US-Langzeitstudie zu Übergewicht:"Du bist fett!"

Haben Sie Ihre Tochter schon mal als fett bezeichnet? Sie ahnen nicht, was Sie ihr damit antun. Eine Langzeitstudie mit amerikanischen Mädchen zeigt die Spätfolgen solcher Kritik.

Von Sarah K. Schmidt

"Du bist zu dick!" Wer mit solchen Pauschalurteilen am Gewicht einer Zehnjährigen herumkrittelt, erreicht nicht, dass diese sich das nächste Eis verkneift. Sondern setzt womöglich eine sich selbst erfüllende Prophezeiung in die Welt. Die Wahrscheinlichkeit steigt, dass das Mädchen in späteren Jahren tatsächlich übergewichtig wird.

Forscher an der University of California in Los Angeles (UCLA) haben die Daten einer Langzeitstudie der National Institutes of Health analysiert und herausgefunden, welch verheerende Wirkung Hänseleien in den folgenden Jahren haben können. Mehr als 2000 Mädchen in den USA haben seit Ende der 80er-Jahre an der Untersuchung teilgenommen. Zum Beginn der Studie waren sie zehn Jahre alt. Größe und Gewicht wurden erfasst, zudem eine Reihe weiterer Faktoren wie Einkommen und Bildungsniveau der Eltern. Außerdem fragten die Forscher die Mädchen, ob ihnen schon einmal jemand gesagt habe, dass sie zu dick seien. 58 Prozent der Kinder bejahten dies.

Neun Jahre später wurde erneut der Body-Mass-Index der Teilnehmerinnen bestimmt. Und das Ergebnis erschreckte selbst die Psychologin, die die aktuelle Studie zusammen mit einem Kollegen leitete. "Einfach nur als zu fett bezeichnet zu werden, hat fast zehn Jahre später einen messbaren Effekt. Wir wären beinahe vom Stuhl gefallen, als wir das festgestellt haben", sagt Janet Tomiyama, die an der UCLA den Forschungsbereich "Diäten, Stress und Gesundheit" leitet.

Der Effekt tritt unabhängig vom ursprünglichen Gewicht auf

Mädchen, die in frühen Jahren zu hören bekommen, sie seien übergewichtig, leiden mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit als junge Frauen tatsächlich unter Fettleibigkeit. Für sie ist es 1,6 Mal wahrscheinlicher, dick zu werden. Das ist das Ergebnis der Studie, die in der Juniausgabe des Fachjournals Jama Pediatrics vorgestellt werden soll und bereits online einzusehen ist.

Besonders interessant: Der beobachtete Zusammenhang zwischen Hänseleien und dem, was die Waage später anzeigt, gilt unabhängig vom tatsächlichen Gewicht und weiteren Einflussfaktoren - etwa dem sozioökonomischen Status der Eltern oder dem Zeitpunkt der ersten Periode. Das bedeutet, dass sich die Mädchen ein "Du bist fett" zu Herzen nehmen, ganz egal, ob sie tatsächlich etwas mollig sind oder normalgewichtig. In der Studie gehe es also nicht nur um schwerere Mädchen, die als fett bezeichnet würden und dann Jahre später immer noch dick seien, sagt Psychologin Tomiyama. "Allein die Zuschreibung 'fett' erhöht die Wahrscheinlichkeit, später tatsächlich fett zu werden."

Abestempelt als "die Dicke"

Besonders viel Einfluss hat es den Ergebnissen zufolge, wenn die Mädchen aus der eigenen Familie gespiegelt bekommen, dass sie zu dick seien. Doch auch die beste Freundin, der Schwarm oder Lehrer können mit ihrem Urteil das spätere Gewicht beeinflussen.

Die Forscher vermuten, dass diese Zuschreibung, das sogenannte Label, die verheerende Wirkung auf den Hüftspeck entfaltet. Wer einmal als "die Dicke" abgestempelt wurde, übernehme sämtliche negativen Stereotype und Zuschreibungen, die hierzu geläufig sind - und leicht auch entsprechende Verhaltensmuster. "Wenn sich Menschen schlecht fühlen, dann beginnen sie keine Diät oder joggen eine Runde, sie essen eher mehr", hat Tomiyama beobachtet. Sie vermutet, dass Kritik am Gewicht das Stresshormon Cortisol erhöht, das bekannt dafür ist, eine Gewichtszunahme zu befördern.

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