Transplantation:Nicht um jeden Preis

Nur die wenigsten Patienten befürworten die Vorstöße zur Ausweitung der Lebendspende und zum Organhandel.

Gerhild Drüe, Mitglied der Ethikkommission der Deutschen Transplantationsgesellschaft.

(SZ vom 02.07.2002) - Vor kurzem hat ein Vorstoß des Essener Chirurgen Christoph Broelsch heftige Reaktionen ausgelöst: Er hatte gefordert, Menschen, die zu Lebzeiten ein Organ spenden, finanziell zu entlohnen (SZ, 8. und 11.6.). Nachdem der Transplantationschirurg Gundolf Gubernatis aus Hannover in dieser Zeitung prophezeit hat, dass legalisierter Organhandel den Mangel an Spenderorganen vergrößern würde, äußert sich heute die Patientenvertreterin Gerhild Drüe zu dem Vorstoß, den die Bundesärztekammer vor wenigen Tagen "ethisch verwerflich" genannt hat.

Es wirkt wie von langer Hand geplant: Noch gerade rechtzeitig vor der Verabschiedung des Transplantationsgesetzes im Jahr 1997 waren genügend Experten umgeschwenkt - meist Ärzte, die auf Grund von Rang oder Namen ihren Einfluss geltend machen durften. Ihnen gelang es, den Gesetzgeber zu überzeugen. So waren die Bedenken, Organspenden nicht nur von Toten, sondern auch von Lebenden in größerem Ausmaß zuzulassen, bald zerstreut.

Dabei registrierte der Gesetzgeber offenbar nicht, dass mit solchen Lebendspenden, die einige Transplantationschirurgen massiv propagieren, eine Veränderung des gesellschaftlichen Grundkonsens in Gang gesetzt worden war: dem Schutz der körperlichen Integrität von Lebenden. Keine Gültigkeit mehr hatte die bis dahin geltende Übereinkunft, dass Organspenden von Lebenden auf engste Verwandte beschränkt bleiben sollten.

Gesetz gegen die Kommerzialisierung

Vehement sprach man sich aber damals noch gegen eine Kommerzialisierung der Organspende aus. Relativ schnell wurde ein Gesetz erarbeitet, um eben diese zu verhindern. Einig war man sich auch in der Empörung, als in Deutschland die ersten Organhändler ihre Dienste anboten.

Man ächtete sie als skrupellose Geschäftemacher. Noch herrschte damals - zumindest öffentlich - Übereinstimmung darüber, dass Organspende keinesfalls mit Geld zu verquicken sei.

Dennoch wurde weiter versucht, den bisherigen Konsens auszuhebeln. Der Lübecker Transplantationschirurg Jochen Hoyer erregte Aufsehen, weil er einem Unbekannten eine Niere spenden wollte - auch um zu beweisen, dass die Risiken der Lebendspende äußerst gering seien. Er wollte eine Tür öffnen, die das Transplantationsgesetz nicht öffnen wollte, denn es erlaubt die Lebendspende nur für sich emotional Nahestehende.

Doch Hoyer bekam einen "Bambi" und überraschend wenig Kritik. Die kam aber auch von Patientenseite - wie etwa vom Bundesverband Dialysepatienten Deutschlands. Denn nicht alle Nierenkranken wollen, wie dies häufig scheint, um jeden Preis ein neues Organ.

Patienten wollen postmortale Spende unterstützen

Die meisten Dialysepatienten wissen wohl allzu gut, warum sie lieber auf eine Niere von einem Verstorbenen warten, statt sie von einem Angehörigen anzunehmen - auch wenn ihr Leben mit der Maschine große Entbehrungen mit sich bringt.

Sie kennen den Wert von Gesundheit, da sie ihre verloren haben. Sie wollen nicht für mögliche Schäden mitverantwortlich sein, die ein Lebendspender davontragen könnte. Vielmehr wollen sie die postmortale Organspende unterstützen, etwa indem sie den Angehörigen verstorbener Organspender Dank bekunden.

Trotz der Vorbehalte - auch und gerade von Patientenseite - hören die Angriffe auf das Transplantationsgesetz nicht auf. Wohl wissend, dass er in Deutschland mit dem Transplantationsgesetz in Konflikt geraten würde, machte vor einiger Zeit ein hoher Funktionär der Transplantationschirurgie - das Vorstandsmitglied der Deutschen Stiftung Organtransplantation Günter Kirste aus Freiburg - mit einer "Crossover-Lebendspende" in der Schweiz von sich reden.

Indem er zwei Nieren zwischen zwei Paaren tauschte, die sich zuvor gar nicht gekannt hatten, versetzte er der Tür zur Enttabuisierung einen weiteren Stoß. Seiner Karriere schadete es nicht.

Die Tür wird aus den Angeln gehoben

Wenn jetzt ausgerechnet Transplantationschirurgen den Wert der Organspende in Geldeswert umzumünzen beginnen, hebt dies die Tür vollends aus den Angeln, die bereits seit langem entriegelt ist. Es darf, es muss gefragt werden: Will man mit immer neuen Vorstößen eine allmähliche Desensibilisierung der Bevölkerung erreichen, um sich mit der Transplantation von Organen Lebender ungehindert ausagieren zu können? Soll die Organspende von Verstorbenen zurückgedrängt werden?

Dabei wurden eigentlich Ethikkommissionen eingesetzt, um eben solchen unerlaubten Vorstößen zu begegnen. Womöglich sind sie aber nicht so sehr als vorbeugendes Korrektiv gegenüber einer allzu skrupellosen Machermentalität gedacht, sondern vielmehr als Abnickorgane mit Feigenblattfunktion.

Ausgerechnet die Ethikkommission der Deutschen Transplantationsgesellschaft, der pikanterweise Christoph Broelsch vorsitzt, ist von ihm seit zwei Jahren nicht einberufen worden. Ethikkommissionen aber sind sich zu schade, als Feigenblatt herzuhalten, um zu verdecken, dass das Gefühl für ethisch begründetes Handeln manchen Ärzten womöglich abhanden gekommen ist.

Die Autorin ist hat selbst 1986 die Niere eines Verstorbenen erhalten, nachdem sie Jahre zuvor das Spendenangebot einer Verwandten abgelehnt hatte.

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