Verhaltensbiologie:Niemand saugt länger als Orang-Utan-Babys

Verhaltensbiologie: Die Tochter des Orang-Utan-Weibchens Amatis im Duisburger Zoo war weniger auf Muttermilch angewiesen als Jungtiere in Borneo.

Die Tochter des Orang-Utan-Weibchens Amatis im Duisburger Zoo war weniger auf Muttermilch angewiesen als Jungtiere in Borneo.

(Foto: Martin Meissner/AP)

Bis zu acht Jahre stillen die Affenmütter ihre Babys. Die Milch ist nicht immer ein Genuss - sondern manchmal schlicht eine Notration.

Von Hanno Charisius

7,5 Monate lang stillt eine Mutter in Deutschland durchschnittlich ihr neugeborenes Kind. Das ergab eine Umfrage des Robert-Koch-Instituts vor einigen Jahren. Für Orang-Utan-Babys ist in diesem Alter noch lange nicht Schluss. Biologen sind auf Tiere gestoßen, die nahezu neun Jahre lang Milch von ihrer Mutter bekommen hatten, länger als jedes andere Säugetier.

Eine aktuelle Untersuchung zeigt, dass die neugeborenen Menschenaffen im ersten Lebensjahr ausschließlich Muttermilch bekommen. Im Alter zwischen zwölf und 18 Monaten fressen sie zusätzlich feste Nahrung. Die Beikost besteht hauptsächlich aus Früchten. Doch sie trinken auch immer wieder Muttermilch, wie das Forscherteam um die Zahnspezialistin Tanya Smith von der Griffith University in Australien im Fachblatt Science Advances berichtet. Das wiesen die Wissenschaftler anhand chemischer Spuren in den Zähnen verstorbener Orang-Utans nach.

Der Lebensstil der Waldbewohner macht es Verhaltensforschern schwer, mehr über sie zu lernen. Die meiste Zeit verbringen die Menschenaffen auf Bäumen, und wenn sich die Muttertiere mit den Jungen nachts in ihre Wohnnester verziehen, entziehen sie sich den Beobachtungen nahezu komplett. Deswegen wählten Smith und Kollegen nun den indirekten Nachweis über die Zusammensetzung der Zähne von vier vor Jahren illegal erschossenen Jungtieren.

Das Abstillen der jungen Menschenaffen läuft demnach nicht linear wie bei Menschen

Die Stillgeschichte der Tiere lässt sich anhand der Bariumkonzentration in den Zähnen rekonstruieren, so ähnlich, wie sich anhand der Jahresringe von Bäumen erkennen lässt, ob diese in einem Jahr langsam oder schnell gewachsen sind. Das Barium nehmen die Tiere zum größten Teil mit der Muttermilch auf.

Smith und ihre Kollegen stießen in einzelnen Zähnen auf unterschiedliche Bariummengen, woraus sie ableiten, dass die Tiere nicht dauerhaft Muttermilch bekamen, jedoch in unregelmäßigen Abständen, und zwar wahrscheinlich immer dann, wenn das übrige Futter für die Jungtiere nur schwer verwertbar war. Im Regenwald gibt es oft massenhaft Früchte. Doch immer wieder gibt es auch karge Phasen, in denen sich die Tiere mit Baumrinde oder harten Samen begnügen müssen. Jüngere Orang-Utans sind entweder noch nicht in der Lage, diese Nahrung zu erschließen oder sie zu finden, und dürfen deshalb wieder an die mütterliche Brust.

Schimpansenmütter säugen ihre Jungen fünf bis sechs Jahre lang, und Verhaltensforscher vermuteten bisher, dass es bei Orang-Utans ähnlich sei. Das Abstillen der jungen Menschenaffen läuft demnach nicht linear wie bei Menschen, die üblicherweise Milchmahlzeiten nach und nach ersetzen, sondern eher schubweise.

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