Verhaltensbiologie:Lebe schnell, liebe heftig, stirb jung

Eine Chamäleon-Art auf Madagaskar verbringt den größten Teil des Jahres im Ei. Dann wird geschlüpft, um Partner gekämpft, Sex gemacht - und gestorben.

Markus C. Schulte von Drach

Brutale Kämpfe um die Fortpflanzung und ein früher Tod - so könnte man die Lebensgeschichte des Chamäleons Furcifer labordi in aller Kürze beschreiben. Denn das Tier lebt nicht länger als ein Jahr, verbringt davon acht bis neun Monate im Ei, schlüpft, paart sich bald auf rabiate Weise - und stirbt.

Verhaltensbiologie: Das Chamäleon Furcifer labordi lebt nicht lange - aber intensiv.

Das Chamäleon Furcifer labordi lebt nicht lange - aber intensiv.

(Foto: Foto: Christopher J. Raxworthy)

Es ist damit das kurzlebigste vierbeinige Wirbeltier der Welt.

Das berichten US-Forscher, die die Reptilien auf Madagaskar beobachtet haben.

Den Wissenschaftlern um Kristopher Karsten von der Oklahoma State University in Stillwater war aufgefallen, dass die Chamäleons im Südwesten der Insel alle gleich alt sind, dass sowohl ganz junge als auch ältere Tiere fehlen, und dass während der Trockenzeit keine auftauchen.

"Ich dachte, es ist wirklich bizarr, dass ich nur Erwachsene finden konnte", erklärte Karsten dem Fachmagazin New Scienctist.

Als die Forscher die sieben bis neun Zentimeter langen Tiere genauer beobachteten, stellten sie fest, dass die Jungen alle Anfang November gleichzeitig schlüpfen, innerhalb von Wochen geschlechtsreif werden, sich verpaaren und bis April, wenn die Trockenzeit beginnt, sterben (PNAS; Bd. 105, S. 8980).

Karsten und seine Kollegen markierten insgesamt 400 Chamäleons und blieben einigen der Tiere ganz dicht auf der Spur. Außerdem beobachteten sie das Verhalten der Chamäleons im Gehege. Dabei stellten sie fest, dass vor allem der Sex die Tiere umzubringen scheint.

Furcifer labordi wird innerhalb von zwei Monaten geschlechtsreif und hat dann noch zwei bis drei Monate, um sich zu paaren. Die Männchen liefern sich dabei lange und brutale Kämpfe. Und wer es geschafft hat, sich einem Weibchen zu nähern, muss darauf gefasst sein, von der Erwählten gebissen zu werden.

Ende Februar legen die Weibchen dann etwa ein Dutzend Eier in die Erde. Danach sterben die erwachsenen Tiere. Sie sind so geschwächt, dass sie einfach aus den Bäumen fallen, berichten Karsten und sein Team. Und in den nächsten acht Monaten befinden sich alle lebenden Chamäleons in ihren Eiern.

Bei Pflanzen ist es nicht ungewöhnlich, dass Samen lange Zeit in der Erde liegen, bevor sie keimen. Auch bei Insekten kennt man lange Larvenstadien. Die Eintagsfliege etwa verbringt ein bis vier Jahre im Larvenstadium im Wasser, bevor sie zur eigentlichen Fliege wird, sich paart und innerhalb kurzer Zeit stirbt. Auch Maikäfer leben als Käfer nur wenige Monate, nachdem sie zuvor vier Jahre als Engerlinge in der Erde verbracht haben.

Bei Wirbeltieren sind vergleichbare Lebenszyklen allerdings selten. "Unter den 1700 Vierbeiner-Arten, über die wir Informationen hatten, konnten wir keine einzige finden, bei der die Population jedes Jahr komplett verschwindet", berichten die Wissenschaftler. "Auch konnten wir keinen Vierbeiner entdecken, dessen Lebenserwartung nach der Embryonalphase nur vier bis fünf Monate beträgt." Darüber hinaus sei F. labordi einzigartig unter den Vierbeinern, weil es den größten Teil seines Lebenszyklus in einem Ei verbringt.

Vermutlich ist der Zyklus eine Anpassung an die harten Lebensbedingungen in diesem Teil von Madagaskar. Die Tiere versuchen nicht, die gefährliche Trockenperiode zu überleben, sondern investieren alle Ressourcen in eine einmalige Fortpflanzung während der günstigsten Zeit im Jahr.

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