Transplantation:Das bekannte Gesicht

Die Frau findet sich schön. Vor wenigen Tagen bekam sie Mund, Nase und Lippen einer Fremden transplantiert, ein Hund hatte einen großen Teil ihres eigenen Gesichts weggerissen. Jetzt hat die 38-jährige Französin sich zum ersten Mal nach der Operation im Spiegel gesehen. Sie sei "entzückt", sagte ihr Chirurg. Sie gefalle sich sogar besser als vor der Verletzung.

Susanne Schäfer

Wessen Nase sie von nun an im Spiegel sieht, dürfte sie eigentlich nicht wissen. Denn wer Organe oder anderes Gewebe spendet, soll eigentlich geheim bleiben. Aber Journalisten fanden heraus, wer die Spenderin war und wie sie starb, und verrieten diese Informationen der Öffentlichkeit. So wird wohl auch die Frau mit dem neuen Gesicht erfahren, wie alt die Spenderin war, wie sie hieß und dass sie starb, weil sie nicht mehr leben wollte.

In Deutschland verbietet das Transplantationsgesetz, dass die Identität von Organspendern bekannt wird. Nach Einschätzung von Günter Kirste, Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation, wird diese Regel in Deutschland auch streng beachtet: Spender und Empfänger bleiben anonym, erfahren nichts voneinander und lernen sich nicht kennen.

Kirste befürwortet dieses Gesetz, Verbindungen zwischen dem Empfänger und den Angehörigen des Spenders hält er für gefährlich. "Wenn der Empfänger auch nur etwas über den Lebensstil des Spenders erfährt, kann das zu starken psychischen Problemen führen." Denn vielleicht habe der ja ganz anders gelebt, als der Empfänger sich das vorstelle. Kirste erzählt von einem Kind in England, das ein Herz transplantiert bekam und die Eltern des Spenders kennen lernte.

"Am Ende hatte dieses Kind vier Eltern, weil die Eltern des Spenders in ihm ihr eigenes Kind sahen." Wenn nun die französische Patientin erfahre, wessen Gesicht sie transplantiert bekommen habe, könnte das möglicherweise auch zu psychischen Problemen führen, vermutet Kirste. "Denn mit dem Gesicht eines Menschen ist die Identität verbunden."

Sibylle Storkebaum, die am Münchner Klinikum Rechts der Isar Patienten vor und nach Transplantationen psychologisch betreut, hält es ebenfalls für wichtig, dass Spender und Empfänger von Organen nichts übereinander erfahren. "Das würde einen Patienten irritieren, wenn er wüsste, von wem er ein Organ gespendet bekommen hat."

"Spenderin hat Gesicht freiwillig aufgegeben"

Ohnehin hätten nur wenige Patienten den Wunsch, mehr über den Spender zu erfahren. "Für viele geht es nur noch ums Überleben. Da ist es nebensächlich für sie, von wem die neuen Teile ihres Körpers stammen." Und wenn doch einmal ein Patient mehr darüber wissen möchte, wessen Herz in ihm schlägt, dann empfiehlt Storkebaum, sich den Spender selbst vorzustellen und sich dessen Identität auszudenken. So könnten die Patienten das neue Körperteil meist akzeptieren.

Dass die französische Patientin wohl erfahren wird, von wem sie ihr neues Gesicht hat, muss nach Einschätzung der Psychologin nicht nur negative Folgen haben. "Es könnte vielleicht auch entlastend für die Patientin sein, dass die Spenderin sich umgebracht hat." Denn das bedeute, dass die Frau freiwillig ihr Leben und damit auch ihr Gesicht aufgegeben habe.

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