Tierversuche in Bremen:Ohne Affen geht es nicht

Wichtige Experimente oder Folter? Der Hirnforschung an der Uni Bremen droht das Aus, weil Wissenschaft und Politik Leiden unterschiedlich bewerten.

Ralf Wiegand

Nepomuk ist gut drauf an diesem Morgen und dreht in seinem Primatenstuhl gelegentlich eine Pirouette, ehe er auf den Taster hämmert und dafür mit einem Schluck Wasser belohnt wird. Das Quadrat, das vor ihm auf dem Monitor die Farbe wechselt, interessiert ihn eher am Rande.

Tierversuche in Bremen: Wichtige Forschung oder Folter? Hirnforscher Andreas Kreiter füttert im Gehege der Universität Bremen einen seiner Versuchsaffen. Die Tiere werden mehrmals in ihrem Leben operiert und bekommen unter anderem Zugänge ins Schädelinnere gelegt.

Wichtige Forschung oder Folter? Hirnforscher Andreas Kreiter füttert im Gehege der Universität Bremen einen seiner Versuchsaffen. Die Tiere werden mehrmals in ihrem Leben operiert und bekommen unter anderem Zugänge ins Schädelinnere gelegt.

(Foto: Foto: AP)

Verstünde er, dass der Wasserspender nur dann aufmacht, wenn das Quadrat dunkelbraun ist und in diesem Moment der Knopf gedrückt wird, wäre Nepomuks Flüssigkeitsausbeute schon wesentlich höher.

Aber so weit ist er noch nicht: Nepomuk ist eine Art Laboraffen-Azubi an der Universität Bremen. Er wird in Monate langem Training darauf konditioniert, auf spezielle Symbole auf eine bestimmte Art zu reagieren. Erst wenn er dieses Prinzip begriffen hat, wird Professor Andreas Kreiter auch an ihm untersuchen können, wie ein Gehirn funktioniert, indem er mit Elektroden misst, was darin vorgeht.

Vielleicht - denn nach aktuellem Stand droht den höchst umstrittenen Affenversuchen am Zentrum für Kognitionswissenschaften der Universität Bremen das Aus.

In dieser Woche wird die Uni ihren Widerspruch gegen einen Bescheid der Bremer Gesundheitsbehörde einreichen, wonach die am 30. November 2008 auslaufende Genehmigung für die Versuche mit den Primaten nicht verlängert wird.

Gleichzeitig strebt die Uni eine einstweilige Anordnung an, die eine Fortsetzung der Forschung mit den Makaken ermöglicht, bis ein Hauptsacheverfahren eine grundsätzliche Entscheidung über die Zulässigkeit solcher Versuche in Bremen bringt. "Dieser Prozess kann Jahre dauern", sagt Andreas Kreiter.

Die 24-köpfige Makaken-Gruppe mit Nepomuk, Freddi, Kakadu, Kuddel und den anderen ist in der Hansestadt ein Politikum erster Güte. Die Bremer Politik hat sich bereits im Frühjahr 2007 gegen die unpopulären Versuche ihrer Wissenschaftler entschieden und einen "geordneten Rückzug" aus den Affenexperimenten beschlossen.

Der Deutsche Tierschutzbund hatte diese Forschung schon immer als ethisch nicht vertretbar abgelehnt und sammelte angeblich mehr als 100.000 Unterschriften in zehn Jahren dagegen.

"Diese Forschung hat keine Akzeptanz mehr", meinte Wolfgang Apel, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes wie des Bremer Tierschutzvereins, seinem Heimatverband, was dem Streit zusätzliche Brisanz verleiht.

Tierschutz im Konflikt mit der Freiheit der Forschung

Die Arbeitsgruppe von Andreas Kreiter ist erst im Mai in ein neues Gebäude umgezogen, das cognium. Die Bedeutung der Affen für seine über die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Grundlagenforschung zum Gehirn fasst Kreiter so zusammen: "Ohne die geht's gar nicht."

Der Streit kreist um die Frage, welchen Leiden die Tiere ausgesetzt sind. In direkten Konflikt geraten damit das im Grundgesetz in Artikel 20a verankerte Ziel Tierschutz und die ebenfalls in der Verfassung, Artikel 3, Absatz 5, verbriefte Freiheit der Forschung.

