Unesco:Leben im Biosphärenreservat

Spreewald und Berchtesgaden sind es schon - nun kürt die Unesco 18 neue Gebiete als Biosphärenreservat. Eine Voraussetzung ist, dass die Bewohner das Konzept einer nachhaltigen Nutzung jeweils mittragen.

Uta Bilow

Der australische Ayers Rock, die Kafa-Region in Äthiopien - Ursprungsgebiet der Kaffeepflanze - und der Spreewald: Diese drei Gebiete haben bei allen Unterschieden eines gemeinsam: Sie tragen den Titel Unesco-Biosphärenreservat. Damit gehören sie zu dem globalen System von mittlerweile 580 Reservaten in 114 Ländern, das in den vergangenen 40 Jahren entstanden ist.

Deutschland Spreewald, dpa

Im Spreewald sind in der Eiszeit viele der sogenannten Fließe entstanden. Die geschützten Wasserwege werden mit flachen Kähnen befahren und dienen dem Transport von Agrarprodukten sowie dem Freizeitvergnügen.

(Foto: dpa)

Zum Jubiläum hat die für das Programm zuständige UN-Organisation für Wissenschaft und Kultur (Unesco) in dieser Woche eine Konferenz in Radebeul bei Dresden organisiert und dort 18 neue Reservate in die Liste aufgenommen, deren Bewohner das Konzept einer nachhaltigen Nutzung jeweils mittragen.

Darunter sind die Roztochya in der Ukraine, eine landwirtschaftlich geprägte Region in der Nähe von Lwiw (früher: Lemberg), die Flusslandschaft am Dalälven in Schweden und die Berlengas, eine Inselgruppe vor der portugiesischen Küste. Außerdem wurden neue Schutzgebiete in Kanada, Chile, Jemen, China, Ghana, Israel, Togo, Jordanien, Litauen, Russland, Zentralamerika, im Karibik-Staat St.Kitts and Nevis und auf den Malediven ausgerufen.

Seit 1971 unterstützt die Unesco im Rahmen des Programms "Der Mensch und die Biosphäre" (MAB) weltweit Initiativen, die Naturschutz und nachhaltige Landnutzung verbinden. 15gibt es davon in Deutschland, neben dem Spreewald zum Beispiel den Pfälzerwald, die Schorfheide, die Region um Berchtesgaden, die Schwäbische Alb und das Wattenmeer. Teilweise überschneiden sich die Gebiete mit Nationalparks und Areale mit dem ebenfalls von der Unesco vergebenen Titel Weltnaturerbe.

Biosphärenreservate sind jedoch keine reinen Naturparks. Ob Wattenmeer, Kanareninsel oder afrikanisches Flussdelta: Als großräumige Natur- und Kulturlandschaften sind sie eine Art Freiluftlabor, in dem die Menschen unter wissenschaftlicher Beobachtung die Natur in angepasster Weise nutzen und erhalten. Ein harmonischer Dreiklang von wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Aspekten ist das Ziel.

"Biosphärenreservate haben eine Vorbildrolle für die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung", betonte auf der Tagung in Radebeul die Generaldirektorin der Unesco, Irina Bokova. Nach ihrer Überzeugung stellen die Unesco-Biosphärenreservate ein wirksames Instrument dar, um dem Klimawandel effektiv entgegenzutreten und auch dem Verlust an Tier- und Pflanzenarten sowie deren Lebensräumen.

Umweltverträglich und ressourcenschonend

Das bestätigt Carsten Neßhöver vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig: "Das Konzept der Biosphärenreservate ist schon etwas älter, aber zeitgemäßer denn je. In der immer monotoner werdenden Landschaft spielen diese Regionen eine wichtige Rolle und können Impulsgeber bei der Anpassung an den Klimawandel sein."

Die Folgen des Klimawandels sind in nahezu allen Teilen der Welt zu beobachten. Wüsten breiten sich aus, Trockenheit und extreme Wetterereignisse nehmen zu, Gletscher und Polkappen schmelzen ab, wie Klimaforscher immer wieder detailreich aufzeichnen. Dazu betreibt der Mensch Raubbau an seiner eigenen Lebensgrundlage, jeden Tag wird im Regenwald eine Fläche in der Größe von 170 Fußballfeldern abgeholzt. Tier- und Pflanzenarten gehen unwiederbringlich verloren, die Ökosysteme verlieren ihre Funktionstüchtigkeit und die Erderwärmung wird durch die Verbrennung fossiler Rohstoffe weiter angeheizt.

Das Gegenprogramm findet der Unesco zufolge in den Biosphärenreservaten statt. Jede dieser ganz unterschiedlichen und dabei einzigartigen Regionen hat sich auf die Fahnen geschrieben, umweltverträglich und ressourcenschonend zu wirtschaften und die biologische Vielfalt zu erhalten.

