UN-Konferenz Rio+20:Absichten gut, Lage schlecht

Sieben Milliarden Menschen gibt es mittlerweile auf der Welt, sie alle wollen ein gutes Leben. Doch wie soll das gehen? Wahrscheinlich gibt es im 21. Jahrhundert keine Frage, die wichtiger ist - auch nicht die Lösung all der Schulden-, Finanz- und Wirtschaftskrisen. In Rio treffen sich nun Politiker und Fachleute, um gegen die Zerstörung der Welt zu kämpfen. Kanzlerin Merkel ist nicht dabei.

Michael Bauchmüller

Rio war einmalig. Eine Konferenz, 1992, wenige Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges, mit Staatsführern aus aller Welt. "Das war eine heiße Mischung damals", sagt Barbara Unmüßig, die für deutsche Umweltgruppen die Konferenz verfolgte. "Viele von uns dachten, jetzt können wir wirklich etwas gestalten."

Was haben wir seit Rio 1992 geschafft? Klicken Sie auf die Grafik, um zu sehen, wo die Umweltpolitik gescheitert ist und die Entwicklungspolitik erfolgreich war.

Rio 1992, das war eine Konferenz, wie sie die Welt noch nicht gesehen hatte. 178 Länder, mehr als 100 Staats- und Regierungschefs, allein 10.000 Journalisten aus aller Welt - so sehen Aufbrüche aus. Noch 20 Jahre vorher war eine ähnliche Konferenz in Stockholm ohne große Fortschritte zu Ende gegangen. Ostblock-Staaten boykottierten sie, weil man sich nicht auf den Status der DDR hatte einigen können, China nutzte die Bühne zur Abrechnung mit dem Kapitalismus.

1992 war das anders. Alle, so schien es, hatten ähnliche Interessen, die Industrielobby war noch nicht annähernd so professionell organisiert wie heute. "Aber am Ende ist der Geist dann wieder in der Flasche verschwunden", sagt Unmüßig.

Von diesem Mittwoch an unternehmen die Staaten einen neuen Anlauf, wieder in Rio. Genau 20 Jahre nach jenem legendären Gipfel von einst kommen sie wieder in Brasilien zusammen, diesmal soll es vor allem um die Umsetzung der hehren Ziele von damals gehen. 20 Jahre nach der ersten Rio-Konferenz ist das ja auch keine schlechte Idee.

Dabei ist schon die Bilanz dieser zwei Dekaden eher durchwachsen. Die Erderwärmung etwa war schon 1992 ein großes Thema, in Rio vereinbarten die Staaten die Klimarahmenkonvention. Sie sollte die Basis sein für ganz neue Vereinbarungen im Kampf gegen zunehmende Treibhausgas-Emissionen. Die aber wachsen wie eh und je, 2010 erreichten sie einen neuen Rekordwert. Zwar stellten Industrieländer das Kyoto-Protokoll auf die Beine, es umfasste aber zuletzt nur noch ein Drittel der globalen Emissionen.

Weltpolitisches Desaster nach vertrautem Muster

Bis 2015 soll nun ein neues Abkommen ausgehandelt werden, gültig von 2020 an. Das wäre, wenn es denn gelingt, 28 Jahre nach dem Aufbruch von Rio. Der letzte Versuch dazu, die Klimakonferenz in Kopenhagen 2009, endete in einem weltpolitischen Desaster nach einem vertrauten Muster: Denn seit den ersten Umweltkonferenzen besteht zwar Einigkeit darüber, dass sich gewisse Probleme nur von allen Staaten gemeinsam lösen lassen. Wer aber welchen Beitrag zu leisten hat, wie verbindlich solche Vereinbarungen am Ende sein sollen, darüber herrscht seit jeher Streit.

Der Artenschutz macht da keine Ausnahme. Auch ihn bedachten die Staatenlenker 1992 in Rio mit einer eigenen Konvention zur sogenannten Biodiversität. Zwar gab es hier in den letzten Jahren tatsächlich so etwas wie Fortschritte, doch die Vielfalt schwindet. So verzeichnete der jüngste Living-Planet-Index der Umweltstiftung WWF zwischen 1970 und 2008 einen Rückgang der Artenvielfalt um 30 Prozent, in den Tropen sogar um 70 Prozent.

Ähnlich sieht es bei den tropischen Regenwäldern aus: Das Bewusstsein ist gewachsen, doch der Wald schwindet; womöglich bald auch noch unterstützt durch neue Gesetze in Brasilien, die es mit Waldbesitzern besser meinen als mit den Wäldern. In den Weltmeeren sollen nach dem Willen der Staatengemeinschaft bis 2020 Schutzgebiete entstehen, die ein Zehntel der Meeresfläche ausmachen. Doch acht Jahre vorher sind es gerade einmal 1,5 Prozent.

3,4 Milliarden Menschen ohne sauberes Wasser

Derweil nimmt die Zahl der Küstenstreifen, die unter den Düngemitteln der Landwirtschaft leiden, massiv zu: Seit 1990 wurden dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen (Unep) 415 Küstengebiete gemeldet, die umzukippen drohen. Nur in 13 davon zeichnete sich zuletzt Besserung ab; trotz aller internationalen Vereinbarungen zum Schutz der Meere. Gute Absichten gibt es seit der ersten Rio-Konferenz genug - nur die Lage ist schlecht.

