Überlebenskünstler:Wie Fliegen die Fliege machen

Eine Fliege zu erschlagen, ist schwierig. Denn das flinke Insekt lässt sich kaum erwischen. Wie ihm die Flucht gelingt, haben Forscher jetzt herausgefunden.

Matthias Hopfmüller

Die Hand klatscht auf die leere Tischplatte, die Fliege war schneller. So ist es bei fast jedem Versuch - kein Schlag sitzt, jedes Mal entkommt das Insekt.

Überlebenskünstler: Wenn sie Gefahr ahnen, begeben sich Fliegen schon mal in die richtige Startposition.

Wenn sie Gefahr ahnen, begeben sich Fliegen schon mal in die richtige Startposition.

(Foto: Foto: ddp)

Egal, ob der Jäger seinen Hieb von vorne ausführt, in der Hoffnung, dass die Fliege ihm dann automatisch entgegen komme; oder ob die flache Hand von hinten an das Insekt heran saust, in der Überzeugung, dass die Fliege die Bedrohung dann den entscheidenden Moment zu spät realisiere.

Fliegen sind fast immer schneller und das hat seinen guten Grund, wie Michael Dickinson und Gwyneth Card vom California Institute of Technology in der aktuellen Ausgabe von Current Biology schreiben. Demnach sind Fliegen stets Herren der Lage, sie wissen genau, wohin sie flüchten müssen, um einer drohenden Gefahr zu entgehen.

Egal, ob flache Hand oder Fressfeind, ob von vorne, von hinten oder von der Seite - die Tiere registrieren die nahende Bedrohung binnen Millisekunden, bringen sich dann aber erstmal so in Stellung, dass sie mit einem Sprung in die beste Fluchtrichtung wegfliegen können.

Hilfsmittel Facettenauge

Der Vorgang läuft in Bruchteilen von Sekunden ab und ist für das menschliche Auge nicht wahrnehmbar. Dickinson und Card filmten das Fluchtverhalten der Fliegen mit Hochgeschwindigkeitskameras, die 5400 Bilder pro Sekunde machen.

Damit konnten die Wissenschaftler erkennen, dass die Tiere nicht einfach nur wegfliegen, sondern gezielt in die Richtung starten, die den besten Fluchtweg verspricht. Naht die Bedrohung von vorne, heben die Fliegen mit einem Sprung nach hinten ab, droht dagegen Gefahr von hinten, springen sie nach vorne weg. Seitlichen Angriffen entgehen sie mit dem Start nach der jeweils anderen Seite.

Wichtigstes Hilfsmittel der Fliegen ist ihr Facettenauge, das nicht nur einen fast unbegrenzten Rundumblick ermöglicht, sondern auch 300 Einzelbilder pro Sekunde unterscheiden kann. Beim Menschen verschwimmen bereits etwa 20 Bilder pro Sekunde zu einem Film.

Zudem arbeitet das Zentralnervensystem der Insekten zehnmal so schnell wie das des Menschen. Kein Wunder also, dass die Startvorbereitungen einer Fliege nur rund 200Millisekunden dauern. Das genügt, dass der Schlag, den ein Mensch ausführt, meist zu spät kommt.

Wie die Filme von Dickinson und Card zeigen, löst der optische Reiz durch die nahende Gefahr bei den Fliegen eine Abfolge von Bewegungen aus. Zunächst setzen die Tiere die vorderen und hinteren ihrer drei Beinpaare auf. Dann bringen sie sich in die optimale Startposition. Je nachdem woher die Gefahr kommt, versetzen sie ihr mittleres Beinpaar, also die Sprungbeine, nach vorne oder hinten und lehnen zudem ihren Körper weg von der Gefahr.

Gezielte Reaktionen

Dadurch verlagern sie ihren Körperschwerpunkt so über die Sprungbeine, dass deren Schnellkraft sie beim Absprung gleich in die richtige Richtung katapultiert: weg von der Gefahr. Wenige Millisekunden vor dem Sprung entfalten sich zusätzlich die Flügel und unterstützen durch einen Schlag nach unten den Abflug.

Obwohl nur 200 Millisekunden von der ersten sichtbaren Reaktion auf die drohende Gefahr bis zu dem Moment vergehen, in dem Fliegen ihre Fluchtpositionen eingenommen haben, handelt es sich bei der Bewegungsabfolge nicht um Reflexe.

So konnten die Wissenschaftler beobachten, dass die Tiere einen Start vorbereiteten, diesen dann aber doch nicht ausführten, wenn die Gefahr sich als harmlos erwies. Reflexe laufen dagegen automatisch ab und wären nicht willentlich unterbrechbar.

Zudem passen die Fliegen ihren Bewegungsablauf nicht nur an die Richtung an, aus der die Gefahr droht. Sie berücksichtigen auch ihre Körperhaltung beim Eintritt der Gefahrensituation. Je nachdem, wo der Körperschwerpunkt gerade liegt, verändern sie ihre Haltung nur gerade so viel oder wenig wie nötig.

Schnelles Fliegenhirn

Stehen etwa die Sprungbeine zufälligerweise gerade richtig, werden sie nicht noch mal extra bewegt. So können die Tiere jederzeit ohne Zeitverlust ihre Startposition einnehmen, egal ob sie gerade laufen, fressen oder sich putzen.

Für Michael Dickinson sind diese Erkenntnisse ein Grund zur Bewunderung: "In der extrem kurzen Zeit von 200 Millisekunden entscheidet die Fliege, woher die Gefahr kommt und aktiviert den Bewegungsablauf, um Beine und Flügel richtig zu positionieren." Das zeige, wie schnell das Fliegenhirn Information verarbeite und eine passende motorische Antwort finde.

Der Forscher hofft, dass seine Ergebnisse für eine höhere Wertschätzung gegenüber Fliegen sorgen. Die Menschen sollten "denken, bevor sie zuschlagen". Kein übler Vorschlag: Man könnte zum Beispiel darüber nachdenken, ob es nicht erfolgversprechend wäre, von zwei Seiten gleichzeitig anzugreifen.

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