Venustransit in der Historie:Opfer für die schwarze Venus

Die Forscher litten unter Entbehrungen und Krankheiten, unter bürokratischen Hürden und Ratten. Manch einer fand den Tod bei dem Versuch, das seltene astronomische Ereignis zu dokumentieren: den Moment, wenn sich die Venus vor die Sonne schiebt. Die Geschichte einer Faszination.

Christopher Schrader

Für die Wissenschaft blickte Jean-Baptiste Chappe d'Auteroche mehr als nur einmal dem Tod ins Auge. Der französische Astronom war auf zwei Expeditionen in den 1760er-Jahren von Paris aus in die Ferne gereist, erst nach Sibirien und später auf die heute Baja California genannte kalifornische Halbinsel. Im Pferdeschlitten durchquerte er die gefrorene Tundra Sibiriens und schaffte es dort mit letzter Kraft, sich und seine wertvollen Teleskope über das dünne Eis eines im Frühjahr aufbrechenden Flusses zu retten. Jahre später bezwang er das Hochland Mexikos mit einer Karawane von Maultieren und ließ sich schließlich mit einer Standuhr im Beiboot durch tobende Wellen an die felsige Küste der Baja California rudern.

Chappes Mission war es, die beiden sogenannten Venustransits des 18. Jahrhunderts zu beobachten. Am 6. Juni 1761 und am 3. Juni 1769 wanderte der Planet genau zwischen Sonne und Erde vorbei. Durch ein abgedunkeltes Teleskop konnten die damaligen Naturforscher eine dunkle Scheibe sehen, die sich innerhalb von etwa sechs Stunden über die gleißende Sonne schob.

Dieses Phänomen ist selten, die immer paarweise im Abstand von acht Jahren auftretenden Passagen wiederholen sich mit Abständen von 105 und 122 Jahren. Am kommenden Mittwoch in aller Früh lässt sich ein Venustransit zum letzten Mal bis zum Jahr 2117 beobachten. Kein Mensch kann also hoffen, mehr als zwei dieser Ereignisse zu sehen. Und Chappe wurde zum einzigen Forscher seiner Zeit, der beide Transite in voller Länge beobachtete und die Daten der damals gerade erwachenden internationalen Gemeinschaft der Wissenschaft meldete. Er bezahlte seinen Erfolg mit dem Leben.

Die Expeditionen des Franzosen waren ein kleiner, aber wichtiger Teil eines globalen Projekts. Wissenschaftler aus Frankreich, England, Russland und Schweden begaben sich auf beschwerliche Reisen in weit entfernte Erdteile.

Die Royal Society hat zum diesjährigen Transit ihre Archive geöffnet und Briefe und Aufsätze ihrer Mitglieder online gestellt, die an dem Projekt teilnahmen. Sie reisten zum Nordkap und in die Südsee, Forscher anderer Nationen in den Osten Asiens und den Westen Amerikas. Sie errichteten Behelfsobservatorien auf St. Helena und Rodriguez im indischen Ozean, am Kap der Guten Hoffnung und am Baikalsee, in der Werkstatt eines Londoner Instrumentenbauers, auf einem Landsitz Katharinas der Großen und auf Schloss Nymphenburg in München. An den Messungen nahmen James Cook, Michael Lomonossow, Charles Mason und Jeremiah Dixon, Guillaume le Gentil, Benjamin Franklin, etliche gekrönte Häupter und einige hundert anderer Naturforscher teil.

Mit einer halben Tonne Ausrüstung in der Wildnis

Ihr Ziel war es, jeweils die Dauer des Venustransits an ihrem Beobachtungsort zu erfassen. Geplant war ein Vergleich der Daten über die Grenzen ihrer Staaten hinaus, die teilweise gerade Krieg gegeneinander führten und Weltreisende als Spione betrachteten. Damit wollten die Wissenschaftler und die Akademien ihrer Heimatländer die Antwort auf eine der drängenden Fragen der Zeit ableiten: Wie weit ist die Sonne von der Erde entfernt? Diese Angabe fehlte den Astronomen, um die Größe des Sonnensystems zu verstehen, die "Abmessungen des Himmels", wie es der amerikanische Astronom John Winthrop damals ausdrückte.

Venustransit - seltenes astronomisches Ereignis

Für diesen Anblick nahmen Forscher viele Entbehrungen auf.

(Foto: dpa/dpaweb)

Das gemeinsame Projekt war der "Schlüsselmoment der neuen Zeit, einer Epoche, in der man die Natur mit Hilfe der Vernunft zu verstehen suchte", schreibt die deutsche Historikerin Andrea Wulf in ihrem Buch "Die Jagd auf die Venus", das die Geschichten der Expeditionen nacherzählt. Die Venus, die oft als Morgen- oder Abendstern die anderen Lichtpunkte am Himmel überstrahlt, wurde laut Wulf zur "idealen Metapher für das Licht der Vernunft" in einer Epoche, in der die Aufklärung die letzten Spuren des Mittelalters tilgen sollte.

