Streit um Antidepressiva:Schwer zu behandelnde Schwermut

Die Depression ist eines der schlimmsten Leiden überhaupt. Zu helfen bedeutet hier häufig, einem Selbstmord vorzubeugen. Doch nun stehen Behandlungsmethoden in der Kritik.

Werner Bartens

Ärzte fürchten das Schlimmste für ihre Patienten. Seitdem Forscher vergangene Woche in einer großen Übersichtsstudie bezweifelt haben, dass neuere Antidepressiva - der bekannteste Vertreter ist Prozac (in Deutschland Fluctin) - nicht besser wirken als Scheinmedikamente, gibt es eine heftige Debatte unter Medizinern.

Streit um Antidepressiva: Zwischen fünf und 15 Prozent der Erwachsenen erleiden vor dem 60. Lebensjahr eine Depression.

Zwischen fünf und 15 Prozent der Erwachsenen erleiden vor dem 60. Lebensjahr eine Depression.

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Der Psychiater Ulrich Hegerl von der Universitätsklinik Leipzig - Sprecher vom Kompetenznetz Depression - kritisiert ebenso wie Florian Holsboer vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München die Berichte, weil sie Patienten verunsicherten. Beide befürchten, dass diese Veröffentlichungen "einige Menschenleben kosten".

Die neue Untersuchung zu den Antidepressiva legt nahe, dass der Nutzen der Medikamente womöglich nicht so groß ist, wie häufig behauptet wird. Das hatten frühere Studien bereits angedeutet. Das heißt allerdings nicht, dass die Mittel überhaupt nicht wirken - der Placeboeffekt ist bei depressiven Patienten enorm und macht womöglich 75 Prozent der Wirkung der Medikamente aus.

Schon im Januar hatte eine Studie im angesehenen New England Journal of Medicine Aufsehen erregt, in der Antidepressiva kein gutes Zeugnis ausgestellt wurde. Sie zeigte, dass ein Drittel der Studien zu neueren Antidepressiva von Firmen nie veröffentlicht und damit eventuelle Gefahren und eine womöglich schwache Wirksamkeit verheimlicht wurden.

Nur 14 Prozent der Studien, in denen Medikamente nicht besser abschnitten als Zuckerpillen, wurden publiziert, während Studien mit Ergebnissen, die positiv für die Arzneihersteller ausfielen, fast alle veröffentlicht wurden.

Wenn sich bewahrheiten sollte, dass die Therapie der Depression von fragwürdiger Wirksamkeit ist, trifft das viele Menschen. Zwischen fünf und zehn Prozent der Erwachsenen, nach anderen Schätzungen bis zu 15 Prozent, erleiden vor dem 60. Lebensjahr eine Depression. Damit ist diese Erkrankung das häufigste psychische Leiden überhaupt.

Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass Depressionen bis zum Jahr 2020 - nach Herzkreislaufleiden - zweithäufigste Ursache für Erwerbsunfähigkeit und Behinderung sein werden. Die Mehrzahl der mindestens 12.000 Selbsttötungen, die jedes Jahr in Deutschland verübt werden, geht auf eine Depression zurück.

"Depression hat nichts mit ein bisschen Traurigkeit zu tun"

Gelegentlich wird die Depression mit einem Stimmungstief gleichgesetzt. "Depression hat nichts mit ein bisschen Traurigkeit zu tun", sagt Michael Wirsching, Leiter der Psychosomatik an der Uniklinik Freiburg. "Wer eine Depression mitbekommen hat, diese emotionale Leere, diesen Schleier, dieses Nicht-hoch-Kommen - das ist ein hundeelender Zustand."

Obwohl die Depression eines der schlimmsten Leiden überhaupt ist, wurde in den vergangenen Jahren auch kritisiert, dass mittlerweile bei zu vielen Menschen eine Depression diagnostiziert wird - die Zahl der psychisch Kranken habe nicht zugenommen, wohl aber die derjenigen, die als solche behandelt werden.

In ihrem Buch "The loss of sadness" (2007) beschreiben die US-Forscher Allan Horwitz und Jerome Wakefield, wie die Psychiatrie gemeinsam mit der Pharmaindustrie aus normaler Traurigkeit eine depressive Erkrankung gemacht habe.

Verschreibungszahlen für Psychopharmaka spiegelten dies wider: Mit Einführung der neuen Antidepressiva vom Typ SSRI in den achtziger und neunziger Jahren, deren Wirksamkeit in den neuen Studien angezweifelt wird, stieg auch die Zahl der angeblich Kranken. In den USA hat sich die Zahl derjenigen, die wegen einer Depression behandelt werden, in der Zeit von 1987 bis 1997 von 1,7 auf 6,3 Millionen fast vervierfacht.

Mit der zunehmenden Verordnung wurde auch der Streit um die richtige Therapie heftiger. Zwar sind sich Ärzte und Psychologen einig, dass die Behandlung Medikamente und Psychotherapieverfahren umfassen soll - allerdings mit unterschiedlichen Schwerpunkten.

Es ist von Vorlieben der Hausärzte und dem Zufall abhängig, ob ein Patient in die Psychiatrie, Psychosomatik oder in ein Landeskrankenhaus kommt. "Manchmal liegt es daran, ob ein Patient die linke oder rechte Straßenseite benutzt", hat Psychosomatiker Wirsching diese willkürliche Praxis einmal beschrieben.

Mehrfach haben Forscher darauf hingewiesen, dass die mit viel Marketing-Aufwand in den Markt gebrachten neuen Antidepressiva nicht besser, sondern nur teurer seien als die alten und ihr Nutzen überschätzt werde.

Der Gesundheitswissenschaftler Norbert Schmacke von der Universität Bremen warnt davor, dass sich die "Pharmakotherapie zu einem modernen Nahrungsergänzungsbestandteil entwickelt, weil es am Ende nicht mehr gelingen wird, das normale Maß an schlechten Stimmungen von dem behandlungsbedürftigen Kern von Depressionen mit Krankheitswert abzugrenzen".

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