Steinmeiers Organspende:Der Körper als Geschenk

Niemand darf gezwungen werden, seinen Körper anderen Menschen zur Verfügung zu stellen. Umso eindrucksvoller ist das Beispiel, das Frank-Walter Steinmeier nun abgibt, wenn er seiner Frau eine Niere schenkt.

Werner Bartens

Es ist eine intime Entscheidung, zu Lebzeiten ein Organ zu spenden. Kranke, die ein Organ benötigen, können sich eine solche Gabe wünschen, sie herbeisehnen, aber nicht sie einfordern - auch nicht von ihren Liebsten. Niemand ist verpflichtet, bei lebendigem Leib ein Organ zu spenden. Zu groß ist das Unbehagen vieler Menschen gegenüber dem Eingriff. Das Risiko bei der Entnahme einer Niere ist zwar gering, doch der Spender gefährdet immerhin seine körperliche Unversehrtheit, obwohl er gar nicht krank ist. 600 Menschen haben im vergangenen Jahr in Deutschland zu Lebzeiten eine Niere gespendet. SPD-Fraktionschef Chef Frank-Walter Steinmeier will es ihnen nachtun und seiner Frau ein Organ überlassen.

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Frank-Walter Steinmeier zieht sich für einige Wochen aus der Politik zurück, um seiner kranken Frau, Elke Büdenbender (hier auf einem Archivfoto von 2007 zu sehen), eine Niere zu spenden.

(Foto: AFP)

Zu Recht vertraut er darauf, im Oktober wieder zurück in der Politik zu sein. Wenn alles gut geht (und das geht es bei der risikoarmen Operation fast immer), hat Steinmeier mit einer Niere eine ähnliche Lebenserwartung wie zuvor. Für Steinmeiers Frau hat die Gabe ihres Mannes viele Vorteile. Auf der Warteliste für Organe Verstorbener müsste sie zwischen sechs und sieben Jahren ausharren, bis sie eine Niere verpflanzt bekäme. In dieser Zeit leiden Herz, Gefäße und andere Organe durch die trotz der Dialyse anschwemmenden Giftstoffe im Körper.

Zudem ist die Prognose nach einer Lebendspende besser, weil der Zeitraum zwischen Entnahme und Verpflanzung kürzer und der Eingriff planbar ist. Da die Gewebemerkmale der beiden offenbar ausreichend übereinstimmen, bestehen gute Chancen, dass Steinmeiers Niere nicht von seiner Frau abgestoßen wird. Um dies zu verhindern, muss sie lebenslang Medikamente nehmen, die ihr Immunsystem dämpfen.

Steinmeiers Frau hat Glück, denn es gibt weitaus mehr Patienten als Spender. 2009 konnten nur 4709 Organe (von 1217 Spendern) in Deutschland transplantiert werden, darunter waren knapp 3000 Nieren. 12.000 Patienten stehen auf der Warteliste für eine Transplantation, 8000 von ihnen warten auf eine Niere und lassen sich mehrmals in der Woche dialysieren. Die Warteliste ist allerdings eine Mogelei, denn es gibt 50.000 Nierenkranke, die auf Blutwäsche angewiesen sind und dringend ein neues Organ bräuchten; die Hälfte der Dialysepatienten stirbt innerhalb von zehn Jahren.

Manche Nierenkranke kommen aber nie auf die Liste, weil sie zu alt sind. Das ist eine Form der Altersdiskriminierung. Dem medizinischen Ethos würde es entsprechen, Kranken unabhängig davon zu helfen, ob sie fünf Jahre oder fünf Jahrzehnte vor sich haben. Wer 20-Jährigen und nicht 75-Jährigen ein Spenderorgan zukommen lässt, handelt utilitaristisch, nicht medizinisch. Das Leben des Jüngeren gilt als wertvoller. Die Praxis bestätigt dies. Nur zehn Prozent der Patienten auf der Warteliste sind über 65 - obwohl die Hälfte der chronisch Nierenkranken zu dieser Altersgruppe gehören.

Misstrauen vor der Medizin

Die Diskrepanz zwischen dem, was Menschen für sich wollen und für andere zu tun bereit sind, ist groß. In Umfragen geben 95 Prozent der Deutschen an, dass sie sich ein Spenderorgan wünschen, wären sie darauf angewiesen. Einen Organspendeausweis haben aber nur 14 Prozent der Deutschen. Zumeist entscheiden Angehörige am Sterbebett darüber, ob ein Organ entnommen werden kann.

Trotz des beträchtlichen Mangels ist niemand verpflichtet, nach seinem Tod ein Organ zu spenden. Zu groß ist das Unbehagen vieler Menschen, wenn sie sich vorstellen, dass ihr Körper kurz nach dem Ableben aufgeschnitten wird, um ein Organ zu entnehmen. Manche Menschen stört diese Vorstellung aus religiösen Gründen, andere misstrauen der Medizin und befürchten, bei der Organentnahme noch nicht tot zu sein. Diese Bedenken mögen irrational sein und sich widerlegen lassen. Der Hirntod wird von verschiedenen Ärzten bestätigt. Und dass die eigenen Darmbakterien den Verwesungsprozess nach dem Tod beschleunigen, und schließlich Würmer und Käfer das Fleisch zu Humus werden lassen, ist nicht unbedingt appetitlicher als eine Organentnahme.

Trotzdem gilt: Wer seinen toten Körper nicht zur Verfügung stellen will, der will eben nicht. Man muss nicht religiös sein oder Ärzten dunkle Machenschaften unterstellen, um eine Organspende für sich auszuschließen. Dieses Unbehagen wird in der Mangelrhetorik schnell übersehen. Demnach wäre Deutschland ein einig Volk von potentiellen Organspendern, wenn endlich die richtigen Argumente bei allen ankommen würden.

Man kann das Unbehagen der Menschen und den Widerwillen, sich mit Themen wie Tod und Organspende zu beschäftigen, nicht übergehen. Eine Widerspruchsregelung wie in Österreich, die von der Zustimmung ausgeht, zwingt die Menschen dazu, sich zu dem Thema zu verhalten. Das muss niemandem zugemutet werden. Besser wäre es, die Bereitschaft zur Lebendspende zu stärken. Der gesetzliche Rahmen beschränkt sie auf enge Verwandte oder Bekannte und schließt daher Organhandel aus. Sie ist von niemandem zu erzwingen, aber der Spender weiß in diesem Fall, für wen er hilfreich einspringt. Frank-Walter Steinmeier - und die 600 Lebendspender im vergangenen Jahr - haben hier ein eindrucksvolles Beispiel gegeben.

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