Übergewicht:Dick nach der Infektion

Viele Faktoren können bei der Entwicklung von Übergewicht eine Rolle spielen. Nun mehren sich die Hinweise darauf, dass sich darunter auch ein Virus befindet, das Lunge und Augen befällt.

Neben falscher Ernährung, den Genen und anderen Faktoren, die anfälliger gegenüber Übergewicht machen sollen, gerät zunehmend ein weiterer möglicher Auslöser ins Visier der Mediziner: Ein Virus.

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Viele Faktoren können eine Rolle bei der Entwicklung von Fettsucht spielen. Einer dieser Faktoren ist möglicherweise ein Virus.

(Foto: dpa-tmn)

Bereits seit einigen Jahren vermuten Forscher, dass das sogenannte humane Adenovirus-36 (AD-36) mit der Entwicklung von Fettsucht zusammenhängen könnte. Das Virus befällt normalerweise die Lungen oder die Augen von Menschen. In Tierversuchen konnte gezeigt werden, dass eine Infektion zu Gewichtszunahmen führt. Und im Labor ließen die Erreger adulte Stammzellen sich in Fettzellen verwandeln.

Im Rahmen einer epidemiologischen Studie an US-Bürgern konnten Wissenschaftler darüber hinaus zeigen, dass 30 Prozent adipöser Amerikaner Antikörper gegen das Virus aufweisen - das bedeutet, ihr Immunsystem hat irgendwann in ihrem Leben einmal gegen das Virus gekämpft -, während es unter schlanken Menschen lediglich elf Prozent waren.

Nun berichten Forscher von der University of California in San Diego in der heutigen Online-Ausgabe des Fachmagazins Pediatrics von ähnlichen Beobachtungen an amerikanischen Kindern. Jeffrey Schwimmer und sein Team untersuchten 124 Kinder im Alter von acht bis 18 Jahren.

Bei 19 von ihnen entdeckten sie Antikörper gegen AD-36. 15 der infizierten Kinder (78 Prozent) waren übergewichtig. Unter dem schlanken Nachwuchs gab es dagegen nur vier Fälle von AD-36-Infektionen. Darüber hinaus waren die infizierten fettsüchtigen Kinder selbst für die Gruppe der Übergewichtigen besonders dick.

Da allerdings nur 15 von 67 übergewichtigen Probanden infiziert waren, muss die überwiegende Mehrheit ihr hohes Körpergewicht offenbar unabhängig von einer Infektion entwickelt haben. Das Virus kann demnach einer von vielen Faktoren sein, die das Risiko für Fettsucht erhöhen. Andere Faktoren sind falsches und übermäßiges Essen, Bewegungsmangel, Gene, psychologische Belastung oder der sozioökonomische Status.

"Diese Menge von überschüssigem Gewicht ist für jedes Alter ein Anlass zur Sorge, aber besonders für ein Kind", warnt Schwimmer. Fettsucht kann mit vielen späteren Problemen zusammenhängen, etwa Herz- und Leberleiden sowie Diabetes.

"Viele Menschen glauben, dass Fettsucht die Schuld des Betroffenen oder seiner Eltern oder Familie ist", sagt Schwimmer. "Unsere Arbeit belegt, dass die Entwicklung des Körpergewichts deutlich komplizierter ist, als angenommen." Der Mediziner hofft nun, dass seine Forschungsergebnisse helfen, einige Übergewichtige, insbesondere Kinder, von einem Teil der seelischen Belastung zu befreien. "Es ist Zeit, dass wir uns davon verabschieden, andere zu beschuldigen und stattdessen unser Verständnis vergrößern", fordert Schwimmer.

Bislang ist noch völlig unklar, unter welchen Umständen AD-36-Infektionen stattfinden, warum das Virus sich so unterschiedlich auf Menschen auswirkt, und ob die Gewichtszunahme das Ergebnis der Infektion selbst ist, oder die Folge einer Veränderung im Stoffwechsel des Betroffenen, erklären die Forscher.

Andere Wissenschaftler betonen, dass die relativ kleine Studie zwar auf einen Zusammenhang hinweist, aber Ursache und Wirkung noch lange nicht klar sind. "Es könnte zum Beispiel sein, dass adipöse Menschen ein größeres Risiko haben, sich mit AD-36 zu infizieren", erklärte etwa Julian Hamilton-Shield von der University of Bristol der britischen BBC. Ein Hinweis darauf, dass AD-36 auf irgendeine Weise an der Entwicklung von Fettsucht bei Kindern beteiligt sein könnte, sei die Studie aber allemal, erklärt der Mediziner.

(Ein Video mit Statements von Jeffrey Schwimmer finden Sie hier)

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