Verhaltensbiologie:Schwarze Federn, schwarze Seele

Verhaltensbiologie: Raben pflegen enge, oft über viele Jahre währende Freundschaften zu Artgenossen - dennoch verhalten sie sich nicht prosozial.

Raben pflegen enge, oft über viele Jahre währende Freundschaften zu Artgenossen - dennoch verhalten sie sich nicht prosozial.

(Foto: Graham Barclay/Bloomberg News)

Rabenvögel sind blitzgescheit, sie lernen rasch, stellen Werkzeuge her und erkennen Menschen wieder. Ein Sinn für Empathie fehlt den Tieren hingegen, wie Wissenschaftler nun feststellen.

Von Katrin Blawat

Wenn es überhaupt Streber unter den Tieren gibt, dann sind sie schwarzgefiedert, haben einen kräftigen Schnabel und krächzen ihr "kraak-kraak" lauthals in die Welt. Rabenvögel sind blitzgescheit - das sagen nicht nur Volkserzählungen und Märchen, sondern auch Wissenschaftler. Kolkraben, Krähen, Elstern und Dohlen lernen schnell, stellen geschickt Werkzeuge her und erkennen noch nach Jahren Menschen wieder, mit denen sie schlechte Erfahrungen gemacht haben. Geht es aber ans Gefühlige, dann verstummen die Lobpreisungen auf diese Vögel. Diebisch und gemein sollen sie sein, und als "Rabeneltern" möchte auch niemand beschimpft werden. Letzteres ist zwar ungerecht den Vögeln gegenüber, denn beide Elterntiere kümmern sich tadellos um ihren Nachwuchs. Doch ein Fitzel Wahrheit ist wohl dran am Ruf des Raben, sich wenig um das Wohlergehen seinesgleichen zu scheren. "Raben dürften verdientermaßen als "gemein" bezeichnet werden" - so urteilt eine Gruppe Wissenschaftler, die prosoziales Verhalten von Kolkraben untersucht hat (Animal Behaviour, Bd. 123, S. 383, 2017).

Unter prosoziales Verhalten fällt zum Beispiel, einem Artgenossen etwas Gutes zu tun, ohne selbst daraus einen unmittelbaren Nutzen zu ziehen. Dazu muss man erkennen, was der andere gerne hätte - und oft etwas Anstrengung in Kauf nehmen, um es ihm zu verschaffen. So ist prosoziales Verhalten ein Ausdruck von Empathie, also der Fähigkeit, Mitgefühl für andere zu empfinden.

Auf diesem Gebiet aber hatten die neun Kolkraben in der Studie von Megan Lambert von der University of York und ihren Kollegen nicht viel zu bieten. Für die Tests saßen die Vögel im mittleren von drei Abteilen, die mit durchsichtigen Scheiben voneinander getrennt waren. Das linke Abteil war leer, im rechten saß ein Artgenosse. Dieser war dem Test-Vogel je nach Versuchsdurchgang gut bekannt oder fremd. Der Test-Rabe konnte wählen, ob er - indem er mit dem Schnabel an einer Schnur zog - eine gefüllte Futterschüssel entweder in das leere Abteil oder in jenes mit dem anderen Vogel verschob. Der zu testende Rabe bekam in keinem Fall Futter.

Das Wohlwollendste, was sich über das Verhalten der Raben sagen lässt, ist dies: Immerhin verschoben sie das Futter nicht in 100 Prozent der Fälle in das leere Abteil. Allerdings bevorzugten sie auch das Abteil mit ihrem hungrigen Artgenossen nicht. Die Raben schienen sich schlicht nach dem Zufallsprinzip für eine der beiden Seiten zu entscheiden - nicht eben das, was als Fürsorge für Seinesgleichen gilt. Oft hörten die Vögel irgendwann ganz auf, an der Schnur zu ziehen - warum sich auch bemühen, wenn nichts für einen selbst herausspringt?

Ratten kümmern sich aufopfernd um Artgenosse in Not, sofern sie die anderen Tiere gut kennen

Es spielte auch keine Rolle, ob im Nachbarabteil ein fremder oder ein befreundeter Rabe saß. Dabei sind gerade diese Vögel bekannt für ihre engen Freundschaften und Zweierbeziehungen, die oft ein Leben lang halten. Die indifferente Haltung dem benachbarten Artgenossen gegenüber war bei allen neun Test-Raben ähnlich stark ausgeprägt. Das spricht dafür, dass Raben generell wenig Sinn haben für prosoziales Verhalten - auch wenn die Autoren selbst betonen, ihre Ergebnisse müssten wegen der kleinen Stichprobe von anderen Forschern noch bestätigt werden.

