Umweltverschmutzung:Medikamente aus der Kläranlage

Abwässer der Pharmaindustrie belasten die Umwelt stärker als bislang angenommen. Das ist bedenklich. So können Antibiotika in den Gewässern dazu beitragen, dass Krankheitserreger resistent werden.

Wiebke Rögener

Egal ob Antidepressiva oder Zytostatika - vieles aus dem verschreibungspflichtigen Sortiment der Pharmaindustrie gibt es längst rezeptfrei im Badesee. Mehr als 150 verschiedene Arzneiwirkstoffe haben Wissenschaftler mittlerweile in Seen und Flüssen, Sedimenten, Grundwasser und Böden nachgewiesen, berichtet das Umweltbundesamt (UBA) in Dessau. Immer wieder werden sogar im Trinkwasser Medikamente entdeckt, wenn auch in geringen Mengen.

KLÄRANLAGE STUTTGART-MÜHLHAUSEN

Mehr als 150 verschiedene Arzneiwirkstoffe haben Wissenschaftler in Seen und Flüssen, Sedimenten, Grundwasser und Böden nachgewiesen.

(Foto: DPA)

Abwässer der Pharmaindustrie tragen offenbar weit mehr zu dieser flächendeckenden Umweltbelastung bei, als bisher vermutet. Das zeigt eine Studie des US Geological Survey, einer Forschungseinrichtung des US-Innenministeriums (Environmental Science and Technology, Bd.44, S.4910, 2010).

Ein Forscherteam um den Hydrologen Patrick Phillips verglich zwei New Yorker Kläranlagen, die jeweils zu einem Fünftel ihrer Kapazität Abwässer von Arzneimittelherstellern aufnehmen, mit Anlagen aus New York und anderen Bundesstaaten, in die keine Abwässer der Pharmaindustrie fließen.

Wasser aus den Klärwerken, die Abwässer von Arzneimittelherstellern aufbereiten, enthält bis zu 1000-mal so hohe Medikamentenkonzentrationen wie Wasser aus anderen Anlagen. Wohlgemerkt: nach der Klärung.

Die US-Forscher hatten zwischen 2004 und 2009 den Auslauf von insgesamt 26 Klärwerken in den USA auf sieben verschiedene Medikamente untersucht. Am häufigsten entdeckten sie das Barbiturat Butalbital, das in mehr als 80 Prozent aller Proben auftauchte. Gut die Hälfte der Wasserproben enthielt das Opioid Oxycodon, an dritter Stelle folgte ein Mittel zur Muskelentspannung namens Carisoprodol. Bei allen Kläranlagen ohne Pharmaindustrie-Abwässer blieb die Konzentration der einzelnen Substanzen jeweils unter einem Mikrogramm pro Liter.

Anlagen, die auch Abwässer aus Krankenhäusern aufbereiteten, wiesen am Auslauf etwas höhere Arzneimittelrückstände auf als andere, aber der Unterschied war statistisch nicht bedeutsam. Dagegen entließen die beiden Anlagen, die von Arzneimittelherstellern mitbenutzt wurden, je nach Substanz zehn- bis 1000-fach höhere Konzentrationen an Medikamenten in die Umwelt.

Für das Opioid Oxycodon beispielsweise wurden Werte bis zu 1700 Mikrogramm pro Liter gemessen. Würde ein Mensch anderthalb Liter dieses Wasser trinken, hätte er damit schon mehr von dem Schmerzmittel geschluckt, als die kleinste Tablette des Präparats enthält, heißt es in einem Bericht über die Studie im Fachjournal Environmental Health Perspectives.

Nun stillt wohl kaum jemand seinen Durst aus dem Auslauf einer Kläranlage. Flussabwärts verdünnt sich das Opiat bald, und so taugt das Flusswasser weder als Schmerzmittel noch macht es süchtig. Auch alle anderen entdeckten Wirkstoffe werden so stark verdünnt, dass das Wasser keinesfalls verschreibungspflichtig wäre.

Dennoch gelten Medikamentenrückstände in Gewässern als äußerst bedenklich. So können Antibiotika in der Umwelt dazu beitragen, dass Krankheitserreger resistent werden. Das Psychopharmakon Fluoxetin ist hochgiftig für Wasserorganismen. Andere Arzneistoffe beeinflussen deren Fortpflanzung, weil sie ähnlich wie Hormone wirken.

Ein besonderes Risiko für die Umwelt stellen Medikamente zur Krebstherapie dar, die das Erbgut schädigen können. Auch geringste Mengen von weniger als einem hundertstel Mikrogramm pro Liter können eine Umweltgefahr darstellen, daher sind für solche Mittel gesonderte Risikobewertungen nötig, betonten Wissenschaftler des Universitätsklinikums Freiburg im vergangenen Jahr in einer Studie für das Umweltbundesamt.

Die jetzt in den USA durchgeführten Messungen ergaben für eine Reihe von Medikamenten weit höhere Werte, als Modellrechnungen vorhergesagt hatten, erklären Patrick Phillips und seine Kollegen. Denn alle Berechnungen gingen bislang davon aus, dass Medikamente entweder mit Ausscheidungen von Patienten in Gewässer gelangen oder durch Medikamentenreste, die nach einer überstandenen Erkrankung in Haushalten sorglos in die Toilette geschüttet werden.

Dass die Pharmaindustrie Flüsse und Seen erheblich mit Medikamenten belastet, war bisher nur aus Schwellenländern bekannt geworden. So hatten schwedische Forscher im indischen Hyderabad im Jahr 2007 extrem hohe Konzentrationen von Antibiotika und anderen Medikamenten im geklärten Abwasser von Arzneimittelherstellern entdeckt.

Wie stark Abwässer von Pharmafirmen in Deutschland die Gewässer belasten, ist allerdings unbekannt. Dieser Frage ist nach Auskünften des Umweltbundesamtes bisher noch niemand nachgegangen. "Bei der Zulassung von Arzneimitteln werden zwar auch Umweltgesichtspunkte betrachtet", erläutert Bettina Rechenberg, Leiterin des Fachgebietes Umweltrisikobewertung von Arzneimitteln im UBA. Doch beziehe sich dies nur auf die Anwendung, nicht aber auf die Produktion. "Wenn es also gilt zu bewerten, ob kritische Umweltkonzentrationen erreicht werden oder nicht, bleibt die Produktion ausgenommen."

Auch hierzulande ging man also bisher davon aus, dass Ausscheidungen von Patienten und die unsachgemäße Entsorgung von Arzneimittelresten weit stärker ins Gewicht fallen als die Abwässer der Pharmaindustrie. "Allerdings gibt es keine systematischen Daten, die diese Annahme belegen", gesteht Rechenberg. Bei einem Monitoring-Programm Ende der 1990er-Jahre seien viele Arzneimittelrückstände gefunden worden, in abwasserbelasteten Flüssen mehr als in Flüssen ohne solche Einleitungen.

"Es wurde aber nicht rückverfolgt, woher die Abwässer stammten, ob es sich also um kommunale oder industrielle Abwässer handelte", bedauert Rechenberg. Angesichts der nun veröffentlichten Daten aus den USA sagt sie: "Es wäre durchaus sinnvoll, dem auch in Deutschland nachzugehen und zu prüfen, ob Einleitungen aus der Pharmaindustrie tatsächlich zu vernachlässigen sind."

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