Reflexzonentherapie:Ein ganzer Körper auf der Fußsohle

Manche Therapeuten wollen Störungen innerer Organe über Reflexverbindungen mit der Fußsohle erkennen und behandeln. Die Verbindungen selbst sucht man bislang allerdings vergeblich.

Colin Goldner

Unter dem Begriff "Reflexzonentherapie" wird eine Vielzahl unterschiedlicher Heilverfahren verstanden, deren gemeinsame Grundannahme darin besteht, dass bestimmte Bereiche oder Punkte der Körperoberfläche über sogenannte "Reflexbahnen" mit anderen, teils weit entfernten Bereichen des Körpers, vor allem aber mit inneren Organen, in Verbindung stünden.

Reflexzonentherapie

Druckschmerzen deuten angeblich auf den Ort einer inneren Störung hin.

(Foto: Foto: AP)

Zu den bekanntesten Verfahren ihrer Art zählt die Fußreflexzonentherapie. Sie beruht auf der sogenannten "Zonenlehre" des amerikanischen Hals-Nasen-Ohren-Arztes William Fitzgerald, die dieser im Jahre 1913 vorgestellt hatte.

Fitzgerald glaubte entdeckt zu haben, dass der menschliche Körper in zehn Längszonen aufgeteilt sei und dass jedes Organ, das innerhalb einer bestimmten Zone liege, sich von jeder beliebigen Stelle dieser Zone aus reflektorisch erreichen ließe.

Diese vermeintlich revolutionäre "Entdeckung" erlangte in den 1930ern große Popularität, in erster Linie durch die Physiotherapeutin Eunice Ingham, die auf Seminarreisen quer durch die USA eine daraus hergeleitete "Reflexzonentherapie" vorstellte.

Nicht mit "Headschen Zonen" verwechseln

Nicht zu verwechseln sind die Fitzgeraldschen "Reflexzonen" mit den sogenannten "Headschen Zonen", benannt nach einem britischen Neurologen Henry Head. Dieser hatte entdeckt, dass erkrankte Organe auf bestimmten Regionen der Haut schmerzhafte Veränderungen hervorrufen können.

Eine der Erklärungen für diesen "Reflex" liegt darin, dass die jeweiligen Hautbereiche mit den jeweils korrespondierenden Organen durch Nervenbahnen verbunden sind, die demselben Segment des Rückenmarks entspringen. Mit den unsinnigen Vorstellungen von Fitzgerald, Ingham und Marquardt hat das nichts zu tun.

Inzwischen ist die "Eunice-Ingham-Methode" auch in der Versenkung verschwunden - bis auf einen Teilbereich: Die besagte Fußreflexzonentherapie hat überlebt und gilt heute als eines der bestetablierten Verfahren der alternativen Heilerszene.

Hauptvertreterin im deutschsprachigen Raum ist die ehemalige Krankenschwester Hanne Marquardt, die über eine Vielzahl eigener "Lehrstätten" Fußreflexzonentherapeuten ausbildet.

Laut Ingham und Marquardt repräsentieren sich auf dem Fuß sämtliche Körperregionen und Organe. Die Innenseite des großen Zeh etwa soll "reflektorisch" mit der Stirn- und Schläfenregion verbunden sein, der Fußballen darunter mit den Augen und der Schilddrüse; der Fußrücken steht angeblich in Verbindung mit der Brust und den Lungen, die Außenseite der Ferse mit Hüfte und unterem Rücken, der Bereich zwischen Ferse und Außenknöchel mit den Hoden respektive Eierstöcken.

Tritt beim Massieren des Fußes an einer bestimmten Stelle Druckschmerz auf, soll dies auf eine Störung des damit korrespondierenden Organes hinweisen.

Auflösung von Störungen durch Massage

Druckmassage der Schmerzstellen trage zur Auflösung der jeweiligen Organ- oder Funktionsstörung bei. Körperliche und psychosomatische Probleme jedweder Art könnten dergestalt diagnostiziert und durch Massage der jeweiligen Fußreflexzonen therapeutisch behandelt werden.

Die von Fitzgerald entworfene "Zonenlehre" hat allerdings ein großes Problem - genau wie die daraus hergeleiteten Diagnose- oder Behandlungsmethoden: Es gibt keinerlei Belege für die tatsächliche Existenz der angeblichen Reflexverbindungen.

Überdies weicht die Reflexzoneneinteilung auf dem Fuß bei verschiedenen Autoren erheblich voneinander ab.

Für die behauptete Wirkung der "Reflexzonenmassage", die neuerdings auch an den Händen, am Kopf und am Bauch angeboten wird - allen Ernstes auch am männlichen Genital -, fehlt jeder seriöse Nachweis.

Ein ganzer Körper auf der Fußsohle

Das Gleiche gilt für die sogenannte "Ohrreflexzonentherapie", derzufolge sämtliche Körperteile und Organe reflektorisch in der Ohrmuschel repräsentiert sein sollen und den Reflexzonen-Therapeuten zufolge somit durch Manipulation des Ohres erreicht werden können.

An der oberen Außenkante des Ohres lägen demnach die Reflexpunkte für Geschlechtsorgane, Nieren und Harnwege, an der unteren jene für den Kopfbereich; die Punkte für Magen, Leber, Zwerchfell, Herz und Lunge seien entlang des Ohransatzes zu finden, die der Wirbelsäule genau in der Mitte des Ohres.

Besonders wichtig sei der sogenannte "Notfall-" oder "Schockpunkt" an den Ohrläppchen: Über gezielten Druck dieses Punktes, der reflektorisch mit dem Gehirn verbunden sei, könnten selbst Ohnmächtige wieder ins Bewusstsein zurückgeholt werden, heißt es.

Interessant ist auch die Behauptung, durch Ohrreflexzonentherapie bei einer schwangeren Frau könne therapeutisch Einfluss auf den Fötus genommen werden, dessen Wirbelsäule reflektorisch mit der Ohraußenkante seiner Mutter verbunden sei. Selbstredend gibt es für das Ohr - desgleichen für Hand, Kopf, Bauch oder Genital - die unterschiedlichsten Reflexzonenzuordnungen.

Über einen möglichen unspezifischen Entspannungseffekt hinaus hat Reflexzonentherapie - an welchem Körperteil auch immer - ebensowenig eine Wirkung wie all die Hilfsmittel, die zur Stimulation angeblicher Reflexpunkte auf dem Markt sind, zum Beispiel Massagestäbe, Qi-Gong-Kugeln, Fußroller, Schuhe mit extra Noppeneinlagen.

Da zwei unwirksame Methoden zusammen auch nicht wirksamer werden, kann man sich auch das Einreiben nicht existenter "Reflexzonen" mit therapeutisch unwirksamen Aromaölen oder Edelsteintinkturen sparen. Das Gleiche gilt für das Bestrahlen mit Farblicht.

Colin Goldner ist klinischer Psychologe. Er setzt sich seit etlichen Jahren kritisch mit alternativen Heilverfahren auseinander.

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