Spinnen:Der Spinnen-Phobiker, der Spinnen erforscht

A specimen of the newly-discovered Australian Peacock spider, Maratus Bubo, shows off his colourful abdomen in this undated picture from Australia

Unter Pfauenspinnen führen die Männchen bizarre Tänze auf, um von Weibchen beachtet zu werden.

(Foto: Reuters)

Mehr als 1000 Spinnen-Arten hat der Australier Robert Raven benannt - ein Wunder, schließlich hat der Forscher Angst vor den Tieren.

Von Andrea Hoferichter

Robert Raven zieht ein moosartiges Geflecht aus einem Plastikbecher. Eine walnussgroße, schwarze Spinne mit kräftigen Gliedmaßen krabbelt heraus. Sie zählt zu den Trichternetzspinnen, eine der wenigen gefährlichen Spinnenfamilien der Welt. "Trichternetzspinnen können einen Menschen mit einem Biss in die Brust in nur 15 Minuten umbringen", sagt der australische Biologe, der seit 40 Jahren für die Spinnensammlung des Queensland-Museum verantwortlich ist. Als er die Spinne mit einer Pinzette traktiert, richtet sie sich auf und sondert ein paar durchsichtige Tropfen Gift ab. "Sie ist ziemlich sauer", erklärt er. Das Gift werde nun analysiert und helfe bei der Artenbestimmung.

Kaum zu glauben, dass der Mann eigentlich Angst vor den Achtbeinern hat. Schuld ist eine Anekdote wie aus einem Horrorfilm. "Als ich noch ein Kind war, erzählte mein Vater, wie er in alten Minenschächten Spinnennetze mit brennendem Zeitungspapier entfernen sollte. Hunderte Spinnen prasselten dabei auf ihn nieder, auf sein T-Shirt, in die Hose und so weiter. Sie waren überall", berichtet Raven. Die Geschichte habe sein Verhältnis zu Spinnen geprägt. "Allein der Gedanke, eine schwarze Spinne auf der Haut zu haben, löste bei mir Angstschweiß aus."

Als Student entschied er, sich der Spinnenangst zu stellen, und wollte damit vor allem Spannung in sein langweiliges Biologiestudium bringen. So machte er Spinnen zu seinem Forschungsgegenstand und später zum Beruf. Heute betreut er eine Sammlung von etwa 200 000 toten Spinnen und rund 200 lebendigen, die je nach Größe in Gläsern oder Terrarien gehalten werden. Meistens ist Raven im Busch unterwegs, auf der Suche nach noch unbekannten Arten. Oder er sitzt am Mikroskop, um neu entdeckte Exemplare zu untersuchen. Viel näher, als Raven es tut, kann man den Tieren nicht kommen.

Mehr als 1000 Arten habe er mit seinem Team schon benannt, erzählt er, "mehr als es in ganz Deutschland gibt." Erst kürzlich sind nach aktuellem Stand rund 80 neue Spezies hinzugekommen, aufgestöbert im fast unberührten Outback der Halbinsel Cape-York im Nordosten Australiens unter der Leitung von Ravens Kollegin Barbara Baehr. Eine genaue Beschreibung steht allerdings noch aus.

Einer Tarantelart gelingt es, bis zu vier Stunden unter Wasser zu überleben

Die zehntägige Expedition war eine Initiative von "Bush Blitz", einer staatlichen Kooperation mit Naturschutzorganisationen. Das Ziel ist eine Bestandsaufnahme der Fauna, um der Region gegebenenfalls Schutzstatus zu verleihen und sie vor Minen- oder Straßenbau zu bewahren. Ravens beeindruckendster Fund: eine Tarantel, die stundenlang tauchen kann. Sie sprang direkt vor ihm ins Wasser, als er bis zur Brust in einem Bach stand, um Spinnen von der Wasseroberfläche ans Ufer zu treiben. Die Tarantel tauchte unter - und nicht wieder auf. Mit einem Netz konnte er sie schließlich fangen. "Auch im Labor verschwand sie erst mal für vier Stunden in einem Wasserbecken", erzählt der Forscher. Den nötigen Sauerstoff sammelt sie aus Luftblasen, die sich unter Wasser um den haarigen Hinterkörper bilden.

Das Team entdeckte außerdem eine neue Pfauenspinnenart. Wenn die männlichen Vertreter dieser erbsenkleinen Spezies auf Brautschau sind, klappen sie ihr farbenprächtiges Hinterteil hoch wie ein Pfau seine Schwanzfedern. "Es macht einfach glücklich, diese Spinnen zu beobachten. Man sollte sie therapeutisch nutzen", schwärmt Raven.