Diese sieht Reinhard Fischer, Chef der Kristallographie an der Bremer Uni und deren Makaken-Beauftragter, in Gefahr: "Aufgabe der Gesundheitsbehörde wäre gewesen, unseren Antrag einer qualitativen Plausibilitätskontrolle zu unterziehen, auch hinsichtlich der ethischen Grundsätze."

Heißt: Die Behörde der Senatorin Ingelore Rosenkötter (SPD) hätte prüfen sollen, ob die Argumentation der Uni, wonach die Makaken-Versuche ethisch vertretbar sind, Fehler enthält. Nach Ansicht der Uni hat sie aber "eine eigene, andere Ethik" dagegen gestellt, sagt Fischer.

Das mache Forschung von der Ethikvorstellung einzelner Beamter abhängig. Daneben werde die Behauptung, "hier werden Tiere gequält", pauschalisiert und schade damit der gesamten Uni. Außerdem stehen die Jobs der Abteilung auf dem Spiel; die Frage, was aus den Tieren würde, käme noch hinzu.

Die Gesundheitsbehörde hat den jüngsten Antrag Kreiters auf Verlängerung seiner Projekte, die diesmal unter anderem der Erforschung der Epilepsie dienen sollten, abgelehnt. Sie argumentiert, dass der Belastungsgrad der Tiere nicht richtig eingeschätzt worden sei und "jenseits von erheblich" liege.

"Erheblich" ist dabei der höchste formale Belastungsgrad, der etwa einem an Krebs verendenden Tier entspricht. Über zwei Gutachten, die der Senat selbst in Auftrag gegeben hatte und die eine Fortsetzung der Versuche befürworteten, setzte sich die Behörde hinweg.

Ohne Affen geht es nicht

Tatsächlich ist es so, dass die Versuche dem Betrachter ein hohes Maß an Unvoreingenommenheit abverlangen. Die Macht der Bilder ist groß. Denn auch wenn die Forscher ihre 24 Tiere nach höchsten Standards halten, sie in Frei- und Innengehegen gemeinsam herumtollen lassen, von Tierpflegern umsorgt - ein Affe, an dessen Kopf ein Bolzen anoperiert ist, mit dessen Hilfe er in einer riesigen trichterförmigen Konstruktion fixiert werden kann, ist kein schöner Anblick.

Die Tiere bekommen auch mehrere Zugänge ins Schädelinnere gelegt, über die zur Messung erforderliche Elektroden eingeführt werden können. Und auch wenn, wie Kreiter erklärt, nach ethischen Maßstäben der Unterschied in der Entwicklung zwischen Makake und Schimpanse viel größer sei als zwischen Schimpanse und Mensch: Große Makaken-Augen können traurig blicken.

Die Gerichte müssen entscheiden

Tierschutz-Kampagnen, entsprechend bebildert, erzielen deshalb stets Wirkung. "Gegen eine in Sekunden geäußerte Behauptung", sagt Reinhard Fischer, "müssen wir Wochen oder Monate ankämpfen." So behaupte Tierschutz-Chef Apel nach wie vor, in Kreiters Labor würden "Geheimversuche" gemacht.

Kreiter hält dagegen, der frühere Wissenschaftssenator Willi Lemke (SPD) - Befürworter der Versuche - und er selbst hätten Apel längst angeboten, zu jeder Tages- oder Nachtzeit unangemeldet die Einrichtung besuchen zu können. Als Vorlauf seien lediglich 30 Minuten nötig, "so lange brauche ich von Zuhause bis zur Uni", sagt Kreiter. Apel kam nie.

Das formale Aus für die Affenversuche hatte sich angedeutet, als Willi Lemke 2005 in einer SPD-internen Kandidatur gegen Jens Böhrnsen um die Nachfolge von Henning Scherf als Bremer Bürgermeister stritt. Böhrnsen positionierte sich gegen die Experimente an Primaten. Diesen populäreren Standpunkt behielt er bei, als er Bürgermeister wurde, was zunächst einen Senatsbeschluss und später ein Votum der Bürgerschaft gegen die Affenforschung nach sich zog.

Nun werden Gerichte entscheiden müssen. Die Ankündigung der Universität, notfalls bis vors Bundesverfassungsgericht zu ziehen, wertete Tierschutzbund-Chef Apel als "Erpressung". Bundesweit diskutieren Fachleute die Verlässlichkeit des Wissenschaftsstandorts Deutschland. Derweil lernt Nepomuk verlässlich weiter, Farben und Formen zu unterscheiden - mindestens noch bis 30. November.

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