Teilchenbeschleuniger in Genf:Riskieren Physiker den Weltuntergang?

Besorgte Bürger fürchten, dass der Einsatz der neuen Protonenkanone am Elementarteilchen-Labor CERN die Erde vernichten könnte. Nobelpreisträger Gerard 't Hooft über die Gefahr künstlicher schwarzer Löcher.

Anouck Vrouwe

Ein Amerikaner und ein Spanier klagen vor Gericht gegen das europäische Elementarteilchen-Labor CERN. Sie befürchten das Ende der Welt, wenn die Physiker am größten Teilchenbeschleuniger der Welt in wenigen Monaten ihre neue Protonenkanone anschalten werden.

Teilchenbeschleuniger in Genf: "Wenn dort schwarze Löcher entstehen, sind sie ungefährlich." Nobelpreisträger Gerard 't Hooft.

"Wenn dort schwarze Löcher entstehen, sind sie ungefährlich." Nobelpreisträger Gerard 't Hooft.

(Foto: Foto: Reuters)

Die Sorge ist, dass in dem Experiment schwarze Löcher entstehen, die am Ende womöglich die Erde vernichten. Ein Gericht in Hawaii muss nun entscheiden, ob den Physikern Einhalt geboten werden muss. Der Nobelpreisträger Gerard 't Hooft sieht jedoch keine Gefahr.

SZ: Ein US-Bezirksgericht wird wohl kaum ein europäisches Labor stoppen können. Dennoch: Kann der künftige Beschleuniger schwarze Löcher erzeugen?

Gerard 't Hooft: Ganz sicher nicht jene superschweren schwarzen Löcher, die es im Weltall gibt. Diese entstehen, wenn schwere Sterne am Ende ihres Daseins implodieren.

Die Kläger argumentieren mit winzigen schwarzen Löchern, die entstehen können, wenn im neuen Large Hadron Collider (LHC) Protonen mit hoher Geschwindigkeit aufeinander geschossen werden. Diese Möglichkeit besteht in der Tat.

SZ: Aber Sie sind nicht sicher?

't Hooft: Die gängige Standardtheorie der Physik sagt, es sei unmöglich, dass im LHC ein schwarzes Loch entsteht. Aber es gibt neue, exotischere Theorien, die man nicht ignorieren darf. Die Theorien sagen, dass es nicht nur die vier Dimensionen von Raum und Zeit gibt, sondern mehr.

Wir können das im Alltag nicht wahrnehmen, weil die höheren Dimensionen sehr klein sind. Aber für die Teilchen im Beschleuniger könnten sie dennoch Realität sein. In diesen Dimensionen funktioniert das Schwerkraftgesetz anders und es könnten winzige schwarze Löcher entstehen.

SZ: Können diese gefährlich werden?

't Hooft: Nein. Wenn die Löcher entstehen, sind sie ungefährlich. Diese kleinen Löcher sind komplett anders als die großen im Weltall: Das sind keine allesfressenden Monster. Die Anziehungskraft eines schwarzen Lochs hängt von seinem Gewicht ab. Da diese winzigen Löcher sehr massearm sind, werden sie nicht die Kraft haben, Schaden anzurichten. Außerdem verdampfen diese Löcher in einem Bruchteil einer Sekunde und haben keine Zeit, zu wachsen.

SZ: Physiker arbeiten schon seit Jahren mit Teilchenbeschleunigern, und die Welt ist noch da. Wieso haben die Kläger in den USA Angst, dass das beim LHC anders sein könnte?

't Hooft: Weil der LHC ein neues Gerät ist, in dem höhere Energien als je zuvor erreicht werden. Wir hoffen, damit neue physikalische Phänomene zu entdecken. Und wie immer bei neuen Experimenten kann niemand hundertprozentig vorhersagen, was herauskommen wird. Sonst wäre es ja auch kein wissenschaftliches Experiment.

SZ: Das CERN schreibt auf der eigenen Webseite, die Natur sei ein Beweis dafür, dass nichts passieren werde.

't Hooft: Das stimmt. In dem Teilchenbeschleuniger LHC werden zwar Energien erreicht, die höher sind als alles, was je in einem Labor erreicht wurde. Aber im Vergleich zur Natur ist es nur ein Kinderspiel. Die Energie kosmischer Strahlung, die aus dem Weltall kommt und jeden Tag die Erde erreicht, ist viel höher.

In der Erdatmosphäre gibt es dauernd Teilchen-Zusammenstöße, wie wir sie am CERN nachahmen möchten. Wenn also winzige schwarze Löcher tatsächlich entstehen können, dann passiert das schon jetzt jeden Tag. Und die Welt ist immer noch da.

SZ: Wenn die Löcher im Beschleuniger entstehen, wird man sie mit den Detektoren am CERN sehen können?

't Hooft: Direkt sehen nicht, aber messen ja. Manche Teilchenspuren werden dann abweichen von dem was wir erwarten würden, wenn es nur vier Dimensionen gibt.

SZ: Verstehen Sie die Angst der Öffentlichkeit vor derlei Unwägbarkeiten?

't Hooft: Ja, die Geräte sind riesig und kompliziert, da wird mit hohen Energien gearbeitet - ich verstehe sehr gut, dass das den Menschen Angst machen kann. Vor allem, wenn sie nicht so richtig verstehen, was da passiert. Meiner Meinung nach sind die Fragen über die Sicherheit am CERN sehr legitim. Deshalb ist es gut, dass die Sicherheitsberichte des Labors auf der Webseite zu lesen sind. Und ich bin auch froh, als Physiker der Öffentlichkeit erklären zu dürfen, was da passiert.

Aber es gibt wirklich keinen Grund, Angst zu haben, dass die Welt zu Ende geht. Die Risiken sind eher praktischer Natur: Der Beschleuniger ist so groß, dass beim Bau ähnliche Risiken auftreten wie bei jeder Großbaustelle. Und die ersten Experimente werden für die Wissenschaftler sehr spannend sein.

Wenn etwas mit der Apparatur schiefgeht, und die Teilchen mit hoher Energie falsch auftreffen, könnte das den LHC beschädigen und die Messungen Monate verzögern.

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