Planet Erde:Ein Tag wie kein anderer

Die Erde dreht sich mal schneller, mal langsamer - Wetter, Mond und Kontinentalplatten sorgen dafür, dass sich die Tageslänge immer wieder verändert.

Henning Pulss

Strahlend blauer Himmel, ein wunderschöner Sonnentag: Gerade weil das in diesem Mai eher selten war, blinzelt man ins Licht und wünscht sich, die Sonne möge doch heute ausnahmsweise ein bisschen langsamer über den Horizont wandern.

Sonnenuntergang

Wenn sich die Geschwindigkeit der Erdrotation verändert, können die Tage um Millisekunden kürzer werden.

(Foto: dpa)

Nur für wenige Augenblicke ausbrechen aus dem 24-Stunden-Rhythmus der Erddrehung, der so unerbittlich erscheint, eine schöne Vorstellung. Und es ist tatsächlich möglich, dafür müssen nur die Winde in eine günstige Richtung wehen. Auch Mond, Erdplatten und Erdkern vermögen den Planeten ein wenig zu beschleunigen oder zu bremsen. Auf die Tausendstel Sekunde genau betrachtet, ist kein Tag so lang wie der vorige.

Wenn etwas so Komplexes wie die Erde mit all ihren Komponenten rotiert, mit ihrer Atmosphäre, den Weltmeeren, den Trabanten wie dem Mond, den Platten ihrer Kruste und dem flüssigen Kern, dann hängt jede einzelne Komponente mit jeder anderen auf vielfältige Weise zusammen.

Verändert sich ein Teil, dann verändern sich alle. Erst kürzlich zum Beispiel, als das große Beben in Chile die Erde erzittern ließ, verkürzte sich die Länge des Tages um 1,26 Mikrosekunden (Millionstel Sekunden).

Wie bei einer Eistänzerin

Vor der Küste Chiles hatte sich die Nazca-Platte unter die südamerikanische Platte geschoben. Dadurch verlagerte sich die Masse eines großen Gebiets etwas näher an die Erdachse und es kam zum sogenannten Pirouetten-Effekt. Er lässt Eistänzerinnen schneller rotieren, die ihre Arme enger an den Körper ziehen.

Je näher Massen an der Achse liegen, desto mehr Umläufe pro Zeiteinheit erlaubt der Schwung der Drehung. Das gilt auch für die Erde: Jedes Mal wenn sich auf ihr Massen - wie die der Kontinentalplatten - verschieben, zeigt sich der Pirouetten-Effekt.

Den Unterschied von 1,26 Mikrosekunden hat Richard Gross vom kalifornischen Jet Propulsion Laboratory per Computer-Simulation errechnet. Er räumt jedoch ein, dass kein Messverfahren die Erdrotation genau genug bestimmen kann, um seine Kalkulation zu bestätigen.

Die Plattentektonik ist nur einer von vielen Effekten, die die Tageslänge bestimmen. Bisher haben Forscher noch viel Mühe damit, sie alle zu einem gemeinsamen Modell zusammenzubinden. Den Einfluss von Mond, Klima oder Erdkern berechnet jede Wissenschaftsdisziplin auf eigene Weise. "Die aktuelle Forschung beschäftigt sich noch damit, die unterschiedlichen Modelle auszuwerten", berichtet Gross.

Ein sehr gut bekannter Faktor ist der Mond. Er entfernt sich um vier Zentimeter pro Jahr von unserem Planeten, der sich deshalb um 23 Mikrosekunden (Millionstel Sekunden) pro Jahr langsamer dreht.

Diesem langfristigen Effekt wirkt entgegen, dass sich die Landstriche an den Polen - also vor allem die im Norden - seit rund 12.000 Jahren heben. Das Ende der letzten Eiszeit befreite die Erde vom Gewicht der Gletscher; noch heute entspannt sie sich. Ihre Äquator-Taille wird dadurch schmaler und schmaler, und dank des Pirouetten-Effekts dreht der Planet sich schneller: um sechs Mikrosekunden pro Jahr.

Uwe Ulbrich, Direktor des Meteorologischen Instituts der Freien Universität Berlin, hat da mehr zu bieten. Er beschäftigt sich mit dem Einfluss der Atmosphäre auf die Tageslänge. Auf einer Zeitskala von wenigen Monaten bis Jahren verändern Wind und Wetter die Erdrotation im Millisekunden-Bereich: tausendmal so viel wie Mond oder Erdbeben.

Die Zusammenhänge sind schon recht klar; nun möchte Ulbrich bald die Beweislage umkehren. "Wir wollen aus der Rotation der Erde auf das Klima schließen können, ohne direkte meteorologische Messungen", sagt er.

