Verkehr:Sicherheitsrisiko Smartphone

  • Bad Aibling ist kein Einzelfall, auch bei Zugunglücken in Spanien und den USA nutzten die Verantwortlichen kurz vorher noch ihre Handys.
  • Im Straßenverkehr sind Smartphones ein Hauptgrund für Unfälle: Einer Studie zufolge wird jeder dritte Unfall von abgelenkten Fahrern verursacht.
  • Vor Gericht ist die Ablenkung durch das Smartphone schwer nachzuweisen.

Von Lisa Schnell und Christoph Behrens

Der Urlaub ist erst richtig gut, wenn die Fotos bei Facebook hochgeladen sind, Konzerte sieht man eigentlich nur noch durch die Bildschirme von Handys, die in die Luft gehalten werden. Noch ein Foto gemacht, schnell noch geantwortet, die Musik gewechselt. Das Smartphone ist überall mit dabei, in der U-Bahn, auf der Straße, im Auto. Es ist Telefon, Kamera, Zeitung, Computer. Praktisch, aber offenbar immer öfter auch tödlich. Weil der Blick von Autofahrern, Fußgängern oder Lokführern am Bildschirm hängt, gibt es immer wieder schwere Unfälle wie das Zugunglück von Bad Aibling Anfang Februar in Bayern.

Zwölf Menschen starben, 84 wurden verletzt, wohl auch wegen eines Handys. Nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in Traunstein soll der Fahrdienstleiter auf seinem Telefon ein Online-Computerspiel gestartet haben. Deshalb realisierte er vermutlich nicht, dass die zwei Züge mit hoher Geschwindigkeit aufeinanderzurasten, deshalb gab er wohl falsche Signale, setzte den falschen Notruf ab.

Nicht nur in Bad Aibling haben Handys ein Zugunglück verursacht

Es ist nicht das einzige tragische Zugunglück, bei dem Menschen wahrscheinlich deshalb starben, weil andere mit ihrem Telefon beschäftigt waren. Im Juli 2013 entgleiste in Spanien ein Zug in der Nähe von Santiago de Compostela. Mit mehr als 190 Kilometern pro Stunde raste er aus einem Tunnel in eine Kurve, für die eigentlich nur 80 km/h vorgesehen sind. 80 Menschen starben, 144 wurden verletzt. Zwei Minuten vor dem Zusammenstoß plauderte der Zugführer am Telefon mit einem Bahnmitarbeiter. Er vergaß, die Geschwindigkeit zu drosseln, übersah Signale. Dabei kannte er die Strecke, er war sie schon 59-mal gefahren, doch ein kurzer Moment der Ablenkung reichte offenbar.

In den USA gab es 2008 ein ähnliches Unglück. Der Lokführer übersah ein Stoppsignal, der Zug prallte frontal mit einem Güterzug zusammen. Laut den offiziellen Untersuchungen hatte er an dem Nachmittag mehrere Textnachrichten empfangen und verschickt, die letzte eine Minute vor dem Crash an einen Bekannten. 25 Menschen starben.

Auch im Straßenverkehr sind Smartphones eine Hauptursache für Unfälle

Nicht nur auf der Schiene, auch im Straßenverkehr werden Smartphones von Experten mittlerweile zu einem der Hauptgründe für Unfälle erklärt. Die aussagekräftigste Studie zu diesem Thema wurde in den USA erarbeitet. Dort haben Forscher der Universität Virginia das Fahrverhalten von 3500 Autofahrern über einen Zeitraum von drei Jahren beobachtet. Sie fanden heraus, dass die Fahrer sich nicht einmal die Hälfte der Zeit auf die Straße konzentrierten, gut zehn Prozent der Fahrtzeit hantierten sie mit elektronischen Geräten wie Smartphones. Dazu kommen andere Nebentätigkeiten wie Essen oder Körperpflege. Abgelenkte Fahrer sind laut US-Forschern deshalb für jeden dritten Unfall verantwortlich. Das Schreiben einer SMS erhöhe das Unfallrisiko um das Sechsfache im Vergleich zum konzentrierten Zustand, das Eingeben von Telefonnummern bringe das zwölffache Risiko mit sich.

