Strahlenquelle:Polonium 210: im Handel erhältlich

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Man muss kein russischer Atomwissenschaftler sein, um an das giftige Isotop zu gelangen. Die Strahlenquelle ist zum Beispiel in Anti-Statik-Bürsten enthalten. Für eine tödliche Dosis reicht theoretisch genügend Material und etwas Laborerfahrung.

Markus C. Schulte von Drach

Noch immer ist völlig unklar, woher das Polonium stammt, mit dem der russische Ex-Agent Alexander Litwinenko offenbar umgebracht wurde. Die Suche nach der "Quelle" des radioaktiven Gifts wird jedoch erschwert durch die weite Verbreitung des Isotops Polonium 210.

Auch der StaticMaster Anti-Static Brush 3" der Firma NRD (hier vom Anbieter OPT) enthält Polonium 210. (Foto: Foto: screenshot)

Denn um an die Substanz heranzukommen, muss man kein russischer oder iranischer Atomwissenschaftler sein.

In Zigarettenrauch und Bürsten

Das Isotop gehört nicht nur zu den krebserregenden Bestandteilen im Zigarettenrauch oder in Kautabak.

Es wird zum Beispiel auch in ionisierenden Anti-Statik-Bürsten verwendet, mit denen Filme, Fotolinsen, Okulare und andere Flächen von Staub und kleinen Partikeln befreit werden. Auch in der Textil- und Papierverarbeitenden Industrie wird Polonium 210 als Anti-Statik-Mittel verwendet.

Die Alpha-Strahlung des Poloniums ionisiert die Luft in der Umgebung der Quelle - etwa einer Bürste - und hebt die statische Aufladung der betroffenen Flächen auf, so dass Staub sich leicht entfernen lässt.

Hersteller wie die US-Firma NRD weisen sogar extra darauf hin, dass ihre Produkte, die seit Jahrzehnten in der Medizin, Forschung und Fotografie "sicher" eingesetzt werden, gerade aufgrund der "Alpha-Energie der Polonium-210-Quelle" als Ionisierer funktionieren.

Tatsächlich ist Polonium 210 in den Dosen, denen Menschen normalerweise ausgesetzt sind, völlig harmlos. Die menschliche Haut oder ein Stück Papier halten die Strahlung bereits auf. Wird die Substanz jedoch eingeatmet oder gelangt über die Nahrung oder eine Wunde in den Körper, ist es hochgefährlich.

Und um an tödliche Dosen zu gelangen, reicht es offenbar, sich genug legale Produkte zu besorgen, die Polonium 210 enthalten.

Bis zu zehn Prozent der tödlichen Dosis in einer Bürste

Obwohl die Verwendung in den USA von der Nuclear Regulatory Commission (NRC) kontrolliert wird, können zum Beispiel Anti-Statik-Bürsten bis zu 10 Prozent der tödlichen Dosis von Polonium 210 enthalten, berichtete Peter D. Zimmerman vom King's College London im Wall Street Journal.

Und Luft-Ionisierer, die in der Industrie eingesetzt werden, "können ohne ernsthafte Einschränkung bis zur tödlichen Grenze gehen".

Nach Angaben der New York Times "muss eine tödliche Dosis Schätzungen zufolge nicht mehr als 22.50 Dollar plus Steuern kosten".

Wie leicht sich eine solche Dosis erreichen lässt, zeigt das Beispiel der NRD-Bürsten. Sechs dieser kleinen Geräte, so berichtet die Zeitung, genügen theoretisch, um auf die tödliche Dosis von 3000 Mikrocurie zu kommen. Notwendig sei lediglich etwas Laborerfahrung.

Ein anderes Gerät der Firma NRD, das Anti-Statik-Gebläse Model P-2063-1200, Nuclear Ionizer Fan Element, kommt von vorn herein sogar auf 31.500 Mikrocurie.

Genau so ein Gerät wurde übrigens kürzlich in Minnesota als vermisst gemeldet. Wie die Filiale des amerikanischen Unternehmens Seagate Technology in Bloomington in einem Brief an das Gesundheitsministerium des US-Bundesstaates erklärte, sollte das Gerät "zum Hersteller zurückgehen, doch trotz einer intensiven Suche . . . konnte es nicht gefunden werden".

Die U.S. Nuclear Regulatory Commission, die darüber informiert wurde ( Event Notification Report for November 24, 2006), behandelt solche Ereignisse allerdings nicht als Notfall.

Es handele sich um eine Strahlenquelle unterhalb der Kategorie 3 der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA - also einer Strahlenquelle, die "nur geringe Mengen radioaktiven Materials beinhaltet". Lediglich bei einem nicht vorschriftsmäßigen Umgang sei es möglich, dass Personen "verletzt" werden.

Doch wenn auch der Verlust eines ganzen Gebläses mit Polonium-210-Quelle für die Behörde demnach kein großes Risiko darstellt - wie der Fall Litwinenko zeigt, kann die Substanz in den falschen Händen durchaus eine tödliche Gefahr sein.

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