Urmenschen:"Spuren der Neandertaler leben in uns weiter"

Hatten Neandertaler nun Sex mit den modernen Menschen oder nicht? Hinweise auf das Erbgut der Vormenschen im Genom heutiger Völker sprechen dafür.

Hubert Filser

Jeder Anthropologe, der die jüngere Menschheitsgeschichte erforscht, bekommt mindestens einmal im Leben die Frage gestellt: Hatten Neandertaler Sex mit den modernen Menschen oder nicht? Gibt es womöglich heute noch Menschen, die Teile des Neandertaler-Erbguts in sich tragen?

Neandertaler, dpa

Anthropologen der Universität New Mexico sind sich sicher: Der Neandertaler hat mit unseren Vorfahren Nachkommen gezeugt.

(Foto: Foto: dpa)

Bisher hatten Genetiker, die mühsam das Erbgut der Vormenschen analysieren und es mit dem Genom des Homo sapiens vergleichen, die Frage eher verneint. Nun aber bieten Anthropologen der Universität New Mexico eine andere Antwort an. "Ja, der Neandertaler hat Spuren in unserem Erbgut hinterlassen", sagt der Genetiker Jeffrey Long.

Er habe das Genom von insgesamt 1983 Menschen weltweit untersucht und dabei festgestellt, dass sowohl der vor rund 30.000 Jahren ausgestorbene Neandertaler wie auch der noch früher in Europa lebende Homo heidelbergensis während zweier Phasen im Laufe der Menschheitsgeschichte sich mit unseren Vorfahren paarten und dabei gemeinsame Nachkommen zeugten.

Die Neandertaler sind nicht ganz verschwunden

"Das bedeutet, dass die Neandertaler nicht komplett verschwunden sind", sagt Jeffrey Long. Die unmittelbaren Spuren der Neandertaler in Höhlen und anderen Fundstätten verlieren sich ungefähr vor 30.000 Jahren; die letzten Neandertaler lebten womöglich im äußersten Südwesten Europas, auf der Iberischen Halbinsel.

Und lange sah es so aus, als habe sie der moderne Mensch dorthin zurückgedrängt, ihren Lebensraum besetzt und sie ausgelöscht.

Doch zumindest Spuren der Neandertaler leben in uns weiter, sagt Long. Mit seiner Forschergruppe hat er Regionen im Erbgut von 99 Populationen in Afrika, Europa, Asien, Ozeanien und Amerika untersucht.

Die Genetiker haben sich dabei 614 sogenannte Mikrosatelliten angeschaut, das sind eher unbedeutende Erbgutsequenzen, die sich im Genom oft wiederholen - eine Art persönlicher genetischer Fingerabdruck.

Das Erbmaterial hat sich vermischt

Die Forscher sind nun überzeugt, dass die Variation dieser Fingerabdrücke im menschlichen Stammbaum darauf hindeutet, dass es zwei Phasen in der Menschheitsgeschichte gegeben haben muss, in denen sich das Erbmaterial zweier verschiedener Menschenarten vermischt hat.

Und zwar vor 60.000 Jahren im östlichen Mittelmeerraum und dann noch einmal vor rund 45.000 Jahren in Ostasien. Die Anthropologen glauben, dass die Menschen, die aufgrund der ersten Vereinigung im Mittelmeerraum entstanden, sich langsam über Europa, Asien und Nordamerika ausgebreitet haben. In Afrika, der Wiege der Menschheit, habe es dagegen keinen sexuellen Kontakt über die Artgrenzen hinweg gegeben.

So weit jedenfalls reicht die Darstellung, die in dieser Woche in einem Nachrichtenartikel auf der Webseite des Journals Nature publiziert wurde. Sie bezieht sich auf einen Vortrag, der auf einer Konferenz im amerikanischen Albuquerque gehalten wurde. Eine wissenschaftliche Veröffentlichung zum Thema gibt es noch nicht.

Genetiker zweifeln

Auch ein in Nature veröffentlichtes, bestätigendes Zitat von Linda Vigilant, einer Forscherin am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, bezieht sich nicht auf den Vortrag.

So bleibt der Hintergrund der Nature-Veröffentlichung ein wenig mysteriös. Manche Genetiker bezweifeln zudem, dass die Mikrosatelliten im Genom überhaupt derartige Informationen enthalten können.

Diese entwickeln sich in der Regel sehr schnell, man kann vermutlich mit ihrer Hilfe höchstens 20.000 Jahre weit in die Geschichte schauen. Vielleicht hat ja das Thema Neandertaler-Sex die Sinne der Forscher arg beflügelt.

Klarheit werden in Kürze Ergebnisse der Gruppe um den Leipziger Max-Planck-Forscher Svante Pääbo bringen, die derzeit das Neandertaler-Erbgut sequenziert.

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