Umwelt:Wenn jede Alltagsbeobachtung zu Alarmismus führt

Frühlingsanfang

Die Zahl der Insekten ist vielerorts rückläufig. Doch genaue Zahlen sind rar.

(Foto: dpa)

Meldung wie das "verheerende Insektensterben in Deutschland" fühlen sich so wahr an, dass oft gar nicht nach deren Ursprung gefragt wird. Ein großer Fehler.

Kommentar von Tina Baier

Neulich einen Lehrer im Freibad gesichtet? Kein Wunder, Lehrer haben bekanntlich vormittags recht und nachmittags frei. Der Nachbarsjunge war beim Kinderarzt und hat jetzt Fieber? Da sieht man mal wieder, wie gefährlich Impfen ist. Aus persönlichen Erfahrungen allgemeingültige Schlüsse zu ziehen - sogenannte Alltagstheorien -, ist menschlich. Nur sind solche Verallgemeinerungen fast immer falsch. In der Wissenschaft und in den Medien, zumindest in den seriösen, haben sie nichts zu suchen.

Trotzdem schaffen es Meldungen, die mehr mit gefühlter Wahrheit als mit wissenschaftlicher Evidenz zu tun haben, immer wieder in Zeitung, Radio und Fernsehen und natürlich ins Internet. "Das Bundesumweltministerium warnt vor einem fortschreitenden Insektensterben in Deutschland", meldete dpa diese Woche. In Teilen des Landes habe sich der Bestand um bis zu 80 Prozent verringert. Und weil das in Zeiten von Glyphosat und Bienensterben so schön in die eigene Erlebniswelt passt, griffen nahezu alle wichtigen Medien die Nachricht auf, auch süddeutsche.de, wo die Meldung über einen automatisierten dpa-Kanal einfloss.

Ergebnisse aus Krefeld lassen sich nun mal nicht auf ganz Deutschland übertragen

Von "einem verheerenden Insektensterben in Deutschland" war die Rede und davon, dass "in der deutschen Natur ein großes Insektensterben" vor sich gehe. Viele ließen den ursprünglichen Zusatz "in Teilen des Landes" gleich ganz weg, der zugegebenermaßen sprachlich sperrig ist, in diesem Fall aber wichtig gewesen wäre. Geht man nämlich der Frage nach, woher die alarmistischen 80 Prozent eigentlich kommen und auf welche wissenschaftliche Untersuchung sie zurückzuführen sind, stößt man auf eine Studie des Entomologischen Vereins Krefeld in Nordrhein-Westfalen.

In löblicher Fleißarbeit haben die meist ehrenamtlichen Mitglieder jahrelang Insekten gefangen und gezählt - unter anderem im Krefelder Naturschutzgebiet Orbroicher Bruch. Die Studie ist sicher ein wichtiger Beitrag zu einer wohlgemerkt wichtigen Debatte. Nur lassen sich die Ergebnisse aus dem Orbroicher Bruch natürlich nicht auf ganz Deutschland, Europa, oder gar die ganze Welt übertragen. Die Studie ist nicht einmal neu, sondern wurde bereits im Jahr 2013 in den "Mitteilungen aus dem Entomologischen Verein Krefeld" veröffentlicht.

Damit soll nicht abgestritten werden, dass die Zahl der Insekten vielerorts tatsächlich rückläufig ist. Selbstverständlich ist es berechtigt, sich Sorgen über diese Entwicklung zu machen. Und natürlich ist es wichtig, die Ursachen dafür herauszufinden. Aber bitte ohne Alltagstheorie à la "in meinem Schlafzimmer sind diesen Sommer auch weniger Mücken". Das ist nur kontraproduktiv.

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