Auf Deutschland übertragen, wären damit Fahrer, die nebenher ihr Smartphone bedienen, für mehr als 50 000 Verkehrsunfälle pro Jahr verantwortlich. Das Auto wird immer sicherer, der Mensch zur immer größeren Gefahr. Falls nichts unternommen werde, warnt der Verkehrswissenschaftler Tom Dingus von der Universität Virginia, seien die kommenden Generationen noch stärker durch Ablenkung gefährdet.

Handy am Steuer, das ist für viele normal

"Die jüngere Generation kann kaum länger als eine halbe Stunde dem Smartphone widerstehen", sagt Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer (UDV). "Es ist wie ein Drogenentzug. Sie schaffen es nicht." Der Gefahren sei sich aber kaum jemand bewusst. Handy am Steuer, das ist für viele normal. Von 1,3 Milliarden Handydelikten im Jahr geht der deutsche Verkehrsgerichtstag aus.

Eine Studie der TU Braunschweig hat ergeben, dass mehr als acht Prozent der beobachteten 12 000 Fahrer gerade mit ihrem Telefon beschäftigt waren. Wie viele Unfälle dadurch verursacht wurden, dazu fehlen die Zahlen. Die deutschen Behörden erfassen Ablenkung als Unfallursache nicht. Langzeitstudien fehlen, weil sie aufwendig sind. An der Gefahr von Smartphones im Straßenverkehr zweifelt aber niemand.

Wer auf sein Telefon blickt, ist laut UDV so abgelenkt, als hätte er 0,8 Promille. Wenige Sekunden können verheerend sein. Etwa 14 Meter legt ein Auto bei 50 km/h in einer Sekunde zurück, 14 Meter, in denen die Fahrer blind unterwegs sind, in denen ein tödlicher Unfall passieren kann, so wie 2014 auf einer Landstraße bei Stuttgart. Die Fahrerin las und schrieb auf ihrem Handy. Die zwei Rennradfahrer vor ihr sah sie nicht. Einer von ihnen starb. Ihr Handy wurde ausgewertet, den meisten kann aber nicht nachgewiesen werden, dass sie von ihrem Telefon abgelenkt waren.

Wer vom Handy abgelenkt ist, kommt vor Gericht meist besser davon

Viele kämen vor Gericht deshalb besser davon, sagt Jürgen Fritschi, Fachanwalt für Verkehrsrecht in München. In New York sollen Fahrer nach einem Unfall auch ihr Handy zur Auswertung abgeben. In Deutschland ist das aus Datenschutzgründen nur selten möglich. Zivilrechtlich droht eine Ordnungswidrigkeit von 60 Euro. Laut dem Deutschen Verkehrsgerichtstag werde aber nur jeder dreitausendste Verstoß geahndet. Die "Warn- und Abschreckungsfunktion" sei damit nicht erfüllt, sagt Ulrich Lange, verkehrspolitischer Sprecher der Union. Es bräuchte mehr Aufklärung, vor allem unter jungen Leuten.

Auch für Fußgänger ist das Risiko hoch, wie das Beispiel von Familie Boenke aus München zeigt. Tobias Boenke verlor seine 15-jährige Schwester wegen einer Unachtsamkeit. Anfang März ging sie über eine Straße zur Trambahn, in den Ohren Kopfhörer, den Blick auf ihrem Telefon. Das Bimmeln der Bahn hörte sie nicht. Sie wurde mitgeschleift und starb. Jeder sechste Fußgänger ist irgendwie mit seinem Handy beschäftigt. Mehr als 15 Prozent tippen, telefonieren oder hören Musik, wenn sie die Straße überqueren. So das Ergebnis einer europaweiten Studie der technischen Prüfstelle Dekra. Seit dem Tod seiner Schwester bleibt Boenke immer stehen, wenn er eine Nachricht bekommt. "Ich würde jedem raten zu überlegen, ob es Sinn macht, wegen so etwas sein Leben zu riskieren", sagt er.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: