Tiere:Urbanes Gezwitscher

Lesezeit: 2 min

Warum singen Vögel in der Stadt in höherer Tonlage? Ein Forscherteam des Max-Planck-Instituts für Ornithologie geht diesem Rätsel nach.

Von Katrin Blawat

In der Stadt singen Vögel in höherer Tonlage als ihre Artgenossen auf dem Land - so lautet das Ergebnis zahlreicher Studien mit verschiedenen Singvogelarten. Würden die Vögel ihr Gezwitscher nicht der lauten Umgebung anpassen, ginge der Gesang in der urbanen Lärmkulisse unter.

Das gilt vor allem für die tieferen Noten, die leicht vom typischerweise ebenfalls niedrig frequenten Stadtlärm überdeckt werden. Doch wie es zu dem modifizierten Stadt-Gesang kommt, ob sich die Tiere jeweils individuell der Lärmkulisse anpassen oder es sich vielmehr um eine über Generationen etablierte Gewohnheit oder gar eine vorwiegend genetisch bedingte Änderung handelt, das haben bisher nur wenige Studien systematisch getestet.

Eine dieser Untersuchungen stammt von Forschern des Max-Planck-Instituts für Ornithologie in Seewiesen. Wie das Team um Sue Anne Zollinger in der aktuellen Ausgabe der Proceedings B der Royal Society berichtet, beruht der höhere Gesang in der Stadt jedenfalls nicht auf einer individuellen Anpassung eines Vogels während seines Heranwachsens. Dabei galt dies bisher als der wahrscheinlichste Mechanismus.

Kohlmeisen-Jungen ein Jahr lang vor einer Lärmkulisse aufgezogen

Untersucht haben die Ornithologen die Frage an Kohlmeisen - der ersten Art, für die ein höherer Stadtgesang beschrieben wurde. Die Vögel wurden in einem Wald nahe München geboren und kamen wenige Tage nach dem Schlüpfen in die Institutskäfige. Erwartungsgemäß bestätigten die Experimente den sogenannten Lombard-Effekt: In lauterer Umgebung sangen die Meisen lauter.

Die Überraschung kam jedoch mit jenen Experimenten, die den Einfluss von Lärm auf die Tonhöhe prüften. Dazu zogen die Wissenschaftler unter anderem eine Gruppe Kohlmeisen-Junge ein Jahr lang vor einer Lärmkulisse auf, die der einer geschäftigen, urbanen Umgebung entsprach. Eine Kontrollgruppe wuchs mit ähnlich viel Lärm auf, allerdings fehlten in dieser Geräuschkulisse die Stadt-typischen niedrig frequenten Töne.

Überraschenderweise unterschieden sich die Gesänge der Vögel beider Gruppen nicht in ihrer Tonhöhe. Auch zu einer weiteren Kontrollgruppe, die nur die Geräuschkulisse eines Waldes gewohnt war, fanden sich keine Unterschiede in der Tonhöhe. "Unsere Ergebnisse legen nahe, dass ständige Exposition mit Stadt-typischem Lärm keine Tonhöhen-Änderung bei einzelnen Vögeln induziert", schreiben die Biologen. "Wenn es einen solchen Effekt wirklich gibt, kommt er vermutlich durch kulturelles Lernen über mehrere Generationen hinweg zustande", sagt Erstautorin Zollinger. Kulturelles Lernen, bei dem sich die Mitglieder einer Population Verhalten bei Artgenossen "abgucken", ist im Tierreich weit verbreitet.

Zollinger spricht sich jedoch selbst für diesen Mechanismus nicht uneingeschränkt aus. Vielmehr stellt sie grundsätzlich die Aussage infrage, dass Singvögel in der Stadt generell höher singen. "Es gibt so viele Studien, die zu diesem Schluss kommen - trotzdem zweifele ich ein bisschen daran", sagt die Ornithologin. Zum einen zeige die Studienlage nur bei etwa der Hälfte der untersuchten Arten diesen Effekt. Zum anderen hält Zollinger es für möglich, dass die höhere Tonlage im städtischen Gesang nichts als ein Artefakt sei, ein Mess- und Methodenfehler.

"Womöglich wird der Effekt überschätzt", sagt die Ornithologin. In einer anderen kürzlich veröffentlichten Studie hat sie zusammen mit Kollegen gezeigt, wie fehleranfällig die Frequenzmessung des Vogelgesangs ist. Unter anderem spielt demnach die Erwartungshaltung des Messenden eine erstaunlich große Rolle: Wer höhere Frequenzen erwartete, erhielt auch die entsprechenden Daten.

Beendet ist die Debatte um das höhere Stadtgezwitscher damit noch nicht. Doch in jedem Fall scheint die Frage komplizierter zu sein als zunächst gedacht. Auch deshalb, weil sich womöglich nicht von einer auf alle anderen Spezies schließen lässt, vermutet Zollinger: "Ich halte es für wahrscheinlich, dass die verschiedenen Singvogelarten unterschiedlich auf Stadtlärm reagieren."

© SZ vom 10.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: