Umweltverschmutzung:Gift unter Strommasten

Unter den Strommasten in Deutschland ist das Erdreich durch bleihaltige Rostschutzfarbe verseucht. Und noch immer wird wenig dagegen getan.

Wiebke Rögener

Schön sind sie nicht, aber irgendwie hat man sich an sie gewöhnt. Seit mehr als hundert Jahren gehören Strommasten zum Landschaftsbild.

Umweltverschmutzung: Hochspannungsleitungen versorgen uns mit Strom. Doch im Boden unter den Masten lauert eine Gefahr.

Hochspannungsleitungen versorgen uns mit Strom. Doch im Boden unter den Masten lauert eine Gefahr.

(Foto: Foto: dpa)

Die bis zu 60 Meter in den Himmel ragenden Gestänge sorgen dafür, dass Elektrizität fast überall verfügbar ist. In Verruf geraten sind die Freileitungen schon mal als Storchenkiller, weshalb sie oft mit großen bunten Bällen fürs Vogelauge kenntlich gemacht werden.

Auch werden die elektromagnetischen Felder rund um Hochspannungsleitungen gelegentlich verdächtigt, Krebs auszulösen. Doch in den vergangenen Monaten wurden sehr viel handfestere Gefahren bekannt, die von Überlandleitungen ausgehen: Unter vielen Strommasten ist der Boden mit dem giftigen Schwermetall Blei belastet.

Alarm geschlagen hatte der Stromnetzbetreiber RWE Transportnetz Strom GmbH. Das Unternehmen ließ, aufgeschreckt durch ähnliche Untersuchungen in der Schweiz, im vergangenen Jahr Bodenproben unter rund 200 seiner Höchstspannungsmasten in Nordrhein-Westfalen nehmen und auf Schwermetalle untersuchen.

Das mit den Messungen beauftragte Institut für Umwelt-Analyse in Bielefeld fand unter den Masten und im Umfeld oft deutlich erhöhte Bleiwerte im Boden. Vor allem ältere Masten hatten das umgebende Erdreich vergiftet. In einigen Fällen enthielt ein Kilogramm Erde mehr als ein Gramm Blei.

Auf Kinderspielplätzen gelten nur Werte von weniger als 0,2 Gramm Blei pro Kilogramm als unbedenklich, in Wohngebieten beträgt der Prüfwert, bei dem die Behörden der möglichen Gefahr nachgehen müssen, 0,4 Gramm. Auf landwirtschaftlichen Flächen sind Maßnahmen zur Gefahrenabwehr vorgeschrieben, wenn mehr als 1,2 Gramm Blei im Kilogramm Ackerboden stecken. Selbst dieser hohe Wert wurde in einer Stichprobe überschritten.

Gefahr für spielende Kinder?

Schuld ist das Bestreben, die stählernen Riesen vor dem Rosten zu schützen. Bis 1960 wurde dafür ausschließlich Bleimennige verwendet, die giftiges Bleioxid enthält. Danach kamen Farben mit reduziertem Bleigehalt zum Einsatz, seit 1993 sind nur noch bleifreie Rostschutzanstriche erlaubt.

Doch das Schwermetall wird im Boden nicht abgebaut. Die Altlasten zeugen noch von sorgloseren Zeiten, als beim Streichen leicht mal Rostschutzfarbe heruntertropfte und schadhafte Anstriche ohne besondere Vorsichtsmaßnahmen abgeschmirgelt wurden. Auch Regen wusch nach und nach das Blei von den Masten.

Rund um einen Strommast müssen nach Angaben des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) bis zu 5000 Quadratmeter Boden als belastet angesehen werden. "Besonders problematisch ist, dass das Blei in einer Form vorliegt, die sehr mobil ist. Es kann also leicht von Pflanzen aufgenommen werden", sagt Ingo Valentin, Bodenschutzexperte des BUND.

Gift unter Strommasten

Nachdem das Problem zunächst in Nordrhein-Westfalen bekannt geworden war, befasst sich inzwischen die Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft Bodenschutz (LABO) mit dem Gift unterm Strommast. Denn der Rostschutz mit dem hochgiftigen Schwermetall war im ganzen Land gang und gäbe. "Allerdings wurden in der DDR geringere Mengen Bleimennige eingesetzt", sagt Wilhelm König vom Umweltministerium in Nordrhein-Westfalen, das derzeit den Vorsitz der LABO stellt. Wie so vieles war auch Rostschutzfarbe knapp in der DDR.

Nun steht wohl kaum ein Höchstspannungsmast auf einem Kinderspielplatz. "Aber Kinder spielen ja auch in Hausgärten oder in Kleingartenanlagen. Hier gibt es durchaus solche Masten und damit die Gefahr, dass Kinder Blei aus dem Boden aufnehmen", sagt Ingo Valentin. Die systematische Erfassung von Masten an solchen sensiblen Standorten gehört denn auch zum Maßnahmenkatalog, den RWE im vergangenen Sommer vorlegte.

Hunderttausende Stahlgestänge

Inzwischen ist man ein wenig vorangekommen. 20 bis 30 Masten auf solchen Standorten seien in NRW identifiziert worden, sagt Wilhelm König. RWE-Sprecher Marian Rappl nennt noch höhere Zahlen: "Bundesweit gibt es in der RWE-Gruppe 140 Höchstspannungsmasten an sensiblen Standorten, davon 70 Prozent in NRW."

Derzeit fänden Begehungen mit den Behörden und einem Gutachter statt. Bodenanalysen sollen folgen, und wo die Grenzwerte tatsächlich überschritten sind, sollen "individuelle Maßnahmen" ergriffen werden. Das kann ein Bodenaustausch sein oder eine Bepflanzung, die das Gelände unzugänglich macht. Bei zehn bis 15 Prozent der sensiblen Standorte rechnet RWE mit einer Überschreitung der Grenzwerte.

Doch das ist wohl nur der Beginn. Denn zum bisher allein untersuchten Höchstspannungsnetz mit einer Spannung von 220 oder 380 Kilovolt (kV) gehören die wenigsten Masten. Bei der RWE AG, die etwa ein Drittel der deutschen Stromnetze betreibt, sind es rund 20.000. Doppelt so viele Strommasten gibt es im Hochspannungsnetz (50 kV bis 150 kV), und rund 80.000 Masten tragen das Mittelspannungsnetz (bis 30 kV).

Gift unter Strommasten

Auch diese sind verdächtig, ebenso wie die Strommasten der anderen Netzbetreiber - bundesweit also Hunderttausende von Masten. "Hinzu kommen Eisenbrücken und Stahlbauwerke, sofern sie schon einige Jahrzehnte alt sind", gibt Wilhelm König vom Umweltministerium in NRW zu bedenken. Denn Bleimennige kam bis in die 1970er Jahre überall zum Einsatz.

Wie viele solcher bleibelasteten Flächen saniert oder unzugänglich gemacht werden müssen, weiß derzeit niemand. "Die Untersuchungen laufen noch", sagt RWE-Sprecher Rappl.

Unklares Risiko für Äcker und Wiesen

Ungeklärt ist auch das Risiko durch die Bleibelastung von Äckern und Wiesen unter den Masten. Wie viel Blei hier in Getreide, Gemüse oder Gras übergeht, werde derzeit noch untersucht, so Rappl.

Eine schon angekündigte Gegenmaßnahme ist auf unbestimmte Zeit verschoben: Kalken solle man die belasteten Flächen, hatte eine Arbeitsgruppe des Landesamts für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW im vergangenen Jahr empfohlen; dadurch werde der Boden weniger sauer, das Blei gebunden und die Aufnahme in Pflanzen verringert.

Das Umweltministerium NRW hatte das Kalken schon bekannt gegeben, doch die Landwirtschaftskammern waren nicht begeistert. "Man befürchtete wohl eine Beeinträchtigung der Erntemengen", vermutet Valentin.

"Es wurden teilweise erhöhte Bleiwerte in Pflanzen gefunden, aber es blieb unklar, wie dies mit den Bleikonzentrationen im Boden und dem pH-Wert des Bodens zusammenhängt", sagt Wilhelm König. Die Kalkung wurde vorerst abgeblasen, ebenso wie die dazu angekündigten Feldversuche. Nun sollen die Zusammenhänge erst einmal im Labor untersucht werden.

Damit hätte man allerdings weit früher beginnen können, denn das Bleiproblem ist altbekannt. Nicht nur in der Schweiz, wo die Fachstelle Bodenschutz des Kantons Zürich 1994 einen Bericht über die "Schwermetallbelastung der Böden in der Umgebung korrosionsgeschützter Stahlobjekte" veröffentlichte.

Auch in Deutschland wies das Umweltbundesamt (UBA) schon 1982, als es das Umweltsiegel "Blauer Engel" für bleiarme Korrosionsschutzfarben einführte, darauf hin, dass Bleimennige auf Stahlbauten zu erheblichen Umweltbelastungen führe.

Unter den bedeutendsten Verwendern nannte das UBA seinerzeit auch die Energieversorgungsunternehmen mit ihren Strommasten. Spezielle Untersuchungen oder gar Maßnahmen zur Bodensanierung wurden jedoch nicht veranlasst.

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