Südafrika:Globalisierung der Menschenrechte

Gläubige in Südafrika

Soweto, Südafrika. Das Land ist ist tief religiös, die meisten Menschen hier sind Christen.

(Foto: AFP)

Gegner der Globalisierung warnen vor den negativen Folgen für Wirtschaft und Politik in den Ländern des Südens. Manche Wissenschaftler sehen jedoch auch eine Chance, auf diesem Weg universale Werte wie Menschenwürde, Gerechtigkeit und Freiheit zu verbreiten. Ein Gespräch mit Theologen aus Deutschland und Südafrika.

Wissenschaftler aus Südafrika und Deutschland haben ein Netzwerk aufgebaut, um der Frage nachzugehen: Welche Bedeutung spielt Religion im Rahmen der gegenwärtigen Globalisierungsprozesse? Ein Gespräch mit Nico Koopman und Johan Cilliers von der Theologischen Fakultät der Universität Stellenbosch, Simanga Kumalo von der Universität von KwaZulu-Natal und dem Theologen Wilhelm Gräb von der Humboldt-Universität zu Berlin.

Süddeutsche.de: Wenn wir von Globalisierung sprechen, geht es meist um das Zusammenwachsen der Welt in Bereichen wie Kommunikation und Wirtschaft. Die Impulse gehen vorrangig von Ländern der nördlichen Hemisphäre aus - aufgrund der größeren wirtschaftlichen Macht. Welche Chance haben da Gerechtigkeit und Gleichheit der Menschen weltweit?

Nico Koopman: Ungeachtet der Macht der multinationalen Konzerne bestimmen keineswegs allein die reichen Länder darüber, was in den Globalisierungsprozessen vorgeht. Die Globalisierungsgegner betonen lediglich die negativen Folgen für die Wirtschaft, die Politik und das kulturelle Leben in den Ländern des Südens. Es kommt meines Ermessens aber auch darauf an, stärker die Chancen zu sehen, die hier für die Länder auch des Südens bestehen.

Welche positiven Aspekte gibt es Ihrer Meinung nach?

Koopman: Wir müssen verschiedene Formen der Globalisierung unterscheiden. Wir haben es nicht nur mit ökonomischen, sondern ebenso mit politischen, kulturellen und religiösen Globalisierungsprozessen zu tun. Die Herausforderungen, die in Zukunft stärker gesehen werden müssen, liegen in der Durchsetzung universaler Werte wie Menschenwürde, Gerechtigkeit und Freiheit weltweit.

Simanga Kumalo: Die primäre Herausforderung aus der Perspektive des Südens liegt immer noch darin, dass die wirtschaftliche Überlegenheit des Nordens ungebrochen ist. Wirtschaftlich gesehen nützt die Globalisierung den Ländern des Nordens viel mehr als denen des Südens. Es stimmt aber, dass die Globalisierung auf kultureller Ebene zu einem fruchtbaren Austausch zwischen Nord und Süd führt. Dadurch werden überall auf der Welt die Diskurse über Gerechtigkeit und Chancengleichheit befördert. Gemeinsame Seminare und Workshops wie wir sie jetzt im Rahmen des Deutsch-Südafrikanischen Wissenschaftsjahres mit den Kollegen aus dem Norden durchführen konnten, helfen dabei.

Wilhelm Gräb: Es ist wichtig, dass Prinzipien wie Menschenwürde, Gerechtigkeit und Freiheit mit den lokalen kulturellen und religiösen Traditionen vermittelt und kontextspezifisch neuformuliert werden. Dass das geschieht, darin liegt die große Chance solcher Begegnungen.

Welche Rolle spielt die Religion für die Weltanschauungen und Lebensstile?

Koopman: In Südafrika gehören mehr als 95 Prozent der Bevölkerung einer religiösen Gemeinschaft an, mehr als 80 Prozent sind Christen.

