Simulationen zum Klimawandel:Die Zukunft aus 24 Schränken

Zwei Jahre lang rechnete der Supercomputer in Hamburg: Er simuliert genauer als je zuvor, wie sich das Klima bis zum Jahr 2300 ändern könnte.

Christopher Schrader

Vorne steife Nordseebrise, hinten Mistral. Die 24 schwarzen Schränke im vierten Stock des Deutschen Klimarechenzentrums in Hamburg machen selbst ganz schön Klima. Vor den Vorderseiten des in zwei Reihen aufgestellten Supercomputers schieben Ventilatoren im Boden kühle Luft durch die gelochten Bleche der Türen in die Schränke. Hinten blasen diese einen heißen, fast schneidenden Mittelmeerwind aus. Die Temperaturdifferenz ist ein fühlbares Maß der Rechenleistung. Und vielleicht eine Vorschau auf das Jahr 2100, wenn der Klimawandel richtig Fahrt aufgenommen hat.

Die 24 Schränke in Hamburg haben nämlich einen Ausblick auf das Ende des Jahrhunderts geliefert. Die Daten sollen im kommenden Jahr in den nächsten Bericht des Weltklimarats IPCC einfließen; das Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie (MPIM) und das benachbarte Klimarechenzentrum (DKRZ) stellen sie an diesem Donnerstag vor. "Der Computer hat für drei verschiedene Szenarien jeweils die Zeit von 1850 bis 2100 berechnet und das jeweils dreimal. Er war zwei Jahre damit beschäftigt", sagt Jochem Marotzke, Direktor am MPI. Er betont, dass der Computer aber keine Vorhersagen liefert, sondern Projektionen, die auf Annahmen basieren und einen möglichen Verlauf des Klimas zeigen.

Zum ersten Mal haben die Forscher dabei auch eine Zukunft simuliert, wie sie die Politiker der Welt seit dem Klimagipfel in Kopenhagen debattieren: eine, in der sich die Welt bis zum Jahr 2100 um höchstens zwei Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit erwärmt. "Bisher gab es dazu kein detailliertes Szenario", sagt Marotzke, "das war eine konzeptuelle Schwäche des vierten Berichts des IPCC von 2007." Jetzt gibt es eines, und es heißt wenig eingängig RCP2.6.

Die Ziffern sind ein Maß der zusätzlichen Erwärmung der Atmosphäre durch die Menschheit; der Weltklimarat hat sie den etwa zwei Dutzend Forschergruppen in aller Welt vorgegeben, die solche Simulationen machen. "Um diesen Pfad zu erreichen, dürfen die Treibhausgas-Emissionen nur noch bis 2020 steigen und müssen dann sehr schnell fallen", sagt Marotzke. "Aggressiver Klimaschutz", nennt das die Politik. Aber für Marotzke ist es keine Forderung, sondern ein Ergebnis seiner Rechnungen.

Der Computer in Hamburg hat damit nun demonstriert, dass das IPCC-Szenario funktioniert: Wunschgemäß bleiben die Zacken der berechneten Temperaturkurven unter der Erwärmung von zwei Grad. Der Meeresspiegel steigt nur langsam, vielleicht um 20 Zentimeter, die Eisdecke am Nordpol stabilisiert sich, Veränderungen der Regenmengen sind zumindest in Europa kaum zu bemerken. Ähnlich haben es auch schon die Simulationen von amerikanischen, kanadischen und englischen Kollegen gezeigt.

Kurve ohne Mäßigung

Daneben gibt es in den Grafiken aus Hamburg zwei zusätzliche Zackenkurven, die weiter oben in der Temperaturskala das Jahr 2100 erreichen. Die mittlere stabilisiert sich bei etwa drei Grad Erwärmung, sie steht für eher zögerlichen Klimaschutz. Die oberste mit der Bezeichnung RCP8.5 kennt keine Mäßigung. Sie steigt und steigt, bricht das Zwei-Grad-Ziel in Deutschland und anderen Teilen der Welt schon 2030 und hat zum Ende des Jahrhunderts etwa fünf Grad Aufheizung erreicht, ohne sich zu stabilisieren. In Deutschland bleibt dann im Sommer bis zur Hälfte des gewohnten Regens aus und die Arktis ist bereits seit einigen Jahrzehnten im Sommer eisfrei.

Weitere Simulationen bis zum Jahr 2300 zeigen, dass dies nur der Anfang der drastischen Veränderungen ist. "Einen derart ungebremsten Anstieg der Treibhausgase darf es nicht geben", sagt Marotzke. Es ist sein einziger Satz, der so etwas wie eine politische Forderung sein könnte. Ansonsten sieht sich der Wissenschaftler als Informationsquelle: Er rechnet aus, was in der politischen Welt interessant sein könnte und diskutiert wird.

Dazu dient der Computer in den 24 Schränken. Es ist eine IBM-Maschine mit insgesamt 8448 Prozessoren. Bei der Installation im Jahr 2009 gehörte sie zu den 30 schnellsten Rechnern der Welt, in der jüngsten Liste steht sie auf Platz 98.

Für die Berechnung des Klimas auf der Maschine haben die Klimaforscher die Welt in Millionen Kästchen zerlegt. In der Horizontalen orientieren sich diese an den Breiten- und Längengraden, sind also nahe der Pole kleiner als am Äquator. Hier messen sie etwa 180 mal 180 Kilometer und haben im Schnitt eine Höhe von 1,7 Kilometern. Der Ozean ist feiner untergliedert, die Zellen sind 40 mal 40 Kilometer groß und im Mittel 200 Meter dick. In geringer Lufthöhe und Wassertiefe, auf die es am meisten ankommt, liegen die Schichten enger als in höchster Atmosphäre und am Meeresgrund.

