Umweltschutz:Der ökologische Imperativ

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Die ersten Generationen sind schon geboren, die dafür haften werden, dass Milliarden Menschen geschlossen in die Verschwendungsfalle gelaufen sind.

Michael Bauchmüller

Die erste Büßergeneration ist schon geboren. Weitere Generationen werden folgen, alle gemeinsam werden sie haften dafür, dass Milliarden Menschen geschlossen in die Verschwendungsfalle liefen. So sieht die pessimistische Sicht der Dinge aus, zur Zuversicht gibt es wenig Grund. Allenfalls zu Hoffnung.

Schutz von Ressourcen wird zum Selbstzweck. (Foto: Foto: dpa)

Verschwendung war lange kein Problem, sie war Verheißung und Bedingung des globalen Wachstums zugleich. Eine wachsende Weltbevölkerung verlangte mehr Nahrung, mehr Felder, mehr Dünger. Wachsender Wohlstand verlangte neue Produkte, neue Fabriken, neue Straßen. Aus Bürgern wurden Verbraucher. Und der Verbraucher verbrauchte: Flächen, Fische, Erdöl, Wasser, Holz. Er nahm, was er brauchte, solange er bezahlen konnte. Die Folgen trugen andere.

Erstmals sind diese anderen nun mitten unter uns. Erstmals lässt sich der Preis der Verschwendung nicht allein auf spätere Generationen abschieben, weil gegenwärtige ihn schon zu zahlen haben. Schutz von Ressourcen wird Selbstzweck; Umweltschutz ist nicht mehr Last, sondern Prämisse wirtschaftlichen Handelns. Diese Einsicht war überfällig.

Grenzen des Wachstums

Angehörige der ersten deutschen Büßergeneration haben sich das Geld für den Monat gut eingeteilt, sitzen demnächst aber ratlos vor der Nebenkosten-Nachforderung. Oder sie werden, sind sie besser betucht, auf die schöne Fernreise verzichten, weil die Flüge plötzlich viel teurer sind. Energie treibt die Teuerung, Ansprüche werden bescheidener. Es ist erst der Anfang.

Zu kämpfen hat jedes Land auf seine Weise. Einst fruchtbare Regionen versteppen, weil sich Böden nicht regenerieren können und Wasser knapp wird. Hunger breitet sich aus. Regenwälder weichen Ackerflächen, denn die Viehzucht braucht mehr Soja. Das verschärft den Klimawandel. Der kommerzielle Fischfang könnte zur Mitte des Jahrhunderts kollabieren, weil sich die Bestände kaum noch erholen. Ganze Ökosysteme brechen binnen weniger Jahrzehnte zusammen. Die Welt hatte Rezepte für den Erhalt der Lebensbedingungen einer wachsenden Bevölkerung. Rezepte für den Erhalt der Lebensgrundlage fehlen ihr.

Über Jahrhunderte ließ sich beides nicht trennen. Die Lebensgrundlage, eine einigermaßen intakte Umwelt, war stets maßgeblich für die Lebensbedingungen. Wer von seinen Feldern leben wollte, der musste sie pflegen. Wer jagen wollte, durfte nicht alles erlegen. Angesichts einer überschaubaren Weltbevölkerung war das lange kein größeres Problem. Erst neue Technologien, Chemikalien, Maschinen sprengten die natürlichen Grenzen. Die Umwelt wurde zur lästigen Fessel des Wachstums, die es zu lösen galt. Nur: Das ist unmöglich.

Nirgends lässt sich das besser ablesen als an den Ölmärkten. Zunehmend werden hohe Erdölpreise zur Bedrohung des globalen Wachstums. Aber niemand kann ernstlich behaupten, dies überrasche ihn. Bedenkenlos folgten alle großen Schwellenländer dem Wachstumspfad der alten Industriestaaten. China erhöht zwar die Steuern auf Luxuslimousinen, Indien motorisiert sich mit dem Spritspar-Auto Tata Nano.

Verheerender Antagonismus

Beim jetzigen Wachstumstempo muss dennoch zwangsläufig die Nachfrage nach der begrenzten Ressource Erdöl das Angebot übersteigen. Wenn Irans Opec-Gesandter für die Zukunft einen Preis von 500 Dollar je Fass prognostiziert, mag das verwegen klingen, ganz ausgeschlossen aber ist es nicht mehr. Ob Spekulation oder reale Rohstoff-Knappheit den Preis treiben, spielt dabei letztlich keine Rolle. Tatsache ist, dass erstmals ein elementares Gut derart im Preis steigt, dass es den gesamten Wachstumspfad in Frage stellt. Das muss gar nicht schlecht sein.