Der Einfluss des Windes auf den Planeten beruht zum einen wieder auf dem Pirouetten-Effekt: Große Luftmassen steigen in der Atmosphäre auf und nieder. In Hochdruckgebieten liegen sie am Erdboden und damit näher an der Erdachse als dort, wo die Wetterkarte ein "T" zeigt. Findet sich mehr Luft in Hochs als in Tiefs, dreht sich die Erde etwas schneller.

Das Klima und die Erddrehung

Zum anderen beeinflussen die Jetstreams das rotierende System Erde. Diese starken Winde der oberen Atmosphäre verschieben Luftmassen rund um den Globus, um Druck- und Temperaturunterschiede auszugleichen.

Ändert sich nun das Tempo, mit dem sie durch die Atmosphäre jagen, muss die Erdkugel diese Änderungen aus physikalischen Gründen kompensieren. Das bedeutet: Wenn die Jetstreams schneller werden, verlangsamt sich die Drehung des Planeten und andersherum.

Was der Meteorologe Uwe Ulbrich "spannende Zusammenhänge" zwischen Klima und Erddrehung nennt, sehen andere Disziplinen als lästige Störung für ihre Arbeit an. Zum Beispiel die Geodäsie, die Wissenschaft von der Vermessung der Erde. Ihre Vertreter sind eigentlich nur daran interessiert, dass die Klimaforscher zu genauen Resultaten kommen, damit sie diese aus ihren eigenen Rechnungen herausstreichen zu können.

Dieser scheinbare Widerspruch ergibt Sinn, wenn Hans Greiner-Mai von seinem Projekt erzählt. Der Geophysiker vom Geoforschungszentrum Potsdam möchten den Einfluss des Klimas ausblenden können, um so herauszuarbeiten, wie das Innere der Erde ihre Rotation beeinflusst. "Was dort geschieht, lässt sich im Gegensatz zum Klima und der Bewegung des Mondes lediglich indirekt messen", erklärt er.

Der Planet Erde ist keine Kugel aus festem Gestein, sondern mit flüssigen Metallen gefüllt, die ihren eigenen Willen haben. Sie bilden Wirbel, reiben sich an der Unterseite des Erdmantels und schieben ihn dadurch an oder bremsen ihn ab. Auch elektromagnetische Kräfte entstehen im Kern, sichtbar im Magnetfeld der Erde. Und schließlich wirken Schwerkräfte zwischen den verschiedenen Schichten der Erde.

Periodische Schwankungen von bis zu vier Millisekunden

Insgesamt ergibt sich so eine periodische Schwankung der Tageslänge von bis zu vier Millisekunden, die sich über eine Periode von 80 Jahren aufbaut und abschwächt. Doch obwohl die Forscher die einzelnen Veränderungen benennen können, fällt es ihnen schwer, sie zusammenzufassen.

"Die genauen Parameter sind noch unbekannt", sagt Greiner-Mai, "das Gesamtmodell, wie der Erdkern mit dem Mantel gekoppelt ist, befindet sich noch in der Entwicklung."

Für sich gesehen ist jeder dieser grundverschiedenen Effekte - der Mond, das Klima, der Erdkern - von kleinem Ausmaß und besitzt keine Relevanz für das alltägliche Leben. Bei der Navigation in der Raumfahrt jedoch sei es eine der größten Fehlerquellen, dass man die Rotation der Erde nicht genau kenne, erklärt Richard Gross.

Weicht die Tageslänge zudem über einen größeren Zeitraum hinweg dauerhaft von den normierten 86.400 Sekunden ab, summiert sich der Fehler auf. Seitdem es Atomuhren gibt, die so genau ticken, dass sie diese Verschiebung bemerken, braucht die Zeitmessung alle paar Jahre eine Schaltsekunde. Seit 1972 gab es 24 dieser Korrekturen, die jüngste am 31. Dezember 2008.

Der Mensch kann nur seine Uhren stellen; die Drehung der Erde zu beeinflussen, muss er der Natur überlassen. Nur Gedankenexperimente sind möglich. Zum Beispiel könnten sich alle Menschen der Erde in der Antarktis treffen.

Dann stünden sie dichter an der Rotationsachse und die Tage würden kürzer. Messbare Auswirkungen wären jedoch wohl nicht zu erwarten, denn dafür "muss schon sehr viel Masse bewegt werden", sagt Richard Gross.

Was sollten nun also Menschen tun, die sich ein wenig länger - wenn auch nur um Sekundenbruchteile - an den wärmenden Strahlen der Sonne erfreuen wollen? Sie sollten den Sommer auf der Südhalbkugel verbringen, denn zu dieser Zeit im Jahr rotiert die Erde gemächlicher.

Einer der Gründe hierfür: Dann ist Winter im Norden, und hoch in den großen Gebirgen, auf den Alpen, dem Himalaya und den Rocky Mountains lagert sich das Wasser aus den Tälern als Schnee ab. Die unermüdliche Eistänzerin breitet ihre Arme aus und dreht langsamere Pirouetten.

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