In jedem Quader berechnet die Simulations-Software für jeden Zeitschritt Größen wie Luftdruck, Temperatur oder Windgeschwindigkeit; diese werden dann für den nächsten Abschnitt den benachbarten Zellen gemeldet, wo sie das weitere Geschehen beeinflussen. So simuliert der Computer in Intervallen von zehn Minuten einige hundert Jahre Wettergeschehen und in Schritten von 80 Minuten die Vorgänge im Meer. "Wenn man einen der 24 Schränke nur damit beschäftigt, kostet ein simuliertes Jahr ungefähr 30 Minuten Rechenzeit", sagt Michael Böttinger vom DKRZ, "und wir haben insgesamt 13.000 Jahre berechnet."

Den Supercomputer dabei stärker als zu einem Viertel seiner Kapazität auszulasten, wäre nicht möglich gewesen. Schließlich kostet der nötige Austausch der Daten zwischen den Zellen Zeit und das setzt dem Einsatz von mehr Prozessoren Grenzen.

Seit Jahren versuchen Klimaforscher, die Zellen immer kleiner zu machen. Schließlich verschmiert ein Quader von 180 Kilometern Kantenlänge die Alpen zu einem mittelmäßigen Hügel. Die Straße von Gibraltar oder Skagerrak und Kattegat würden versanden, wenn die Modellbauer nicht nacharbeiten. In der Horizontalen hat sich bei den neuen Hamburger Rechnungen nicht viel getan, dafür in der Vertikalen. "Wir haben mehr Schichten in der Stratosphäre als bei der vergangenen Runde", sagt Marotzke, also in mehr als 15 Kilometern Höhe.

Wie CO2 Ozeane und Wälder verändert

Neu ist auch, dass die Forscher den Kohlenstoffkreislauf explizit dargestellt haben. CO2 bleibt schließlich nicht in der Luft, wenn es aus einem Auspuff oder Schornstein austritt. Das Molekül kann sich im Meer lösen und von Plankton in der Photosynthese verwendet werden. Oder ein Baum an Land verarbeitet es zu Holz. Später wird der Wald nach Quoten gerodet, die das Szenario vorgibt, und das Holz landet im Brennofen. Oder es verrottet und das Kohlendioxid wird frei, während es im Meer womöglich mit totem Plankton zum tiefsten Grund sinkt. Die Rechnungen werfen dabei auch aus, wie sich der pH-Wert des Ozeans verändert und der Gehalt der für Meerestiere wichtigen Kalkverbindungen.

Solche Modelle gibt es zwar seit den 1970er Jahren", sagt Christian Reick vom MPIM, "aber diesmal haben wir unseres an das Klimamodell gekoppelt." Das heißt, dass der Supercomputer simuliert, wie der Kohlenstoff zwischen den Teilen der nachgestellten Welt zirkuliert.

Der Anstieg von Kohlendioxid in der Luft düngt zunächst die Gewächse und lässt dichtere Wälder entstehen. Damit steigt auch die Menge der Blätter oder ganzer Bäume, die zu Boden fallen und von Bakterien verdaut werden, was CO2 freisetzt. "Wir beobachten eine positive Rückkopplung", sagt Reick. "Wenn es wärmer wird, arbeiten die Mikroben schneller und das Kohlendioxid wird schneller wieder frei, um die Atmosphäre weiter anzuheizen." Diesen Effekt gab es in früheren Klimasimulationen nicht, er verstärkt die Erwärmung um ein Sechstel, sagt Reick.

Die Forscher sind sich sicher, die komplizierten Vorgänge trotz mancher Wissenslücken gut dargestellt zu haben. "Die Simulation konnte die CO2-Konzentration der Atmosphäre im 19. und 20. Jahrhundert gut nachvollziehen", sagt Reick. Das Hamburger Modell war nur mit den Mengen von Kohlendioxid gefüttert worden, die pro Jahr ausgestoßen wurden, und hat den Verbleib des Treibhausgases in Luft, Wasser und Biomasse offenbar zutreffend berechnet.

Das ist allgemein der Mechanismus, mit dem die Modellbauer ihre Arbeit prüfen. Ihr Supercomputer muss, mit Daten aus dem Jahr 1850 gestartet und mit Informationen etwa über Vulkanausbrüche gefüttert, das bekannte Klima bis zur Gegenwart reproduzieren. Dann erst haben Forscher wie Jochem Marotzke genug Vertrauen in die Rechnung, um auch Aussagen über die Zukunft zu glauben. Es wird verstärkt, wenn drei Simulationen, mit leichten Varianten der Bedingungen von 1850 gestartet, für die Jahre bis 2100 einen ähnlichen Verlauf zeigen - wie in Hamburg geschehen.

Bis sich dieses Vertrauen aber einstellte, durchlebten die Forscher eine bange Zeit. "Man fragt sich immer wieder, ob man nicht einen haarsträubenden Fehler gemacht und Wochen von Rechenzeit vergeudet hat", sagt Marotzke. "Mit dieser Angst lernt man zu leben." Sie ist vergessen, wenn ein Forscher die Ergebnisse vorstellt.

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