Stromspeicherung:Helfer für die Energiewende

Europas größter Batteriespeicher am Netz

Energiespeicher: Seit 2014 läuft in Schwerin das erste kommerzielle Batteriekraftwerk Europas mit Lithium-Ionen-Akkus.

(Foto: Jens Büttner/dpa)

Batterie-Kraftwerke, Mini-Pumpspeicher oder CO2-fressende Mikroorganismen: Mehrere Technologien konkurrieren darum, überschüssigen Ökostrom nutzbar zu machen.

Von Benjamin von Brackel

Wer die Zukunft unseres Energiesystems kennenlernen will, muss 3,3 Milliarden Jahre in die Vergangenheit reisen. Obwohl es damals noch keinen Sauerstoff in der Atmosphäre gab, existierten Mikroorganismen, die sich perfekt an die widrigen Bedingungen auf der jungen Erde angepasst hatten. Diese sogenannten Archaeen fraßen Kohlendioxid und schieden anschließend Methan aus. Die kuriosen Einzeller haben bis heute überdauert - und könnten nun zu einem wichtigen Baustein bei der Entwicklung leistungsfähiger Energiespeicher werden.

Das hofft zumindest die Firma Microbenergy im hessischen Allendorf. Auf dem Gelände des Unternehmens steht ein Stahltank, in dem eine milchige Flüssigkeit schwappt. 350 Trillionen der Ur-Bakterien sind darin heimisch. Diese Zellsuppe ist Teil des sogenannten Power-to-Gas-Verfahrens, mit dem überschüssiger Ökostrom im Gasnetz gespeichert wird. Wenn im Winter die Solarmodule oder die Windkraftwerke wochenlang kaum Strom liefern, kann das Methan in Gaskraftwerken wieder in Strom umgewandelt werden - annähernd CO2-neutral.

Die Power-to-Gas-Technologie ist einer von mehreren Ansätzen, um überschüssigen Strom zu speichern. Je weiter die Energiewende voranschreitet, desto dringender braucht es Speicher. Im Jahr 2014 mussten die Netzbetreiber soviel Ökostrom ungenutzt lassen wie in den Jahren 2009 bis 2013 zusammen - über ein Prozent der Produktion. Ingenieure und Unternehmen haben viele Ideen, wie man diese Verschwendung vermeiden könnte. Dabei setzen sie weniger auf riesige Pumpspeicherkraftwerke, die noch vor einigen Jahren als Hoffnungsträger der Energiewende gehandelt wurden. Stattdessen sollen in Zukunft vor allem kleinere Speicher überschüssigen Ökostrom auffangen und bei Bedarf wieder abgeben.

Nun schlägt die Stunde der Archaeen, die in ihrer wässrigen Lösung warten

Lange existierten dafür vor allem Ideen auf dem Reißbrett. Mittlerweile sind aber eine Reihe von Pilotprojekten gestartet. Mit ihnen lässt sich zwar noch kaum Geld verdienen, aber aus Sicht von Experten könnten sie der Energiewende den entscheidenden Schub geben: "Es hat in den vergangenen Jahren echte Durchbrüche gegeben", sagt Michael Sterner, Professor für Energiespeicher an der OTH Regensburg und einer der Entwickler der Power-to-Gas-Idee.

Die Allendorfer Anlage, in der das Konzept erprobt wird, ist seit dem Jahreswechsel ans Stromnetz angeschlossen. In einem ersten Schritt leiten die Ingenieure Strom in ein Wasserbecken, wo Wassermoleküle in Sauerstoff und Wasserstoff gespalten werden. Der Wasserstoff lässt sich ins Erdgasnetz einspeisen, allerdings nur in verhältnismäßig kleinen Mengen. Er mindert die Brennfähigkeit von Gas und schadet den Tanks und Turbinen. Ab einem Wasserstoff-Gehalt von 1,5 bis zwei Prozent muss Projektleiter Thomas Heller umsatteln: Aus einer angrenzenden Biogasanlage zweigt ein Rohr Kohlendioxid ab und leitet es in die Methananlage.

