Start zur Raumstation ISS:Weizenzüchter auf dem Weg ins All

Start zur Raumstation ISS: Der Russe Maxim Surajew mit seiner Weizenzüchtung auf der ISS

Der Russe Maxim Surajew mit seiner Weizenzüchtung auf der ISS

(Foto: Roskosmos)

Ein Russe, ein Amerikaner und ein Deutscher starten zur ISS. Der eine flog vorher Kampfeinsätze. Der andere züchtete heimlich Weizen auf der Raumstation - und löste damit fast eine Kosmonautenkrise aus.

Von Alexander Stirn

Der eine ist ein Veteran, der andere ein Frischling. Der eine wirkt ernst und nachdenklich, der andere ist ein Strahlemann und für jeden Schabernack zu haben. Vor allem aber: der eine ist Russe, der andere ist Amerikaner.

Trotzdem kommen der Russe Maxim Surajew und der Amerikaner Reid Wiseman prächtig miteinander aus - ihnen bleibt allerdings auch kaum eine andere Wahl: 166 Tage lang wird das ungleiche Duo künftig zusammen auf der Internationalen Raumstation ISS leben und arbeiten, forschen und die Aussicht genießen. Surajew und Wiseman, sind die Kollegen des deutschen Raumfahrers Alexander Gerst (lesen Sie hier ein Porträt des Deutschen). Am Mittwochabend werden alle drei in eine "Sojus"-Kapsel klettern und ins All aufbrechen.

Warum die Weltraumagenturen ausgerechnet Surajew und Wiseman für diese Mission ausgewählt haben, bleibt ihr Geheimnis. Sicher ist nur: Bei der Auswahl von Astronauten und beim Zusammenstellen der Crews überlassen Raumfahrtmanager nichts dem Zufall. Jahrelang trainieren die Aspiranten gemeinsam, über Monate sind sie auf engstem Raum zusammengesperrt. Mit Gerst und Wiseman sind dieses Mal gleich zwei Weltraumneulinge an Bord.

Erst seit fünf Jahren arbeitet Gregory Reid Wiseman für die US-Raumfahrtbehörde Nasa. Den Sprung ins Astronautenkorps hat er erst im zweiten Anlauf geschafft: Obwohl sich die US-Marine schon 2003 bei der Nasa für den Piloten stark macht, wird Wiseman weder zum medizinischen Eignungstest noch zu einem Vorstellungsgespräch nach Houston gebeten.

Ein bloggender Kosmonaut: eine Provokation

Um dem All näher zu kommen, bewirbt sich Wiseman, der zuvor Kampfeinsätze im Irakkrieg und in Afghanistan geflogen hat, an der Testpilotenschule der Navy in Patuxent River - jenem legendären Ort in Maryland, wo bereits Alan Shepard, der erste Amerikaner im All, seine Ausbildung erhielt. Wiseman, Rufname "Tonto", brilliert als Pilot, erlangt einen Master in Systemtechnik. Das Interesse der Nasa steigt, sie beruft ihn zum Astronauten. 2011 wird dem Mann mit dem breiten Lachen der Flug zur ISS zugewiesen - gemeinsam mit Gerst und Surajew.

Zu diesem Zeitpunkt hat Maxim Wiktorowitsch Surajew seinen härtesten Kampf bereits hinter sich. Dieser fand nicht im Weltall statt. Wie Wiseman ist auch Surajew ein Kampfpilot. Da bereits sein Vater beim Militär war, kommt Surajew in seiner Jugend viel herum. Vom heimischen Tscheljabinsk im Ural nach Sibirien, dann nach Moskau. Er wird in der Militärhochschule von Kacha zum Piloten ausgebildet, besucht die technische Akademie der Luftwaffe. Im Alter von gerade mal 25 Jahren stößt Surajew 1997 zum russischen Kosmonautenkorps.

Die Raumfahrerkarriere kommt nicht so recht in Gang. Zweimal muss sich der Russe mit einem Platz in der Reservemannschaft begnügen. Er trainiert wie die echte Crew, soll aber nur im Notfall zum Zug kommen. Es gibt keinen Notfall, Surajew bleibt auf der Ersatzbank. Er holt einen Hochschulabschluss in Jura nach.