Trotzdem findet er es verwunderlich, welch großes Medienecho neu entdeckte Arten immer wieder auslösen. "Es ist ja keine große Kunst, in Australien neue Spinnenarten zu entdecken", sagt er. Von den geschätzten 10 000 Arten seien gerade mal 3500 bekannt. Selbst viele alte Arten bergen noch Geheimnisse. In deutschen Sammlungen zum Beispiel lagern Spinnenfunde aus dem 19. Jahrhundert, die aus Australien stammen sollen, dort aber nie gesichtet wurden. "Sind diese Spinnen einfach verschwunden? Oder war die Zuordnung ein Irrtum? Das wollen wir herausfinden", erzählt Raven. Man müsse dabei wie ein Detektiv in einem Krimi vorgehen, und oft ganze Archive nach brauchbaren Informationen durchforsten.

Ob seine Spinnenangst mittlerweile Vergangenheit ist? "Ich kann damit umgehen. Ganz weg ist sie aber nicht", sagt er. Das sei ihm zum ersten Mal 1995 bei einer Wüstenexpedition schlagartig bewusst geworden. "Ich habe tage- und nächtelang unzählige Spinnen beobachtet und gesammelt. Alles kein Problem. Als ich mich aber zum Schlafen ins Zelt legte und plötzlich über mir eine Riesenkrabbenspinne entdeckte, größer als mein Gesicht, rannte ich aus dem Zelt, so schnell ich konnte", erzählt er. Draußen habe er dann tief Luft geholt und sich gesagt "du bist doch hier der Spinnenexperte, du gehst da wieder rein".

Spinnen: Spinnenphobiker und -forscher Robert Raven wundert sich manchmal selbst, dass er sich so intensiv mit den Tieren beschäftigt.

Spinnenphobiker und -forscher Robert Raven wundert sich manchmal selbst, dass er sich so intensiv mit den Tieren beschäftigt.

Gerade der Kontakt mit solchen Riesenkrabbenspinnen fordert Raven immer wieder eine enorme mentale Kraftanstrengung ab. Ist er müde oder krank, meidet er vor allem sie. "Bei ihnen lässt sich besonders schwer vorhersagen, in welche Richtung sie sich gleich bewegen werden", erzählt der Forscher. Die Folge sei ein Unbehagen, eine Art Unschärfe im Kopf, wie wenn man im Kino zu dicht vor der Leinwand sitze oder als Mitfahrer im Auto nicht aus dem Fenster schauen könne. "Man kann nicht fokussieren, und einem wird schlecht."

Mehr als 100 Mal ist Robert Raven von giftigen Spinnen gebissen worden

Den Beruf zu wechseln, ist ihm dennoch nie in den Sinn gekommen: "Die Natur hält immer neue Rätsel bereit, und ich liebe Rätsel", sagt Raven. "Zum Beispiel haben wir vor Kurzem eine neue Art entdeckt, mit rotem Kopf und blauem Körper. Wunderschön. Aber wir finden ausschließlich Männchen." Warum nur? Vielleicht liegt es daran, dass die Weibchen weniger abenteuerlustig sind und sich nicht so weit von ihrer Brutstätte entfernen. Für die Beschreibung der Art aber sind die Männchen ohnehin ausreichend: "Die Form der Genitalien ist für jede Art einzigartig", sagt Raven. Auch die Gifte, die Spinnen produzieren, sind ein spannendes Forschungsthema. Sie könnten künftig in der Medizin zum Einsatz kommen, etwa gegen Brustkrebs. Daran arbeitet zurzeit einer von Ravens Studenten. Eine weitere wichtige Aufgabe des Arachnologen ist die Diagnosehilfe bei Spinnenbissen, und er schult auch medizinisches Personal zu diesem Thema. Spinnenbisse sind nicht selten in Australien. Raven selber ist mehr als 100 Mal gebissen worden. "Nicht weiter schlimm, aber lästig", sagt er. Im Übrigen seien die meisten Spinnenarten harmlos und höchstens auf Umwegen gefährlich. Riesenkrabbenspinnen etwa verursachen immer wieder Autounfälle, weil sie die Fahrer erschrecken, und haben damit mehr Todesfälle zu verantworten als irgendeine giftige Art.

Auch deshalb war Raven kürzlich beim World Science Festival in Brisbane dabei. Besucher konnten sich bei ihm handtellergroße Spinnen über Hände, Arme und Gesicht laufen lassen. Viele mussten sich sehr überwinden. "Dann aber konnte man sehen, wie sich Mimik und Haltung plötzlich änderten und sie die Kontrolle zurückgewannen, wie Kinder stolz zu ihren Müttern blickten. Da sind viele tolle Dinge passiert", schwärmt der Wissenschaftler. Und oft sei seine eigene Geschichte eine Motivation für andere gewesen, den Kontakt zu wagen. "Wer sagte, er könne das nicht tun, weil er Angst vor Spinnen habe, dem antwortete ich einfach: 'Ich auch'."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: