Tiermedizin:Woran Eisbär Knut starb

Es war die "aufwendigste Untersuchung" an einem Wildtier: Vier Jahre nach dem Tod des Berliner Eisbären Knut haben Wissenschaftler entschlüsselt, woran das Zootier starb. Die Krankheit kann auch Menschen befallen.

Von Tina Baier

Gut vier Jahre nach seinem spektakulären Tod im Berliner Zoo, als Eisbär Knut vor den Augen zahlreicher Besucher zuckend in den Wassergraben fiel und ertrank, sorgt das berühmte Tier erneut für Gesprächsstoff. Wissenschaftler haben herausgefunden, welches Leiden Knuts Anfall auslöste. Der Eisbär hatte offenbar eine im Tierreich bisher unbekannte Hirnerkrankung, die "Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis". Das Rätselraten um Knuts Todesursache wurde am Donnerstag auf einer Pressekonferenz in Berlin und in einer wissenschaftlichen Veröffentlichung der Fachzeitschrift Scientific Reports beendet.

"Die Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis ist eine Autoimmunkrankheit des Gehirns", sagt Alex Greenwood, Leiter der Abteilung Wildtierkrankheiten am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin, der an der Untersuchung beteiligt war. Ähnlich wie bei Rheuma bilde der Körper Antikörper gegen sich selbst. Bei Rheuma greift das Immunsystem vor allem die Gelenke an, bei der Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis würden dagegen Strukturen im Gehirn attackiert, schreiben die Forscher in Scientific Reports.

"Der Druck war riesig"

"Es war die aufwendigste Untersuchung, die jemals an einem Wildtier durchgeführt wurde", sagt Greenwood. Mehr als 20 Wissenschaftler hätten sich in den vergangenen vier Jahren mit Knuts Tod befasst. Experten des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) und der Berliner Charité arbeiteten zusammen, um Knuts Tod aufzuklären. Einmal wurde sogar ein Experte aus den USA samt seiner Spezialgeräte eingeflogen. Die Wissenschaftler nahmen Proben sämtlicher Gewebe des berühmten Bären und lagerten sie ein. "Der Druck, den Grund für Knuts Tod zu finden, war riesig", sagt Greenwood. Einmal weil Knut so berühmt war, und seine Fans nach Aufklärung verlangten. Zum anderen, weil befürchtet wurde, dass auch Eisbären in anderen Zoos betroffen sein könnten und deshalb der gesamte Bestand gefährdet sein könnte.

Doch trotz des großen Aufwands konnten die Wissenschaftler die genaue Ursache für Knuts Tod zunächst nicht finden. Zwar war relativ schnell klar, dass der Eisbär an einer Hirnentzündung litt, doch was diese Entzündung verursacht hatte, blieb rätselhaft. Die Forscher vermuteten lange, irgendein Bakterium, ein Virus oder ein Parasit könnte die Entzündung verursacht haben, doch ein Erreger nach dem anderen wurde ausgeschlossen. Am Anfang des vergangen Jahres wussten die Wissenschaftler dann nicht mehr weiter. Sie schlossen den Fall Knut vorläufig ab und lagerten die Proben des Bären ein.

Hätte nicht zufällig Harald Prüß, der an der Berliner Charité Hirnerkrankungen des Menschen erforscht, Knuts Autopsiebericht gelesen, wäre das Rätsel wahrscheinlich immer noch ungelöst. Der Humanmediziner entdeckte Parallelen zur Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis, die erst vor Kurzem bei Menschen beschrieben worden war. Plötzlich ging alles ganz schnell. "Sechs Wochen später war klar, dass diese Krankheit auch die Ursache von Knuts Hirnentzündung war", sagt Greenwood. Mit einer leicht modifizierten Methode aus der Humanmedizin konnten die Wissenschaftler in Knuts Gehirnproben die für die Krankheit typischen Antikörper nachweisen.

Das Tragische an der Geschichte: Knut hätte vielleicht gerettet werden können, wäre die Ursache seiner Gehirnerkrankung früher erkannt worden. Beim Menschen lässt sich die Krankheit nämlich oft erfolgreich therapieren: mit einem kortisonhaltigen Medikament.

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