Überfischung:Misere der Steppenangler

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Die Überfischung der Meere wird immer dramatischer. Doch nun steckt ein Teil der Welt in der Krise, von dem man es nicht erwartet hätte.

Jan Wehberg

Fisch wird immer knapper, die Überfischung der Meere immer dramatischer. Das ist bekannt. Doch nun steckt ein Teil der Welt in einer Fischereikrise, von dem man es nicht erwartet hätte: Zentralasien mit seinen weiten Steppenlandschaften fernab der großen Weltmeere. Fisch ist nicht das Erste, woran Menschen beim Wort Steppe denken, aber auch dort ist Fisch ein Grundnahrungsmittel. Er sorgt für Abwechslung und liefert wichtige Proteine für die Bewohner Usbekistans, Turkmenistans oder Kasachstans. Doch die müssen inzwischen weitgehend darauf verzichten.

Baumwolle bringt Geld nach Usbekistan, aber auch tonnenweise Pestizide. (Foto: Foto: AP)

Nach Angaben der UN-Ernährungsorganisation FAO sind die Fischbestände in den Gewässern der ehemaligen Sowjetrepubliken zusammengebrochen. Die jährliche Fischproduktion ist bis zu 70 Prozent zurückgegangen. In Usbekistan wurden 2006 nur noch 7200 Tonnen Fisch gefangen, im Jahr 1991 waren es noch 27200 Tonnen. In Tadschikistan und Kirgistan ist die Produktion gar um fast 100 Prozent gefallen. Der Verbrauch von Fisch liegt in Usbekistan der FAO zufolge bei nur noch 500 Gramm pro Person und Jahr. In den 1980er Jahren war noch das Zehn- bis Zwölffache üblich.

Das "weiße Gold" wird zum Problem

Ursachen für den Rückgang der Fischbestände sind laut FAO Überfischung, schlechtes Management im Fischereiwesen sowie fehlende Investitionen in die Aufzucht von Jungfischen und die Forschung. Und es gibt noch ein Problem: die Baumwolle, das "weiße Gold" der Steppe. Ihr Anbau bringt Geld nach Usbekistan und in andere ehemalige Sowjetrepubliken, aber auch tonnenweise Pestizide, die die Gewässer belasten. Außerdem benötigt Baumwolle während der Wachstumsphase sehr viel Wasser. Fast alle Seen und Flüsse der Region dienen der Be- und Entwässerung der Felder oder sind zu Rückhaltebecken und Sammelteichen für Abwässer verkommen.

Im schlimmsten Fall wird so viel Wasser entnommen, dass Flüsse und Seen austrocknen. Prominentestes Beispiel ist der Aralsee im Norden Usbekistans, der seit 1960 mehr als die Hälfte seiner Fläche verloren hat. Heute verrosten Schiffe im Sand, wo in den 1960er Jahren noch 25000 Tonnen Fisch pro Jahr ins Netz gegangen sind. Illegales Angeln in den überfischten Gewässern gibt den Beständen den Rest. Konstantin Zgurovsky vom World Wide Fund for Nature (WWF) in Russland sagt: "Wegen der hohen Arbeitslosigkeit haben die Menschen kein Geld, Fisch zu kaufen, dafür aber genügend Zeit, angeln zu gehen."

Zu Sowjetzeiten wurden in Usbekistan und anderen Teilrepubliken zahlreiche Fischfarmen angelegt, um die sinkenden Fangzahlen auszugleichen. Selbst in Wasserrückhaltebecken wurden Fische gesetzt. Usbekistan war damals einer der größten Karpfenproduzenten der UdSSR. Heute könnten Angler an den künstlich angelegten Gewässern besonders ruhige Stunden verbringen, denn Fisch kommt praktisch nicht mehr darin vor. Schuld an der Misere ist laut einer FAO-Studie aus dem vergangenen Jahr die chaotische Privatisierung des Fischereiwesens und der Aquakulturen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Bis heute sind die Besitzverhältnisse bei den Fischfarmen unklar.

Forellenfarmen in den Bergen

"Geld für den Import von Fisch ist nicht vorhanden", sagt Michael Matthies, Direktor des Instituts für Umweltsystemforschung in Osnabrück, der die Gründe für den Fischmangel untersucht. Ohnehin hätten die meisten der betroffenen Staaten kaum Handelsbeziehungen zu anderen Ländern. Kürzlich diskutierten Vertreter der zentralasiatischen Staaten bei einem Treffen in Tadschikistan, wie die Krise beendet werden könnte. Ein zwischenstaatliches Fischerei-Gremium soll nun die Zusammenarbeit koordinieren. Als Sofortmaßnahme könnten Forellenfarmen in bergigen Regionen mit ausreichenden Wasservorräten entstehen. Matthies sagt: "Im Augenblick sieht es aber noch nicht so aus, als ob sich die natürlichen Bestände wieder erholen würden."

© SZ vom 17.12.2008/agfa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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