Die in Deutschland angestrebte Energiewende macht die Praxiserfahrungen aus den hiesigen Biosphärenreservaten besonders wertvoll. So birgt der Umbau der Energieversorgung gleichermaßen Chancen und Gefahren für die Natur. Der großräumige Anbau von Energiepflanzen wie Mais drängt die Artenvielfalt zurück, und die massenweise Errichtung von Windkraftanlagen greift in den Naturraum und das Landschaftsbild ein.

Im Biosphärenreservat Bliesgau zum Beispiel haben die Verantwortlichen den Klimawandel zum Leitthema erkoren, die Region im Südostzipfel des Saarlands ist auf dem Weg zur energieautarken Region. Bis zum Jahr 2050 soll zudem das Ziel erreicht sein, zu 100 Prozent CO2-neutral zu wirtschaften. Energieeinsparungen und Wärmedämmung in den Stadtgebieten der Region fließen ebenso in die Bilanz ein wie die Produktion erneuerbarer Energien durch Biogas- und Windkraftanlagen.

Eine schwierige Gratwanderung

"Dabei haben wir die Biodiversität stets im Blick", sagt Walter Kemkes, Geschäftsführer des Biosphärenzweckverbands Bliesgau. Anstelle eintöniger Maisfelder wird ein ganzer Mix aus Energiepflanzen angebaut, darunter auch die Durchwachsene Silphie, ein mehrjähriger, bis zu zwei Meter hoher Korbblütler, der aus ökologischer Sicht viele Vorteile bietet.

Bei der Errichtung von Windrädern wiederum spielen auch Aspekte des Vogelschutzes eine Rolle. In der Region ist der Rotmilan verbreitet, der besonders oft an Windenergieanlagen tödlich verunglückt. "Denkbar ist, die Anlagen während der Brutzeit abzuschalten", sagt Kemkes. Ein anderer geförderter Ansatz sind kleine Windgeneratoren, die mit ihren zehn Meter hohen Masten den Vögeln nichts anhaben können, mit einer Jahresleistung von 1000 Kilowattstunden aber den Strombedarf eines Vier-Personen-Haushalts bereits zu einem Viertel decken können.

Im Wendland, rund um Gorleben, sind erneuerbare Energien schon lange ein Thema. Seit zehn Jahren gehört die Region zum Biosphärenreservat "Niedersächsische Elbtalaue" und verfolgt einen umweltverträglichen Ausbau der regenerativen Energien. In den vergangenen Jahren wurde eine Vielzahl von Biogasanlagen errichtet. Der damit verbundene intensivierte Maisanbau liefert zwar einen hohen Energieertrag, aber der Artenreichtum geht dadurch zurück.

Johannes Prüter, Leiter der Biosphärenreservatsverwaltung, nennt ein Gegenrezept: "Wir haben gute Erfahrungen mit Blühstreifen um die Maisfelder gemacht. Die sind etwa zwölf Meter breit, dienen den Vögeln als Brut- und Nahrungsraum und helfen mit, die Artenvielfalt zu erhalten." Bei "Biogas-Stammtischen" werden die Handlungsempfehlungen weitergegeben, außerdem hat die Reservatsverwaltung einen Leitfaden für Landwirte erarbeitet, der ökologisch verträgliche Anbau- und Erntevarianten aufzeigt.

Harmonie zwischen Mensch und Natur ist aber mitunter eine schwierige Gratwanderung. Prominentes Beispiel ist das Biosphärenreservat Yasuni in Ecuador. Inmitten des Amazonasbeckens, in einem Regenwald mit höchster Biodiversität, wurden riesige Ölvorkommen entdeckt. Anstatt diese auszubeuten, hat die Regierung beschlossen, das Öl nicht zu fördern und den Lebensraum zahlreicher Tier- und Pflanzenarten sowie zweier Stämme von Ureinwohnern unangetastet zu lassen.

Zur Kompensation wurde nach langen Verhandlungen mit der internationalen Gemeinschaft ein Treuhandfonds eingerichtet, wie Jorge Jurado, der Botschafter Ecuadors in Deutschland, in Radebeul berichtete. Allerdings ist bei weitem noch nicht so viel Geld in die Kassen geflossen, wie die Regierung Ecuadors gehofft hat. Es sollen 3,6 Milliarden Dollar werden, das entspricht der Hälfte der entgangenen Einnahmen aus den Ölverkauf.

Auf der Tagung in Radebeul verabschiedeten die Konferenzteilnehmer eine Erklärung zu Biosphärenreservaten und Klimawandel, die darauf drängt, die weltweit laufenden Klimaschutzmaßnahmen mit dem dringend notwendigen Schutz der biologischen Vielfalt in Einklang zu bringen. Die in den Biosphärenreservaten entwickelten Modelle sollten verstärkt auf Regionen außerhalb der Schutzgebiete übertragen werden. Dafür braucht das Programm mehr Unterstützung durch die Politik.

"Es gibt Biosphärenreservate mit überzeugenden praktischen Erfahrungen weltweit", sagte Natarajan Ishwaran, bei der Unesco verantwortlich für das MAB-Programm. "Von diesem Wissen sollten auch andere Regionen profitieren."

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