Im September 2009 darf Maxim Surajew dann doch ins All fliegen. 168 Tage lang, als Bordingenieur auf der ISS. Er macht dort etwas, das es in Russlands traditionell abgeschirmter Raumfahrt zuvor nicht gab: Er bloggt. Offen, unterhaltsam, unkonventionell schildert er seine Erlebnisse auf der ISS, gibt Einblicke in den Alltag, macht auch mal Blödsinn.

Start zur Raumstation ISS: Maxim Surajew bei einem Weltraumspaziergang

Maxim Surajew bei einem Weltraumspaziergang

(Foto: Esa)

Surajews heimliche Experimente kosten ihn fast die Karriere

Dazu gehört, dass er Weizen im All züchtet, "Superkarlik"-Weizen, eine besonders anspruchsvolle Sorte. Die Körner hatte er - so geht die Geschichte - an Bord geschmuggelt. Von den Zuchtexperimenten wissen seine Vorgesetzten angeblich nichts. Sie erfahren erst davon, als Surajew die Ähren stolz auf einem Foto präsentiert.

Wissenschaftler sind zunächst entsetzt, dann entzückt. In der russischen Raumstation "Mir" mit ihrer stark durch Äthylen verunreinigten Luft war Superkarlik stets eingegangen. Irgendwas muss auf der ISS anders sein, besser.

Surajews Vorgesetzte finden das offenbar nicht so lustig. Das Verteidigungsministerium verweigert ihm nach geglückter Landung den Orden "Held der Russischen Föderation" - eine Auszeichnung, die Kosmonauten sonst routinemäßig bekommen. Mit ihr sind Pensionsansprüche, ein Staatsbegräbnis sowie eine Wohnung im Gagarin-Trainingszentrum unweit von Moskau verbunden. Surajews Kollegen gehen auf die Barrikaden, sogar von einem Kosmonautenstreik ist die Rede. Ende 2010 bekommt der blonde Russe schließlich seinen Orden. Nun darf er erneut fliegen.

Die Öffentlichkeit erlebt dieses Mal allerdings einen anderen Maxim Surajew. Ernster, zurückhaltender, vorsichtiger wirkt er. Beim letzten Flug posierte er noch mit Nikolausmütze, präsentierte wie ein stolzes Kind seinen Weizen und pries eine abmontierte Wärmepumpe als neueste Waffe im Kampf gegen Aliens. Jetzt strahlt er bei seinen Auftritten stets Autorität aus. Sein Lächeln, wenn er überhaupt lächelt, wirkt distanziert.

Wiseman, Jahrgang 1975, und der ein halbes Jahr jüngere Gerst, geben sich da unbedarfter. Bei Twitter wirken die beiden wie zwei College-Jungs, die zu ihrem ersten Abenteuer starten. Taucht Surajew dann ebenfalls auf ihren Selfies auf, könnte er auch der große Bruder sein, der erst zum Foto überredet werden musste.

Start zur Raumstation ISS: Wiseman und Gerst

Wiseman und Gerst

(Foto: Bill Stafford - NASA - JSC; Esa)

Vielleicht hängt das aber weniger mit Surajew als mit der Raumfahrt an sich zusammen, mit ihren klaren Regeln und Kommandostrukturen. Der Russe ist nicht nur Kommandant der "Sojus"-Kapsel, mit der das Trio am Mittwochabend ins All fliegen soll, er wird nach drei Monaten auch das Kommando in der Raumstation übernehmen. Sich gut zu verstehen, ist dafür eine Voraussetzung. Beste Kumpels zu sein, ist mitunter eher hinderlich.

Bei allen vermeintlichen oder tatsächlichen Unterschieden verbindet Surajew und Wiseman noch etwas anderes: Beide haben zwei Töchter. Und die werden bei ihrer Rückkehr nach 166 Tagen im All ganz einfach auf ihren Vater warten.

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