Verbot von Plastiktüten:Vom Müll gebeutelt

Die UN fordern die Ächtung der Plastiktüte. Doch das Beispiel Indien zeigt, dass selbst Gefängnisstrafen auf den Handel mit den Kunststofftaschen kaum etwas nützen.

Johannes Boie

Niemand kann behaupten, die Strafe sei zu niedrig. 100.000 Rupien sind viel Geld, für indische Verhältnisse sowieso. Aber auch Mitteleuropäer dürften staunen, wenn sie umgerechnet 1500 Euro Strafe zahlen müssen - wegen einer Plastiktüte.

Verbot von Plastiktüten: Sie leiden an dem Plastikabfall und leben von ihm: ein junger Müllsammler in Kalkutta.

Sie leiden an dem Plastikabfall und leben von ihm: ein junger Müllsammler in Kalkutta.

(Foto: Foto: dpa)

Dabei darf sich glücklich schätzen, wer mit einer Geldstrafe davon kommt. Auf den Handel mit Plastiktüten stehen in Delhi bis zu fünf Jahre Gefängnis - so steht es neuerdings im Gesetz. Das Verbot der Kunststoffbeutel und die harten Strafen werden von einer massiven Werbe-Kampagne der Stadtverwaltung begleitet. Das Straßenbild Delhis ist mit solchen Tafeln gespickt: "Say no to plastic bags", fordert eine junge Frau, die glücklich ihre Jute-Tasche an der Hand hält, so sorgsam wie andere Menschen ein kleines Kind.

Doch trotz der drastischen Strafandrohungen, die seit Anfang des Jahres in Delhi gelten, bleibt der Erfolg von Gesetzgebung und Kampagne bislang aus. "Die Regierung lässt sich viel Zeit damit, die Gesetze umzusetzen", kritisiert Shyamala Mani vom Centre for Environment Education, einem Joint Venture von NGOs und Regierungsinstitutionen, das sich seit 1984 für Umweltbewusstsein in Indien einsetzt.

Es seien zwar einige Tüten-Hersteller innerhalb der Stadtgrenzen verwarnt, aber noch keine Strafen ausgesprochen worden, sagt Mani. Und das, obwohl Delhis Regierungschefin Sheila Dikshit mehrfach angekündigt hat, hart gegen Sünder vorzugehen - zuletzt Anfang Juni.

Doch die Nobelboutiquen im modernen Einkaufsviertel am Connaught Place in Delhi geben die Luxusschuhe ebenso weiter in Plastiktüten über die Theke wie die Klein-Händler der Slums ihr Obst und Gemüse. Immerhin sind einige Supermarktketten dazu übergegangen, Jute- und Papiertüten anzubieten. Und einige Konzerne fordern von Endkunden, ihre eigenen Taschen mitzubringen.

Plastiktüten stehen seit längerem weltweit in der Kritik von Umweltverbänden. Zu ihrer Produktion ist teures und umweltschädliches Öl notwendig. In der vergangenen Woche erst erinnerte eine Studie des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) erneut an das Problem, dass Plastiktüten in den Ozeanen gigantische Müllknäuel bilden, in denen sich Fische verfangen und sterben.

Kunststoff hält bis zu 500 Jahre, bevor er zerfällt. Der deutsche UN-Umweltchef Achim Steiner hat daher nach Vorstellung der UNEP-Studie einen weltweiten Produktionsstopp für Einweg-Plastiktüten gefordert.

Tatsächlich stehen solche Tüten inzwischen in vielen Ländern in der Kritik. Und weltweit gibt es heftige Reaktionen der Gesetzgeber: In Ruanda und Tansania etwa sind Plastiktüten bereits verboten, in Australien wird ein Verbot diskutiert. In Frankreich tritt es 2010 in Kraft.

In ganz China sind seit dem 1. Juni 2008 zumindest die besonders dünnen Beutel verboten. Sie zerfleddern schnell und gelten daher als besonders große Umweltsünde.Supermärkte in China dürfen Plastiktüten nicht länger ungefragt an Kunden ausgeben. Innerhalb eines Jahres wurde der Verbrauch Chinas um 40 Milliarden Tüten reduziert - was aber nicht bedeutet, dass China bereits vollständig von dünnen Plastiktüten befreit wäre.

Abfall als Geldquelle

Besonders in Ländern wie Indien, die große Hygiene-Probleme vor allem in ihren ausufernden Städten haben, ist ein Verbot der Tüten nicht nur aus Umwelterwägungen sinnvoll, sondern auch, um die Menschen zu schützen: Die Straßen der Altstadt von Delhi etwa sind mit Kot, Abfall und sogar Tierkadavern verdreckt. Und die wenigen Rohre, durch die bakterienverseuchte und mit Abfall vermischte Abwässer von der Oberfläche verschwinden könnten, werden durch Plastiktüten verstopft.

In den fauligen Pfützen der Abwasserrinnen nisten Stechmücken, die Denguefieber oder Malaria übertragen. Und den Ärmsten unter Indiens Bevölkerung dienen die kleinen Schmutzteiche als Toilette und Trinkwasserquelle.

Trotzdem verwundert es nicht, dass sich die indische Bevölkerung kaum um die Auflagen kümmert. Umweltschutz ist in vielen armen Ländern ohnehin ein Luxusproblem, ein Bewusstsein dafür kaum entwickelt. Viele Einwohner Delhis verdienen mit dem Abfall schlicht ihren Lebensunterhalt.

Vor allem Kinder sammeln Unrat jeder Art, den sie über Zwischenhändler an Recyclingfabriken weiterverkaufen. Entsprechend wenig empfänglich sind die an Dreck gewöhnten Bewohner der Megastadt für die komplexe Begründung des Tüten-Verbots. Zumal Jute- und Papierbeutel teurer und daher wenig populär sind. Hinzu kommt, dass viele indische Gesetzeshüter bereit sind, für ein paar Rupien an Extralohn über Verstöße hinwegzusehen. Die allgegenwärtige Korruption ist eines der größten Probleme der indischen Verwaltung.

Shyamala Mani betrachtet es als Anfang, dass das Gesetz überhaupt beschlossen wurde. Nun wolle die Regierung "den Menschen Zeit geben, sich auf das Verbot einzustellen", sagt die Umweltschützerin im Hinblick auf die bislang sanften Verwarnungen.

Der Kern des Problems liege ohnehin bei den Herstellern, dort müssten neue Vertriebswege gefunden und alte Gewohnheiten abgelegt werden. Nach dieser Übergangsphase, so hofft Mani, müssten dann allerdings Taten folgen und das Gesetz auch endlich umgesetzt werden.

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