Johan Cilliers: Das Land ist ist zutiefst religiös, mit vielen verschiedenen Formen auch eines indigenen Christentums. Religion vermittelt den Sinn des Lebens in einem Maße, wie das wohl kaum sonst irgendwo auf der Welt der Fall ist - aber immer fokussiert auf die Gemeinschaft und die Zugehörigkeit des Einzelnen zu ihr. Das ist anders als im Westen, wo der Einzelne stärker im Mittelpunkt steht.

Südafrika: Auch sie sind religiös: Anhänger der rechtsextremen Afrikaner Weerstandsbeweging (AWB) in Südafrika auf der Beerdigung ihres Anführers Eugene Terre'Blanche 2010.

Auch sie sind religiös: Anhänger der rechtsextremen Afrikaner Weerstandsbeweging (AWB) in Südafrika auf der Beerdigung ihres Anführers Eugene Terre'Blanche 2010.

(Foto: AFP)

Koopman: Soziologisch betrachtet sind die Kirchen die zivilgesellschaftlich am besten verankerten Institutionen. Ungeachtet auch mancher Schwächen sind sie zugleich diejenigen Institutionen, denen die Menschen das meiste Vertrauen entgegenbringen. Sie haben die beste Infrastruktur und in ihnen finden sich die meisten Menschen, die sich fürs Gemeinwohl engagieren. Die Kirchen sind es auch, die am ehesten die Menschen in prekären Lebensverhältnissen erreichen. In nahezu allen Lebensbezügen - Familie, Kultur, Ökonomie, Ökologie, Öffentlichkeit, politisches Engagement, Zivilcourage - wird auf die Stimme der Kirchen und Religionen gehört, gerade dann, wenn sie für die Menschenwürde, die Gerechtigkeit und die Freiheit eintreten. Es ist in Südafrika sogar so, dass eine explizit religiöse Sprache in öffentlichen Debatten durchaus Aufmerksamkeit und Gehör findet. Auch in der Politik.

Kumalo: Für die Menschen ist eine höhere, unsichtbare, spirituelle Wirklichkeit überall und permanent präsent. Sie beeinflusst alles, was geschieht, auch Politik und Ökonomie. Es gibt keine Unterscheidung zwischen einer sakralen und einer profanen Sphäre. Allerdings lassen sich, vermutlich aufgrund des Einflusses aus dem Norden, auch Prozesse gesteigerter Rationalisierung und Säkularisierung beobachten. Vor allem bei den höher Gebildeten.

Koopman: Deshalb ist es eine Aufgabe der Theologie, partikulare religiöse Überzeugungen in eine allgemein verständliche, auch außerhalb der eigenen Religionsgemeinschaft verständliche Sprache zu übersetzen

In Deutschland ist die Rolle der Religion inzwischen deutlich kleiner, zugleich gilt die Würde des Menschen als unantastbar.

Gräb: Die Rolle, die die Religion insbesondere in Gestalt des Christentums hat, wird zumeist gravierend unterschätzt, auch bei uns in Deutschland. Das Christentum ist im sogenannten säkularisierten Europa weithin die entscheidende Quelle für die Wert- und Sinnorientierungen der Menschen. Die Unterschiede zu Südafrika sind vor allem darin begründet, dass sich Christentum und Religion in Deutschland stark von ihrer Verankerung in den Kirchen und religiösen Gemeinschaften gelöst haben. Das Christentum hat bei uns eher eine zivilgesellschaftlich allgemeine kulturelle Präsenz gewonnen, die von verschiedenen Bildungsinstitutionen und sozialen Korporationen getragen und von den Medien befördert wird.

Koopmann: Sowohl die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland wie die der Republik Südafrika fordern die Anerkennung der Menschenwürde, verstehen sie im Kontext des Schöpfungsglaubens und sehen in ihr den wichtigsten Grundwert der Gesellschaft. Südafrika hat sich an das deutsche Grundgesetz angelehnt als die südafrikanische Verfassung entworfen wurde. Die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Südafrika im Zusammenhang der Menschenrechtsthematik geschieht auf der Basis gemeinsamer kultureller und religiöser Traditionen.

