Tierische Eigenschaften:Typisch Charakterschwein!

Feige Löwen, durchtriebene Affen und jähzornige Bären? Was lange Zeit als unwissenschaftlich galt, fasziniert Verhaltensforscher zunehmend. SZ Wissen zeigt: Auch Tiere zeigen Persönlichkeit.

Katrin Blawat

Alfred Brehm war sich seiner Sache sicher. "Zanktüchtig und streitlustig" sei die Waldeidechse und habe "fast ununterbrochen Händel mit anderen ihres Geschlechts". Das notierte der berühmte Tierforscher 1876. Über 130 Jahre später bestätigen französische Biologen nun: Zickige Eidechsen gibt es tatsächlich. Am liebsten siedeln sie sich weit entfernt von Artgenossen an. Drängt man ihnen Gesellschaft auf, reagieren sie ganz so wie von Brehm beschrieben.

Schwein; dpa

Nicht nur Schweine zeigen überraschende Eigenschaften - das beweist unsere Bildstrecke.

(Foto: Foto: dpa)

Was der Tierforscher allerdings ignorierte: Nicht jede Eidechse ist gleich. Einige sind geradezu gesellschaftssüchtig und suchen sich ein Revier in engster Nachbarschaft zu Ihresgleichen. Ob gesellig oder eher schrullig - die Vorlieben zeigen sich schon kurz nach der Geburt und bleiben ein Leben lang konstant. Nicht nur, wer sich mit Eidechsen beschäftigt, lernt, Charakterunterschiede zwischen den Individuen einer Art zu erkennen.

Zwar ist wissenschaftlich fundierte Persönlichkeitsforschung im Tierreich eine noch junge Disziplin. Doch je mehr Tierarten die Forscher untersuchen, desto klarer zeigt sich: Unter Säugern, Vögeln, Fischen, sogar Weichtieren wie dem Tintenfisch gibt es Mutige und Vorsichtige, Neugierige und Passive, Verträgliche und Einzelgänger.

Immer offensichtlicher werden die Parallelen zwischen menschlichen und tierischen Charakteren. "Ein introvertierter Mensch verzieht sich auf einer Party allein in eine Ecke, ein schüchterner Tintenfisch versteckt sich in seiner eigenen Tintenwolke", sagt der Psychologe Sam Gosling, der das weltweit einzige Labor für Tierpersönlichkeit in Texas leitet.

Kühn, neugierig, aggressiv

"Ein wenige Tage alter Stichling, der sich ohne Zögern einer Hecht-Attrappe nähert, wird als Erwachsener versuchen, in fremde Reviere einzudringen", sagt der Biologe Franjo Weissing von der Universität Groningen. Solche Vorhersagen stützen sich auf ein bekanntes Phänomen: Einige Charakterzüge sind zu sogenannten Verhaltenssyndromen gekoppelt.

Kohlmeisen, die neue Gegenstände in ihrer Umgebung besonders neugierig untersuchen, attackieren Artgenossen häufiger und treten Fressfeinden unerschrockener entgegen. Entscheidungen treffen sie deutlich schneller als schüchterne Vögel. Die Kühnheit lässt sich physiologisch messen. Neugierige und aggressive Individuen haben mehr Testosteron im Blut, dafür weniger des Botenstoffs Serotonin im Gehirn. Unterliegen die Kämpfernaturen einem Artgenossen, steigen Blutdruck und Adrenalinspiegel stärker an als bei einem zaghaften Tier.

Die Persönlichkeit eines Tieres ist Teil einer von der Evolution gut durchdachten Lebensplanung. Mithilfe eines Computermodells untersuchte Weissing zusammen mit seinem Kollegen Max Wolf, welchen evolutionären Vorteil es bringt, wenn eine beliebige Population sowohl aus mutigen als auch aus schüchternen Tieren besteht.

Typisch Charakterschwein!

"Zuerst scheinen die Mutigen einen Überlebensvorteil zu haben, weil sie neue Nahrungsquellen und Lebensräume finden", sagt Wolf. Doch ein derart offensives Verhalten fordert Räuber geradezu heraus. Zurückhaltende Exemplare gehen zwar weniger Risiken ein, verpassen dadurch aber vielleicht die Chance ihres Lebens auf gute Nahrungsquellen oder Sexualpartner.

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Wie also sieht die optimale Strategie aus? Die Antwort ist simpel. Wenn verschiedene Charaktertypen zusammentreffen, kann eine Gruppe auf lange Sicht eher überleben. Die Mutigen vergeuden kaum Zeit mit der Suche nach optimalem Lebensraum oder Nahrung. Sie leben für den Moment und verteidigen ihre Interessen ohne Rücksicht auf Verluste. Diese Individuen pflanzen sich früh fort. Dann haben sie ihre biologische Funktion erfüllt, und meist währt ihr Leben danach nicht mehr besonders lange.

Schüchterne Artgenossen können sich eine derart kurzfristige Planung nicht erlauben. Sie bekommen schlechtere Nahrung, und daher dauert es länger, bis sie genug Energiereserven gesammelt haben, um einen Teil davon in die Fortpflanzung zu investieren. Bis dahin gilt es, Gefahren aus dem Weg zu gehen. "Wer noch etwas vom Leben erwartet und viel zu verlieren hat, sollte Risiken meiden", sagt Wolf.

Die gemischte Strategie erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sich jedes Tier der Gruppe irgendwann fortpflanzt. In den Rocky Mountains setzen Mufflons um, was die Biologen errechnet haben. Eine Feldstudie hat gezeigt, dass mutige Schafe dort früher Nachwuchs bekommen als ihre zögerlicheren Herdenmitglieder.

In SZ Wissen (17/2007) sind Tieraufnahmen des Fotografen Andrew Zuckerman vorab zu sehen - seine Serie mit Tierporträts wird in einem opulenten Bildband veröffentlicht: "Wild Animals" erscheint am 20. September im Knesebeck Verlag und kostet 50 Euro.

Mehr interessante Themen finden Sie in der aktuellen Ausgabe von SZ Wissen (17/2007).

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