Verkehrspsychologie:Was für und gegen Fahrradhelme spricht

Über Fahrradhelme wird leidenschaftlich gestritten. Aber eigentlich geht es dabei kaum um Sicherheit.

Kommentar von Sebastian Herrmann

Es existiert nur ein einziges brauchbares Argument gegen Fahrradhelme: Es sieht beknackt aus, die Schädelschalen aus Hartschaum zu tragen. Radler bewegen sich ja ohnehin oft als ästhetische Herausforderung durch das Stadtbild - Funktionswäsche in Signalfarben, wurstpellenartige Hosen und als endgültige Demütigung dieses Plastikding auf dem Kopf.

Die Ästhetik, darum geht es eigentlich in den oft wütenden Debatten über den Wert eines Fahrradhelms: Gegner empfinden es eben als Zumutung Frisur und Würde unter den Plastik-Dingern zu verbergen und begeben sich auf die Suche nach Argumenten, um ihre Haltung zu stützen. So, das sei an dieser Stelle kurz beschwichtigend eingeworfen, funktionieren alle Menschen. Am Anfang steht eine diffuse Meinung, erst dann erst beginnt die Suche nach passenden Argumenten.

Sollte man Sicherheitsgurte, ABS und Airbag etwa wieder aus Autos verbannen?

Beim Helmstreit lautet nun ein häufig in den Ring geworfener Punkt, dass die Schädelschale zu waghalsigem Verhalten anstachele. Das Phänomen trägt den wenig ästhetischen Namen "Risikohomöostase" und ist gut belegt. Als das Anti-Blockier-System ABS in Autos eingeführt wurde, bauten die ersten Testfahrer mehr statt weniger Unfälle - sie fühlten sich zu sicher und rasten enthemmter durch die Straßen. Auch für Sicherheitsgurte existieren Studien, in denen bei angeschnallten Fahrern erhöhte Risikofreude beobachtet wurde. Behelmte Radler zeigten in Versuchen ebenfalls diese Neigung. Und jetzt veröffentlichen Forscher in Psychological Science eine Arbeit, die noch mehr zeigt: Ein Helm verleitet zu besonderer Gefahrensuche, selbst wenn der Träger nicht auf dem Rad sitzt und etwas Fahrradfremdes macht.

Trotz dieser Befunde sollten Radler das ästhetische Wagnis Helm eingehen. Erstens ist unklar, ob ein Gewöhnungseffekt einsetzt und sich die Risikofreude bei Dauerhelmträgern wieder auf Normalniveau einpendelt. Zweitens schützt das Ding eben doch vor schlimmen Kopfverletzungen, das ist ebenso gut belegt, wie das Phänomen Risikohomöostase. Und wer fordert eigentlich, Sicherheitsgurte aus Autos auszubauen, künftig wieder auf ABS, Airbag und Seitenaufprallschutz zu verzichten, nur weil diese Techniken unter Laborbedingungen die Risikobereitschaft der Fahrer erhöhen? Niemand - denn diese Hilfsmittel verbessern zugleich die Sicherheit des Fahrers.

Dass es bei Motorradhelmen übrigens keine ähnlich scharfe Streiterei wie über Radhelme gibt, hat vielleicht auch einen ästhetischen Grund: Motorradhelme gewähren Anonymität. Es ist nicht zu erkennen, wer sich unter diesem bunten Topf mit Visier verbirgt. Und deshalb stellen sich diese Helmträger auch nicht so an.

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