Ist es nicht eher die Aufklärung und weniger die Religion, der wir die Menschenrechte verdanken?

Gräb: Die Formulierung der Menschenrechte ist tatsächlich nicht das Verdienst der Religionen, auch nicht des Christentums, sondern der Aufklärung. So wenig man allerdings die Aufklärung als eine antireligöse Bewegung verstehen darf, so sehr muss man sehen, dass die Religionen inzwischen vielfach zu einer Re-Formulierung ihrer Traditionen in Orientierung an den Menschenrechten gefunden haben. Mussten die Menschenrechte anfänglich gegen die Religionen durchgesetzt werden, gibt es heute gerade in ihnen die Basis und die Kräfte, die deren Durchsetzung vorantreiben.

Kirche und Apartheid

Im Kampf gegen die Apartheid haben sich Kirchen und andere religiöse Gemeinschaften engagiert und sich dabei auf die Menschenrechte berufen. Aber ihre tatsächliche Bedeutung dafür ist umstritten.

Cilliers: Der Einsatz für die Menschenrechte kann natürlich nicht allein den Kirchen zugeschrieben werden. Man muss sich schon eingestehen, dass zumindest einige Kirchen in Südafrika während der Apartheid eine problematische Rolle spielten und keineswegs für die Menschenrechte eintraten.

Kumalo: Religionen bringen die Menschenrechte in eine unterschiedliche Rangordnung. Einige Kirchen und religiöse Gemeinschaften spielten durchaus auch eine positive Rolle im Kampf gegen die Apartheid, aber sie bewegen sich immer noch langsam in Richtung der Durchsetzung anderer Menschenrechte.

Welche meinen Sie?

Kumalo: Etwa die Gleichberechtigung der Frauen, das Recht auf Landbesitz, in Fragen der Abtreibung und der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft. Gerade im Blick auf die beiden letzten Punkte sind die religiösen Gemeinschaften in Afrika überhaupt sehr konservativ und stellen sich gegen diese Rechte. Es gibt aber auch Gegenstimmen. Die religiösen Gemeinschaften sind sich in diesen Fragen nicht einig. Das ist dann aber auch wieder der Vorteil, den diese Gruppen haben: Diese Fragen werden dort wenigstens offen angesprochen und kontrovers diskutiert. Hinzu kommt, dass die heiligen Texte der religiösen Gemeinschaften durchaus verdeckte Botschaften bezüglich der Menschenrechte enthalten. Die Herausforderung für die Theologie sehe ich deshalb darin, dass sie zu einem neuen Lesen der heiligen Texte verhilft.

Südafrikanische Freikirche

Gläubige der südafrikanischen Freikirche Apostoliese Kerk - Aposteleenheid beten in den heiligen Fertility Caves in den Maloti-Bergen.

(Foto: dpa)

Koopman: Seit den ersten demokratischen Wahlen in Südafrika 1994 und dem Ende der Apartheid achtet die Theologie auch aufmerksam auf die Rolle der Religion bei der Durchsetzung einer Kultur der Menschenrechte. Sofern eine Verletzung von Menschenrechten durch bestimmte theologische Positionen oder religiöse Praktiken festzustellen ist, wird dem strikt widersprochen. Zugleich wird die entscheidende Rolle der Religion, unter anderem der protestantischen Theologie, bei der Beförderung einer Kultur der Menschenrechte stärker gewürdigt. Zu diesem Thema arbeiten die Humboldt Universität zu Berlin, die Universität von Stellenbosch und die Universität von KwaZulu-Natal gut und nachhaltig zusammen.

Cilliers: Da die Theologie in Südafrika große öffentliche Aufmerksamkeit findet, haben wir an der Theologischen Fakultät hier in Stellenbosch das "Beyers Naudé Centre for Public Theology" gegründet.

Wer beteiligt sich noch an der Diskussion über die religiös-moralischen Auswirkungen der Globalisierung?