Dafür haben Lambert und ihre Kollegen einigen anderen Kritikpunkten vorgebeugt, die häufig an Studien zu prosozialem Verhalten bei Tieren geäußert werden. So sei oft nicht sichergestellt, dass die Tiere wirklich verstanden haben, was von ihnen erwartet wird. Um dieses Problem zu vermeiden, absolvierte jeder Rabe in der aktuellen Studie ein vierstufiges Training, an dessen Ende er beweisen musste, dass er alles Wichtige begriffen hatte.

Womöglich seien Verständnisprobleme auch einer der Gründe dafür, so vermuten die Autoren, dass die selbe Tierart je nach Studie mal prosoziales Verhalten zeige und mal nicht - obwohl es sich manchmal sogar um dieselben Individuen handelte. Derart verwirrend sieht die Datenlage auch für Primaten aus, für die es die meisten Studien zu dieser Frage gibt. Schimpansen, Kapuzineraffen, Makaken und Weißbüschelaffen unternehmen je nach Studie einiges, um einem Artgenossen zu einem Leckerbissen oder einer anderen Wohltat zu verhelfen - anderen Untersuchungen zufolge hingegen ist ihnen das keinerlei Mühe wert. Erschwerend kommt hinzu, dass nicht alle Wissenschaftler unter den Begriffen prosoziales Verhalten und Empathie exakt das Gleiche verstehen. "Deshalb besteht kein Konsens darüber, ob diese Arten prosoziales Verhalten zeigen oder nicht", sagt Lambert.

Doch bei aller Rücksicht auf methodische Schwierigkeiten: Sie allein erklären das gleichgültige Verhalten der Raben nicht. Schließlich stehen die Forscher bei allen Tieren vor den gleichen Problemen, haben aber für einige Arten dennoch stärkere Hinweise auf prosoziales Verhalten gefunden. Vorzeige-Probanden auf diesem Gebiet sind Ratten: Sie befreien Artgenossen aus einer Röhre, ohne dafür mit Futter belohnt zu werden. Doch kümmerten sich die Nager vor allem um vertraute Artgenossen - fremde ließen sie hingegen kalt, wie ein Team um Inbal Ben-Ami Bartal von der University of Chicago gezeigt hat.

Die Blauelster könnte so etwas wie die gefühlvolle Ausnahme unter den Rabenvögeln sein

Doch lassen auch diese Ergebnisse Raum für Spekulation. Während Ben-Ami Bartal und ihre Kollegen das Verhalten der Ratten als Ausdruck von Empathie deuten, sieht Alan Silberberg von der American University in Washington D.C. darin lediglich den Wunsch der frei laufenden Ratte nach sozialer Nähe. In dem Fall würde sie den eingesperrten Artgenossen befreien, um ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Wo Altruismus aufhört und Eigennutz beginnt - und ob eine derart strikte Trennung überhaupt sinnvoll ist - darüber haben Biologen, Psychologen und Philosophen noch viel zu diskutieren.

Doch wie man es auch dreht und wendet: Für prosoziales Verhalten bei den blitzgescheiten Rabenvögel spricht kaum etwas. Auch frühere Studien haben schon in diese Richtung gewiesen; einzig die Blauelster könnte jüngsten Erkenntnissen zufolge aus der gleichgültigen Masse der Rabenvögel herausragen.

Das nicht sonderlich fürsorgliche Verhalten der Raben in Futter-Zuteilungs-Studien wie der aktuellen Untersuchung überrascht insofern, als dass Raben ansonsten durchaus mit respektablen sozial-kognitiven Fertigkeiten aufwarten. Schon als Jungtiere durchblicken sie Dreiecks-Beziehungen, sie scheinen einander nach Niederlagen zu trösten und weisen einander durch Zeigegesten, die sie auf ihr jeweiliges Gegenüber abstimmen, auf "Schätze" wie Moosstückchen und kleine Zweige hin. "Soweit wir wissen, wurde aber noch nicht direkt untersucht, inwieweit sozial-kognitive Fähigkeiten prosoziales Verhalten vorhersagen", sagt Erstautorin Megan Lambert.

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