Übergewicht in den USA:Das dicke Ende

Entgegen allen Klischees: Der Anteil übergewichtiger Amerikaner stagniert auf hohem Niveau. Anderswo stellt das Übergewicht eine größere Gefahr dar.

Werner Bartens

Sie sind das Maskottchen jeder Debatte über Ernährung, Übergewicht und Diäten. Ohne die Bilder von dicken US-Bürgern in XXL-Shorts, die vor Fett kaum laufen können, wird keine Magazingeschichte über die weltweite Seuche Übergewicht illustriert. Die ikonographische Verwendung der superdicken Amerikaner soll vor allem eines deutlich machen: Dort sind die Menschen bereits heillos aus den Fugen geraten - und auch bei uns wird es immer schlimmer.

Übergewicht in den USA: Das Klischee lebt weiter, doch der Schein trügt. Amerikaner werden nicht mehr immer dicker.

Das Klischee lebt weiter, doch der Schein trügt. Amerikaner werden nicht mehr immer dicker.

(Foto: Foto: AP)

Das Problem an der dick aufgetragenen Geschichte: Wissenschaftlich lässt es sich nicht mehr halten, dass immer mehr Amerikaner immer dicker werden. Gleich drei Artikel im Fachblatt Journal of the American Medical Association (Bd.303, S.235, 242, 275, 2010) vom heutigen Mittwoch zeigen, dass der Anteil der Übergewichtigen in den USA nicht mehr oder nur noch geringfügig zunimmt.

Die Arbeitsgruppe um Katherine Flegal vom Nationalen Zentrum für Gesundheitsstatistik in Hyattsville hat die jüngsten Zahlen zum Gewicht der Amerikaner analysiert. Darunter waren repräsentative Daten von 4000 Kleinkindern, Kindern und Jugendlichen sowie von 5555 Erwachsenen, die zuletzt 2008 erhoben wurden. Demnach gehörten in den USA 9,5 Prozent der Kinder und etwa 18 Prozent der Jugendlichen zur Gruppe der stark Adipösen. Dieser Anteil ist in den vergangenen Jahren aber ziemlich konstant geblieben.

Dünnere Frauen

Unter den erwachsenen Amerikanern galten 33,8 Prozent als adipös und 68 Prozent als übergewichtig oder adipös. Diese Daten von 2008 zeigen im Vergleich zu den Erhebungen von 1999 bei Frauen keine Veränderungen und bei Männern nur einen geringfügig größeren Anteil an Wohlbeleibten. Ein viel größerer Anstieg war hingegen in den siebziger und achtziger Jahren zu beobachten. "Unsere Daten zeigen, dass sich dieser Trend besonders bei Frauen, aber wohl auch bei Männern nicht weiter fortsetzt", sagt Flegal.

Die Weltgesundheitsorganisation definiert vier Gewichtskategorien, und die meisten Ärzte haben diese Einteilung übernommen: Untergewicht besteht bei einem Body Mass Index (BMI) unter 18,5. Ein BMI zwischen 18,5 und 24,9 gilt als Normal- oder Idealgewicht. Ein BMI von 25 oder mehr bedeutet Übergewicht, jenseits der 30 sprechen Ärzte von Adipositas oder Fettleibigkeit. Der BMI errechnet sich, indem das Gewicht durch die ins Quadrat genommene Körpergröße (in Metern) geteilt wird. Bei 1,80 Metern Größe und 80 Kilogramm Gewicht liegt der BMI demnach bei 24,7.

Ideal- statt Übergewicht

Dass die Grenze zum Übergewicht bereits mit einem BMI von 25 überschritten wird, hatte die WHO 1996 festgelegt. Die Gesundheitsinstitute der USA setzten den Grenzwert 1998 von 27,5 auf 25 hinunter - und erklärten damit auf einen Schlag 35 Millionen beschwerdefreie Amerikaner zu übergewichtigen Risikoträgern. In den vergangenen Jahren war erhebliche Kritik an der Definition aufgekommen, dass Übergewicht mit einem BMI von 25 beginne. Das Team um Katherine Flegal hatte 2007 gezeigt, dass Menschen mit leichtem Übergewicht - das heißt einem BMI um 27 - am längsten leben und am seltensten krank sind, so dass diese Gewichtsklasse eigentlich in Idealgewicht umbenannt werden sollte.

Die Diät- und Ernährungsindustrie und mit ihr verbundene Wissenschaftler wehren sich naturgemäß dagegen, dass ein kleiner Hüftring und etwas Bauchansatz gesund sein sollen. Sie sehen leichtes Übergewicht gleichsam als Einstiegsdroge zur Fettleibigkeit und warnen - gerne mit Bildern von unfassbar dicken Amerikanern - vor den Folgen der maßlosen Völlerei. Nach bisherigen Erkenntnissen steigt das Risiko für Infarkt, Schlaganfall, Diabetes und Krebs bei starkem Übergewicht aber erst jenseits eines BMI von 29 oder 30. Adipositas im Kindesalter erhöht schon früh die Wahrscheinlichkeit, später Infarkte und chronische Erkrankungen zu bekommen.

"Gute Neuigkeiten"

"Die Ergebnisse von Flegal sind gute Neuigkeiten", schreibt der Harvard-Kardiologe Michael Gaziano in einem begleitenden Kommentar. "Wir müssen aber auch der ernüchternden Tatsache ins Auge sehen, dass die Mehrzahl der Amerikaner übergewichtig und ein Drittel adipös ist - mit allen gesundheitlichen Folgen." Mögen die USA auch ein Plateau erreicht haben - in Ländern, die einen Entwicklungssprung vor sich haben, drohe sich das Übergewicht noch weiter auszubreiten.

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