Die Aufgabe hatte der Astronom Edmund Halley seinen Kollegen gestellt. Er ist heute vor allem wegen des nach ihm benannten Kometen bekannt, dessen regelmäßige Wiederkehr alle 76 Jahre er vorausgesagt hat. Schon im Jahr 1716, also Jahrzehnte vor dem ersten Venustransit, hatte Halley erkannt, dass die Venuspassagen eine Gelegenheit sein würden, die Entfernung zur Sonne zu messen. Der Transit würde überall auf der Erde zu einem etwas anderen Zeitpunkt beginnen und unterschiedlich lange dauern. Der Vergleich der Ergebnisse von möglichst weit entfernten Orten würde es erlauben, den Abstand von Erde und Sonne zu berechnen.

Nachdem Halley 1742 gestorben war, wurde sein französischer Kollege Joseph-Nicolas Delisle zum Organisator. Er zeigte auf einer Weltkarte, wo das Ereignis zu sehen sein würde und überzeugte erst seine eigene Akademie der Wissenschaften, dann die Royal Society in London, Expeditionen auszurüsten. Schließlich begeisterten sich auch Akademien in Stockholm und St. Petersburg für die Sache.

Die Aufgabe war damals nur mit der besten verfügbaren Technik zu bewältigen. Die Beobachter sollten mit einem Teleskop die Bewegung der Venus vor der Sonne verfolgen und dabei die Zeit messen. Die damals genauesten Chronometer waren Standuhren mit langen Pendeln, aber die lokale Zeit mussten die Reisenden über einige Tage aus dem Lauf der Sonne und ihrem Zenit zur Mittagszeit ableiten. Außerdem waren ihre Ergebnisse wertlos, wenn sie nicht die geografische Position präzise bestimmten. Für die Breite benötigten sie einen Quadranten, die Länge sollten sie zum Beispiel aus der Beobachtung einer Mondfinsternis ableiten. Eine halbe Tonne wog die Ausrüstung oft, mit der sich Expeditionen durch die Wildnis kämpften.

Expeditionen endeten in Tragödien

Bei den Messungen konnte viel schiefgehen: Die Reisen waren beschwerlich, manche Beobachter erreichten ihr Ziel nicht rechtzeitig. Bei anderen schoben sich im entscheidenden Moment Wolken vor die Sonne. Beides passierte dem von der Pariser Akademie nach Indien gesandten Guillaume Le Gentil, der als erster Europäer aufgebrochen war. Er stand beim ersten Transit auf einem schaukelnden Schiff und starrte beim zweiten in plötzlich aufgezogene Wolken. Nach elf Jahren kehrte er ohne Daten zurück.

Andere Forscher litten unter Bürokraten, die sie zwingen wollten, alle ihre Messgeräte bis auf eines vor der Weiterreise zurückzulassen, unter Ratten, die die Uhrpendel annagten, oder unter Ureinwohnern, die die glänzenden Messinginstrumente stahlen.

Doch auch bei klarer Sicht mit unversehrtem Gerät erwies sich die Messung der Transitdauer als unerwartet schwierig. Viele der Astronomen berichteten von demselben Phänomen: Am Rand der Sonne hatte sich die Scheibe der Venus zu einem Tropfen verformt, der mit dem dunklen Himmel verschmolz. Der Planet schien zu verharren, während sich der Rand der Sonne wie eine Pustel ausstülpte. Dass der Tropfeneffekt weder Einbildung war noch sich allein der Atmosphäre von Venus und Erde zuschreiben ließ, ist erst seit wenigen Jahren zu erklären: Er hängt mit der begrenzten Geometrie der verwendeten Teleskope zusammen sowie mit der Tatsache, dass die Helligkeit der Sonnenscheibe an ihrem Rand langsam und nicht plötzlich in Dunkelheit übergeht.

Die Berechnung des Sonnenabstands wollte den Akademien daher nach dem ersten Transit nicht recht gelingen. Die Astronomen konnten die Zahl nur auf ein Intervall von 124 bis 159 Millionen Kilometern eingrenzen - immerhin deutlich mehr als die bis dahin gängigen Schätzungen. Für die zweite Passage planten die Wissenschaftler dann genauer, nutzen bessere Instrumente und erzielten schließlich einen Wert von 150,8 Millionen Kilometern. Vor dem Hintergrund all der Schwierigkeiten ein exzellentes Ergebnis. Der inzwischen per Radar ermittelte Abstand von Erde und Sonne beträgt 149,6 Millionen Kilometer.

Die Daten für die zweite Berechnung waren teilweise mit mehreren Jahren Verspätung in Europa eingetroffen. James Cook, der mit seiner Endeavour nach Tahiti entsandt worden war, entdeckte auf dem Rückweg nach London noch Australien und wäre fast am Great Barrier Reef gesunken. Der mit ihm reisende Astronom Charles Green starb nach einem Aufenthalt in Jakarta an Malaria. Das Schiff und der Rest der Besatzung waren erst im Juli 1771 in England zurück.

Den Tod fand auch Jean-Baptiste Chappe d'Auteroche. Er hatte darauf bestanden, sein Observatorium direkt nach seiner Ankunft auf der Baja California zu errichten, um den Venustransit nicht zu verpassen. Doch dort griff gerade Typhus um sich. Selbst erkrankt, schaffte es Chappe nach der Venuspassage gerade noch, die geografische Lage zu bestimmen; dann starb er friedlich in dem Bewusstsein, sein Lebenswerk vollendet zu haben. Die letzten Überlebenden seiner Expedition brachten das einzige Exemplar seiner Aufzeichnung Ende 1770 nach Paris.

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