Nun schlägt die Stunde der Archaeen, die in ihrer wässrigen Lösung warten. Sie nehmen das CO2 und den Wasserstoff über ihre Zellwände auf und wandeln beides in Wasser und Methan um. Das so produzierte Methan ist der Hauptbestandteil von Erdgas. Es lässt sich direkt und nahezu unbegrenzt ins Erdgasnetz einspeisen. Dieses hat eine Speicherkapazität von 230 Terawattstunden - das 5000-fache aller deutschen Pumpspeicher.

Die Planer der Energiewende hoffen auch auf eine andere Art von Speicher. Bis vor wenigen Jahren war es noch nicht auszudenken, dass überdimensionierte Akkus als Stromspeicher und Netzstabilisatoren dienen könnten. Aber der Boom von Elektroautos in Asien hat die Batterie-Branche gehörig umgekrempelt. Um zehn bis 20 Prozent sinken die Preise der Lithium-Ionen-Akkus pro Jahr.

Seit September 2014 läuft in Schwerin das erste kommerzielle Batteriekraftwerk Europas. In einer Halle reihen sich über zwei Stockwerke die Regale, in denen sich die Batteriezellen bis zur Decke stapeln - insgesamt sind es 25 600 Speicher. Es sind die gleichen, wie sie auch in deutschen Elektroautos zu finden sind. Dank der konstant kühlen 18 Grad in der Halle sollen die Batterien mehr als 20 Jahre halten, verspricht der Hersteller Samsung. Für Elektroautos gelten nur acht Jahre.

Noch dieses Jahr soll im Bodensee eine hohle Betonkugel versenkt werden

Das Batteriekraftwerk soll die Netzfrequenz stabilisieren. Weicht diese von den üblichen 50 Hertz ab, reagiert die Anlage automatisch und in Millisekunden: Sie speichert Strom oder gibt ihn wieder ab ins Netz. Noch ist die Pufferwirkung der fünf-Megawatt-Anlage allein wegen ihrer Größe nur gering. Philip Hiersemenzel, Sprecher des Berliner Unternehmens Younicos, das das Batteriekraftwerk gebaut hat, vergleicht die Anlage denn auch eher mit den ersten Solar- oder Windanlagen: "Wir haben den Beweis erbracht, dass es geht." Der Markt für stationäre Batterien müsse aber erst noch entstehen, räumt er ein.

Etwa hundert solcher Anlagen könnten aber erste konventionelle Kraftwerke zur Netzstabilisierung überflüssig machen. Inzwischen hat die Wemag, die das 6,7-Millionen Euro teure Kraftwerk betreibt, Nachahmer gefunden: In Deutschland sind derzeit Batteriekraftwerke mit einer Leistung von mehr als 200 Megawatt in Planung, Bau oder Betrieb.

Wenn Wind- oder Solaranlagen allerdings einen ganzen Tag lang keinen Strom produzieren, kommen auch die Batterien an ihre Grenzen. Dann braucht es Pumpspeicherkraftwerke, in denen mit überschüssigem Strom Wasser in ein Staubecken gepumpt wird, von wo es wieder ins Tal fallen kann. In Deutschland sind derzeit mehr als 40 solcher Anlagen am Netz, insgesamt haben sie eine Speicherleistung von etwa sieben Gigawatt. Einer Studie des Fraunhofer Instituts für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES) zufolge liegt das Potenzial für Deutschland beim Fünf- bis Achtfachen.

Das Problem: Pumpspeicher lohnen sich derzeit nicht, wie sich etwa am Milliardenprojekt Atdorf zeigt. Es liegt momentan auf Eis. Die gespeicherte elektrische Energie aus Pumpspeichern erzielt derzeit an der Strombörse kaum noch Erlöse, da dort zu viel billiger Strom angeboten wird. "Die Krise wird sobald nicht vorbei sein, weil die Konkurrenz der Batteriespeicher stärker wird", vermutet Michael Sterner.