Koopman: Viele Disziplinen nehmen daran teil. Über den akademischen Diskurs hinaus spielen die Kirchen und andere gesellschaftliche Kräfte eine Rolle. Auch in unserer deutsch-südafrikanischen Kooperation beschränken wir uns nicht auf den wissenschaftlichen Bereich, sondern gehen in die gesellschaftliche Öffentlichkeit, wie zum Beispiel mit einer Ringvorlesung in Berlin und öffentlichen Vorträgen in Südafrika.

Kumalo: An der Universität KwaZulu-Natal arbeitet die Theologie eng mit vielen kommunalen Organisationen zusammen, die sich für die Verbesserung der Lebensbedingungen der Armen einsetzen. Das ist Forschung, die zusammen mit den Betroffenen betrieben wird.

Forschung, Wissenschaft und Innovation werden heute meist mit technischem Fortschritt und naturwissenschaftlichen Entdeckungen verbunden. Welche Impulse liefern die Geisteswissenschaften?

Gräb: Die Geistes- und Kulturwissenschaften arbeiten an der Klärung der normativen Orientierungen, die unsere Lebensführungspraxis bestimmen. Wenn die Globalisierung zu einer menschlicheren Welt für alle führen soll, dann müssen diese Wissenschaften mit ihrer Frage danach, wie diese menschlichere Welt aussehen müsste, eine zentrale Rolle spielen.

Kumalo: Wenn Geistes- und Kulturwissenschaften das Wissen über unsere Lebensweisen verbreiten - etwa durch Seminare in den Kommunen oder über die Medien - erreichen sie eine breitere Öffentlichkeit. Durch die Vermittlung von Wissen werden sich immer mehr Menschen ihrer Rechte bewusst und beginnen, für deren Durchsetzung einzutreten.

Gräb: Wir brauchen dazu auch den internationalen Austausch wie er in den Technik- und Naturwissenschaften längst stattfindet.

Koopman: Gerade die zur Zeit viel diskutierte nach-aufgeklärte, postliberale Wissenschaftstheorie befähigt uns, zu einem stärker ganzheitlichen Verständnis dessen zu finden, was rational, vernünftig, wirklich und wahr ist, was "Wissen" und "wissenschaftlich" bedeutet: Denn nicht allein das, was logisch und ohne Paradox erscheint, ist wirklich und wahr. Der post-liberale Ansatz macht es uns auch möglich, den Dualismus zu überwinden zwischen Materiellem und Spirituellem, Physischem und Metaphysischem, Mind and Body.

Das Spirituelle zeichnet sich aber doch gerade dadurch aus, dass es sich der Überprüfung entzieht.

Koopman: Ein ganzheitlicher Ansatz versucht diese Dichotomien hinter sich zu lassen bzw. sie in einer kreativen Spannung zusammenzuhalten. So kann mit Hilfe sowohl der "harten" Naturwissenschaften wie der "weichen" Geistes- und Kulturwissenschaften ein Wissen gewonnen werden, das nicht nur informiert und Einsichten über die Wirklichkeit vermittelt. Dieses Wissen hilft auch, diese Wirklichkeit zu verändern. In Richtung eines menschenwürdigen und freien Lebens für alle.

Dieser Artikel ist Teil einer Reihe von Texten, die die Zusammenarbeit von Forschern im Rahmen des Deutsch-Südafrikanischen Jahres der Wissenschaft 2012/2013 beschreiben. Die jeweiligen Projekte werden unterstüzt vom deutschen Bundesministerium für Bildung und Forschung und dem südafrikanischen Department of Science and Technology. Gefördert wurde hier eine öffentliche Ringvorlesung an der Humboldt‐Universität zu Berlin zum Thema "Religion und Menschenrechte" sowie zwei wissenschaftliche Konferenzen in Stellenbosch und Pietermaritzburg/Durban zu "Ethik der Religionen und Ethik der Globalisierung" und "Die gemeinsame Verantwortung für die eine Welt in einer religiös lebendigen und zugleich globalen Gesellschaft".

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