UN-Konferenz Rio+20: Dreckwasser in einem Kanal in Kibera, einem Slum bei Nairobi, Kenia.

Dreckwasser in einem Kanal in Kibera, einem Slum bei Nairobi, Kenia.

(Foto: AFP)

Eine stetig wachsende Weltbevölkerung, Landflucht und Hunger verschlimmern die Probleme zusätzlich. 1992 trafen die Staaten Vereinbarungen für knapp 5,5 Milliarden Menschen. Inzwischen sind es aber mehr als sieben Milliarden. Entsprechend bleibt die Umwelt unter Druck, und dadurch wiederum der Mensch: 80 Prozent der Weltbevölkerung müssen um den Zugang zu sauberem Wasser bangen, 3,4 Milliarden Menschen haben keines. Weswegen die Rio-Konferenzen, die von 1992 wie die von 2012, stets beides angehen: Umwelt und Entwicklung. Ohne Entwicklung kein wirksamer Umweltschutz, ohne Umweltschutz keine solide Entwicklung.

Gastgeberland Brasilien hat deshalb von Anfang an vor allem auf die "green economy" gesetzt. Sie soll das zentrale Thema der Konferenz werden. "Wir sehen die grüne Wirtschaft als Mittel zur nachhaltigen Entwicklung, die unser alles überragendes Ziel bleiben muss", hieß es in den ersten Entwürfen des Schlussdokuments. Ein grüneres Wachstum müsse helfen, einer wachsenden Weltbevölkerung Nahrung und Überleben zu sichern, ohne die Umwelt noch weiter zu strapazieren. Wachstum bei begrenzten Ressourcen - es ist dieser Spagat, den die Konferenz schaffen will.

Doch wie eigentlich alles an dem Entwurf ist auch hier noch einiges zu klären: Jüngste Verhandlungsdokumente wimmeln nur so von umstrittenen Passagen. Anfang Juni etwa tauchte der grundsätzliche Satz zum grünen Wachstum schon nicht mehr auf. Auch die Formulierung, dass die nachhaltige Entwicklung ein "fernes Ziel" bleibe, verschwand aus dem Dokument. Vieles ist mittlerweile weichgespült.

Oft sind es die USA oder die Schwellenländergruppe G 77, die sich gegen zu konkrete Formulierungen wehren. Hinter den G 77 verbergen sich Staaten wie China und Indien. "Bei den jüngsten Entwürfen wird deutlich, dass die USA keine Beschlüsse haben wollen, die G 77 an der Alten Welt festhalten und Japan und Kanada gar nichts wollen, was Geld kosten könnte", sagt Martin Kaiser, der für Greenpeace den Gipfel begleitet. "So wird ein Erfolg des Gipfels verdammt schwer."

Merkel hat ihre Teilnahme abgesagt

Auch die Bundesregierung dämpft schon mal die Erwartungen. Kanzlerin Angela Merkel hatte schon vor Wochen die Teilnahme abgesagt, im Unterschied zu mehr als 100 anderen Staatschefs, und sehr zur Entrüstung deutscher Umweltschützer. Die schleppenden Vorbereitungen sprächen "nicht für die Geschwindigkeit der Vereinten Nationen", begründete Merkel.

Außerdem ruft die europäische Schuldenkrise. Statt ihrer vertreten Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) und sein neuer Kollege aus dem Umweltressort, Peter Altmaier (CDU), das Land. Doch auch Altmaier gibt sich zurückhaltend. "Ich bin ein bisschen traurig", sagt er. "Ich glaube, dass man bei der Vorbereitung ein bisschen mehr mit Herzblut hätte rangehen müssen."

Deutsche Unterhändler sehen allerdings noch Hoffnung. Zumindest habe sich zuletzt noch überraschend viel bewegt, heißt es in Verhandlungskreisen, etwa in der Frage einer künftigen Umweltbehörde der Vereinten Nationen. Ließe sich das Umweltprogramm Unep dergestalt aufwerten, hätten Öko-Themen in Zukunft mehr formales Gewicht in der Staatengemeinschaft, sogar ein eigenes Budget. Ähnliches gilt für einen globalen "Nachhaltigkeitsrat", der in Rio geschaffen werden könnte - anstelle der zahnlosen Kommission, die bei der Vorläuferkonferenz 1992 installiert worden war.

Zuletzt hat die Regierung Kolumbiens einen Vorschlag unterbreitet, der zunehmend Rückhalt findet. Vergleichbar zu den "Millennium-Zielen", die sich die Weltgemeinschaft im Jahr 2000 gesetzt hat, solle es auch feste Ziele für die "nachhaltige Entwicklung" geben. Anders aber als die Millennium-Ziele, die meist der Überwindung der Armut galten, müssten diese neuen Ziele auch die Industriestaaten einlösen. Das birgt Konfliktstoff - Staaten wie die USA verabscheuen wenig mehr als feste Zusagen an die Weltgemeinschaft.

"Das ist alles Prozess, Prozess, Prozess", sagt Barbara Unmüßig, die inzwischen die Heinrich-Böll-Stiftung leitet. Natürlich wird sie auch diesmal dabei sein. "Das Ganze geht verantwortungslos langsam", sagt sie. "Aber es ist das einzige Forum, das wir dafür haben."

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