Ein verheerender Antagonismus könnte aufbrechen: der vermeintliche Widerspruch von Ökonomie und Ökologie. In der jüngeren deutschen Geschichte zählt der Streit zwischen Wirtschaft und Umweltschutz zu den verlässlichsten Konflikten. Stets galt Umweltschutz zwar grundsätzlich als wünschenswert, im Einzelfall aber als Feind von Industrie oder Arbeitsplätzen, jedenfalls als zu kostspielig. Werden dagegen Lebensgrundlagen rar und teuer, ändert sich das betriebswirtschaftliche Kalkül. Dann ist es plötzlich rentabel, weniger oder andere Energie zu nutzen, auch wenn das zunächst viel kostet. Eine Ökologisierung von Produktion und Arbeitsweise wird zutiefst ökonomisch. Es ist, als begegnete die Wirtschaft erstmals dem ökologischen Imperativ der Nachhaltigkeit.

Was das für ein Land wie Deutschland bedeutet, lässt sich kaum übersehen. Die gesamte Infrastruktur ist auf Verschwendung angelegt. Wir organisieren Mobilität größtenteils mit Verbrennungsmotoren auf mehrspurigen Straßen. Wir setzen bei der Erzeugung von Strom fast ausschließlich auf Großkraftwerke, die aus Brennstoffen nicht einmal die Hälfte der Energie holen; Wärme erzeugen wir separat mit Millionen wenig effizienten Gas- und Ölheizungen. Wir verpulvern Energie im Stau, wir jagen sie durch alte Fenster und Dachstühle oder pumpen sie in Flüsse, die unsere Kraftwerke kühlen. So ist dieses Land nicht zukunftsfest.

Kein Land ist zukunftsfest

Gemessen an der Verteuerung von Rohstoffen und einem ungebremsten Klimawandel, ist derzeit kein Land zukunftsfest. Aber kaum eines ist so befähigt wie Deutschland, technologische Antworten zu finden - von neuen Kraftfahrzeug-Antrieben über intelligente Strom- und Verkehrsnetze bis hin zu erneuerbaren Energien. Auch setzt sich kein anderes Land derart selbst unter Druck. Der Atomausstieg macht die Suche nach Alternativen zwingend. Der Emissionshandel, mit dem Europa den Kohlendioxid-Ausstoß verteuert, trifft vor allem die deutsche Kohle. Das zwingt zum Pioniergeist auf dem Weg zu effizienteren Strukturen, die langfristig die ganze Welt braucht. Eine dauerhaft bezahlbare, umweltverträgliche Energieversorgung wird es anders nicht geben. Die Herausforderung, auch die Verantwortung, ist immens.

Sie türmt sich auf wie ein Berg; der Weg hinauf wird für viele sehr teuer. Die Frage ist, ob sie durchhalten. Alle jüngeren Vorschläge sind mutlos, sie zielen nur auf den Erhalt des Status quo. Im Wahlprogramm der CSU soll die Pendlerpauschale die Mobilität sichern, nicht etwa besserer Personennahverkehr. Kostenloser Strom soll ärmere Haushalte entlasten, nicht etwa die Unterstützung beim Energiesparen. Nach dem Willen des Berliner Finanzsenators Thilo Sarrazin sollen Menschen Pullover anziehen, wenn die Heizkosten steigen. Es ist der traurige Tiefpunkt der Debatte.

Es ist wahr: Mit der Verteuerung der Energie droht ein neuer Graben quer durch und zwischen Gesellschaften, denn Energiearmut trifft die Schwachen zuerst. Lindern lässt sich dieses Problem vorerst nur mit Sozialpolitik, so schnell lassen sich krumme Strukturen nicht begradigen. Lehrreich ist die Erfahrung allemal: Rücksicht auf natürliche Lebensgrundlagen ist weder Luxus noch Last. Sie ist Bedingung wirtschaftlichen Überlebens. Gut, dass die Industriestaaten das jetzt zu spüren bekommen.

© SZ vom 02.08.2008/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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