbst an Leinen ins Meer gehängt. Die Ernte im Frühsommer übernehmen Taucher. Aus den Algen gewinnen die Naturwissenschaftler Extrakte, mit denen unter anderem Kosmetika hergestellt werden. Der Wein ist dabei nur ein Nebenprodukt.

Als "der Trockene aus dem Meer" wird er nun "für gesundheitsbewusste Genießer mit dem Hang zum Exklusiven" zum Verkauf angeboten. Die Gesundheitsschiene funktioniert, weil Algen für ihre Wirkstoffe bekannt sind. Für den Wein wird unter anderem mit seinem "hohen Mineraliengehalt" geworben.

Dazu ist sein Anbaugebiet auch noch "meeresökologisch kontrolliert". Darüber hat das Unternehmen eine Bestätigung vom Umweltministerium Schleswig-Holstein erhalten. Ein Biosiegel, wie es sich die Meeresbiologen gewünscht hatten, gibt es für Algenfarmen nicht.

Einen "Hang zum Exklusiven" braucht man wohl, wenn man sich eine Flasche Algenwein zum Preis von 30 Euro für den halben Liter besorgt. Denn einen Genuss im eigentlichen Sinn bietet der Wein nicht. Vielmehr, naja, irritiert er die Geschmacksnerven. Schon der Geruch ist fremd. Es fehlt das Weiche, das Wein sonst verspricht. Der Geschmack ist intensiv bis zur Schärfe, im Abgang ziemlich salzig. Im Mund ist er voll bis füllig. Das Liebliche geht ihm völlig ab. Dafür kann man ihm eines tatsächlich nicht absprechen: "Charakter hat er", heißt es denn auch auf dem Etikett.

Die Meeresbiologin Inez Linke, die den Algenwein mitentwickelt hat, kennt die Reaktionen beim ersten Kosten. "Viele reagieren skeptisch. Unter Wein stellt man sich geschmacklich etwas anderes vor." Sie schlägt vor, ihn in einem kleinen Glas zum Essen oder als Digestif zu reichen.

Aladin entspricht eher den Erwartungen. So haben die unkonventionellen Weinbauern ihren Algen-Sherry genannt. Zwei Jahre lang ist er gereift. Von Farbe und Körper her erinnert er an einen Oloroso oder zumindest Amontillado. Vom Geschmack her allerdings an einen trockenen Fino-Sherry oder sogar an einen salzigen Manzanilla.

Mehrere tausend Flaschen Algenwein produziert das Unternehmen im Jahr. In Deutschlands Norden experimentieren nun Köche und Wellness-Hotels mit dem Meereswein. Möglicherweise kommt er dort auch als Cocktail auf den Tisch. Tatsächlich schmeckt eine Apfelsaftschorle mit einem (wohl dosierten) Schuss Laminaria ganz gut. Das hat was.

Wahrscheinlich wird der Algenwein Wellness-Freunden und Neugierigen vorbehalten bleiben. Denn O'Well plant gar nicht, Laminaria überregional zu vermarkten. Auf Anfragen zum Algenwein reagiert das Unternehmen denn auch eher zurückhaltend. Schließlich sei das Hauptprodukt eine Kosmetik-Serie. Doch während der Algenwein für Überraschung sorgt - "Die meisten fragen erst einmal nach, ob das ein Gag ist", sagt Linke - sind Cremes mit Algenwirkstoffen nichts Neues. Immerhin hat die Firma eine Marktnische gefunden, weil nach Richtlinien der Naturkosmetik produziert wird.

Außerdem finanziert sich das Unternehmen über Forschungsaufträge. Zurzeit beschäftigen sich die Wissenschaftler mit Meeres-Collagen. Möglich, dass über die Laborarbeit einmal wieder eine Produkt-Idee abfällt. "So ist auch O'Well entstanden. Wir wollten aus Forschungsergebnissen Erlebbares machen", sagt Inez Linke.

Und das ist ihnen mit dem Algenwein nun wirklich gelungen. Ein Erlebnis ist er, der Laminaria. Zum Wohl!

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