Pumpspeicher haben auch ein Imageproblem: Sie nehmen ganze Landstriche in Beschlag und ihr Bau belastet die Umwelt. An Ideen, diese Probleme zu umgehen, mangelt es nicht. So soll noch dieses Jahr im Bodensee eine hohle Betonkugel versenkt werden, die sich per Ventil an der Oberseite öffnen lässt. Wegen des Unterdrucks strömt Wasser hinein und treibt eine Pumpturbine an, die elektrische Energie erzeugt. Gibt es Stromüberschuss, drückt die Pumpe mit einer Leistung von fünf Megawatt das Wasser gegen die Wassersäule wieder hinaus.

Weiter vorangeschritten ist die Idee, die Pumpspeicher-Technologie mit der von Windrädern zu kombinieren - und so einige der Nachteile der Pumpspeicher wettzumachen. Auf dem Höhenzug der Limpurger Berge im Schwäbisch-Fränkischen Wald bei Gaildorf entsteht solch eine Anlage. Aus dem Becken im Tal drückt eine Pumpe bis zu 160 Millionen Liter Wasser 200 Meter den Berg hinauf. Nur landet das Wasser nicht wie bei normalen Pumpspeicherkraftwerken in einem großen Oberbecken, sondern in vier kleineren Becken, die zugleich das Fundament für die Windanlagen bilden.

Der Ansatz verspricht platzsparender zu sein und die Umwelt weniger stark zu belasten, da keine Tunnel gegraben werden müssen. Schon 2017 soll die Anlage in Betrieb geben - nach zwei Jahren Bauzeit. Üblich bei Pumpspeichern sind sonst zehn Jahre. Die Anlage soll sich auch deutlich schneller regeln lassen als große Pumpspeicher: Innerhalb von 30 Sekunden lässt sie sich anfahren. Allerdings ist die Leistung von 16 Megawatt und die Speicherkapazität von 70 Megawattstunden vergleichsweise klein. Deshalb denkt Projektleiter Gerhard Ihle von der Naturstromspeicher GmbH schon an den nächsten Schritt: Er will in deutschen Mittelgebirgen pro Jahr fünf neue Anlagen dieser Bauart errichten.

Decken die erneuerbaren Energien in Deutschland eines Tages drei Viertel des Energiemixes, wie in den Plänen für die Energiewende vorgesehen, benötigt man Speicher, die nicht nur für Stunden oder Tage, sondern über Wochen und Monate Energie vorhalten können. Diesen Part sollen die Power-to-Gas-Anlagen übernehmen. Neben der in Allendorf sind über die ganze Republik zwei Dutzend Pilotprojekte verteilt. Die meisten produzieren Wasserstoff, eines Diesel und ein paar Methan. Vielerorts benötigt man dafür allerdings Drücke und Temperaturen von Hunderten Grad. All das kostet Energie und Geld.

Deshalb setzt der Allendorfer Projektleiter Thomas Heller auf die Archaeen. Die Mikroorganismen wandeln Wasserstoff und Kohlenstoff bereits bei 70 Grad in Methan um. Zwar produzieren Anlagen wie die in Hessen nur vergleichsweise kleine Mengen an Gas, dafür können sie per Ventil jederzeit an- oder abgeschaltet werden. Die kleinen Anlagen ließen sich an viele der 7000 deutschen Biogasanlagen anschließen. "In einem dezentralen Energiesystem ergeben dezentrale Speicher mehr Sinn", sagt Heller. Zu Gesicht bekommt er die Archaeen übrigens nur auf seinem Bildschirm. Will er Temperatur, Druck oder pH-Wert in dem Tank regeln, kann er das von seinem Büro im etwa 400 Kilometer entfernten oberpfälzischen Schwandorf aus machen. Aus Hellers Sicht ist das ein großer Sprung für die Speicher-Technologie. Insbesondere wenn man bedenkt, dass das Verfahren vor drei Jahren noch in Reagenzgläsern erprobt wurde.

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