Suizid von Robert Enke:Wenn die Leere alles ausfüllt

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Der tragische Tod von Robert Enke lenkt den Blick auf das Volksleiden Depression. Millionen Menschen in Deutschland leiden daran. Wie der Nationaltorhüter verschweigen viele ihre Krankheit.

Werner Bartens

Der Tod ist schwer zu fassen, und der Tod eines jungen Menschen erst recht. Die vieltausendfache Trauer um Robert Enke zeigt dies deutlich. Doch in die Bestürzung über den Suizid des 32-jährigen Nationaltorhüters mischt sich auch ein Stück zweifelnder Selbstbezogenheit - es ist die Angst vor den Abgründen der eigenen Seele.

Der tragische Tod Robert Enkes lenkt den Blick auf eine schwere psychische Erkrankung - das Volksleiden Depression. (Foto: Foto: ddp)

Robert Enke hatte zwar mit dem Tod seiner Tochter vor drei Jahren eines der schwersten Schicksale überhaupt zu tragen gehabt - den Verlust des eigenen Kindes. Doch er war beruflich außerordentlich erfolgreich, materiell abgesichert und gerade dabei, ein im Mai adoptiertes Kind an seine Familie zu gewöhnen.

Wenn ein Mensch in einer solchen Situation seinem Leben ein Ende setzt, wie bedroht sind dann jene, die weniger Sicherheiten kennen und ähnlich große Verluste zu erdulden haben?

Robert Enke war seit 2003 wegen Depressionen in Behandlung. Die Krankheit begann lange, bevor seine Tochter geboren wurde, erkrankte und schließlich im Alter von zwei Jahren starb. Die Depression ist ein Volksleiden, genetische Faktoren spielen ebenso eine Rolle wie persönliche Erfahrungen und das Umfeld.

Jedes Jahr sind zehn Prozent der Bevölkerung betroffen - das sind in Deutschland acht Millionen Menschen. Im Laufe ihres Lebens durchleiden sogar 18 Prozent der Bevölkerung eine depressive Episode. Der Unterschied zu gelegentlichen Stimmungstiefs ist enorm.

Ein hundeelender Zustand

"Depression hat nichts mit ein bisschen Traurigkeit zu tun", sagt Michael Wirsching, Leiter der Psychosomatik der Uniklinik Freiburg. "Wer je eine Depression erlebt hat, diese emotionale Leere, diesen Schleier, dieses Nichthochkommen - das ist ein hundeelender Zustand."

Ärzte sehen eine Trauerreaktion von einem Jahr nach dem Verlust eines nahen Menschen noch nicht als Depression an. Ebenso wenig wie kurzzeitige Stimmungsschwankungen. "Nicht jeder Tag, den man mies drauf ist, ist gleich eine Depression", sagt Peter Henningsen, Leiter der Psychosomatik an der Technischen Universität München.

Daher sehen medizinische Kriterien vor, dass im zurückliegenden Monat mindestens zwei von vier Wochen von Niedergeschlagenheit und Freudlosigkeit bestimmt sein müssen, um von einer Depression zu sprechen.

Robert Enke hatte zuletzt neun Wochen lang pausiert. Als Begründung war eine bakterielle Darminfektion genannt worden. Der Kölner Psychiater Valentin Markser sagte, dass er Enke in dieser Zeit psychotherapeutisch behandelt habe.

Reaktionen auf den Tod von Robert Enke
:"Einen Freund verloren"

Vertreter aus dem Bundesliga und dem DFB sowie Prominente aus Hannover sind schockiert über den Tod des Nationaltorhüters Robert Enke.

"Oft wird bei körperlichen Beschwerden gerade nicht realisiert, dass sie eine Depression anzeigen können", sagt Psychosomatiker Henningsen. "Weil nur auf organische Symptome und nicht auf die Stimmung geachtet wird, werden 50 Prozent der Depressionen in Deutschland nicht erkannt."

Trauer und Fassungslosigkeit über den Tod von Robert Enke. Nach der Trauerfeier kommen vor dem Stadion von Enkes Verein Hannover 96 Tausende Menschen zusammen. (Foto: Foto: Reuters)

Einer Studie der WHO zufolge gehen mehr als die Hälfte der Menschen mit Depressionen nicht deswegen, sondern aufgrund körperlicher Beschwerden zum Arzt. Vordergründig bereiten ihnen Übelkeit, Kopfweh, Erschöpfung und Schmerzsyndrome Beschwerden - die zugrunde liegende Erkrankung ist jedoch eine Depression.

Noch immer ist die Depression tabuisiert, wird von vielen Menschen mit persönlichem Versagen und Schwäche gleichgesetzt. Enke fürchtete um berufliche Nachteile und den Verlust seiner Adoptivtochter, wenn seine Krankheit bekannt würde.

Es wäre wünschenswert, dass sich Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, zu ihrer Depression und den Schwierigkeiten damit bekennen, um die Krankheit vom Stigma zu befreien - diesen Schritt haben Krebskranke in den vergangenen Jahren vermehrt gemacht.

Für Peter Henningsen ist die Konkurrenzsituation im Beruf ein Faktor, der Depressionen begünstigen kann. Bundestrainer Löw hatte Enke in den vergangenen Wochen signalisiert, dass er bei der WM in Südafrika zwar mit ihm rechne, ihm aber nicht die Zusage als Nummer eins geben könne, weil er den Wettbewerb offen halten wolle.

Menschliche Bindungen

"Es ist ein Kennzeichen unserer Arbeitswelt, dass über Anreize zur Kompetition maximale Leistung aus den Leuten herausgeholt werden soll", sagt Henningsen. "Dieses Prinzip hat auch seine Gefährdungen, wie man zuletzt an den Suiziden in französischen Konzernen gesehen hat."

Um den Suizid von Depressiven zu verhindern, setzen Ärzte auf Medikamente und Psychotherapie. In der Betreuung schließen sie sogenannte "Suizid-Pakte". Die Patienten sagen dem Arzt in die Hand zu, dass sie sich rechtzeitig Hilfe holen, wenn sie spüren, dass ihre Impulse zum Suizid stärker werden. So werden beispielsweise vor dem Wochenende Telefonnummern des Notdienstes ausgehändigt und die nächsten Gesprächstermine mit dem Arzt fest vereinbart.

"Neben der Therapie hindert eine intensive menschliche Bindung Kranke am ehesten daran, sich umzubringen", sagt Henningsen. "In dieser Bindung über Suizidgefühle zu reden, wirkt noch stärker." Robert Enke hat seine Bindung nicht davon abhalten können, sich das Leben zu nehmen.

© SZ vom 12.11.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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