Sigmar Gabriel zum Klimawandel:"Die Politik drückt sich um die Auseinandersetzung mit der Industrie"

Die pessimistischen Prognosen zum Klimawandel zwingen die Regierungen zum Handeln: Umweltminister Sigmar Gabriel fordert den ökologischen Umbau der Industriegesellschaft.

Michael Bauchmüller und Claus Hulverscheidt

Sigmar Gabriel, 47, ist Bundesumweltminister. Seit der Klimawandel weltweit zum Thema geworden ist, ist auch die Bedeutung des SPD-Politikers gewachsen. Er will die gewonnene Popularität für einen Umbau der Industriegesellschaft nutzen.

Klimawandel

Braunkohlekraftwerk Jänschwalde: "Ich wäre nicht Sozialdemokrat, wenn ich das nicht glauben würde."

(Foto: Foto: ddp)

SZ: Herr Gabriel, ist die Welt noch zu retten?

Gabriel: Ich wäre nicht Sozialdemokrat, wenn ich das nicht glauben würde. Das kommt nur darauf an, ob man den Mut hat, international und nicht nur in Europa die Herausforderung des Klimawandels anzunehmen und die nötigen Schritte auch umzusetzen. In der Theorie und auf dem Papier ist alles klar.

SZ: Hat man den Mut?

Gabriel: Der Mut wächst zumindest. Sie sehen das in den USA, Sie sehen das in China - die Führung dort weiß ganz genau, dass etwas passieren muss. Und Sie sehen das in Deutschland. Hier ist es inzwischen zum Wettbewerb der Parteien geworden, wer die klügsten Vorschläge hat. Das war vor wenigen Jahren noch undenkbar.

SZ: Stimmt, wir debattieren sogar über die Zukunft der Glühbirne.

Gabriel: Ich weiß, das hört sich ein bisschen popelig an. Aber es ist doch ein sehr schönes Beispiel dafür, welch enormes Potential in der Steigerung der Energieeffizienz liegt - und zwar völlig ohne Einbußen beim Komfort. Eine Energiesparlampe liefert die gleiche Lichtstärke wie eine Glühbirne, braucht aber nur ein Fünftel des Stroms, bei achtfacher Lebensdauer.

Bei anderen elektrischen Geräten, die wir alltäglich nutzen, sind die erzielbaren absoluten Einsparungen noch viel höher, ob im Haushalt, in der Kommunikations- und Informationstechnik oder in der Unterhaltungselektronik. Insofern ist es richtig, dass die EU im Rahmen der Ökodesign-Richtlinie Effizienzstandards setzt. Die müssen elektrische Geräte erfüllen, um auf dem europäischen Markt zugelassen zu werden.

SZ: Ob das die Welt retten wird?

Gabriel: Das gehört zweifellos dazu, wird aber alleine sicherlich nicht reichen. Man muss schon aufpassen, dass sich diese Menschheitsherausforderung nicht im Kleinklein verliert. Und man muss aufpassen, dass man nicht ausschließlich mit dem Finger auf die Verbraucher zeigt. Die viel größere Herausforderung ist der Umbau der Industriegesellschaften.

Ich habe manchmal den Verdacht, dass es sich auch die Politik gerne leicht macht, wenn sie den Leuten sagt: Fahrt Tempo 130, tauscht Glühbirnen aus und macht mal einen autofreien Sonntag, weil sie sich davor drückt, die härtere Auseinandersetzung mit der Energiewirtschaft, mit der Automobilwirtschaft, mit der Industrie zu führen. Wir brauchen aber beides: Veränderungen im Verbraucherverhalten und den ökologischen Umbau.

SZ: Ein allgemeines Tempolimit 130?

Gabriel: Tempo 130 auf Autobahnen ist vor allem deshalb interessant, weil damit schwere Unfälle und die Zahl der Toten und Schwerverletzten reduziert werden kann. Aber den Durchbruch in der Klimaschutzpolitik erreichen wir durch die Umstellung der Energiewirtschaft auf erneuerbare Energien, auf effiziente Energietechnologie wie Kraft-Wärme-Koppelung, durch Erforschung und Entwicklung CO2-freier Kraftwerke, durch Wärmedämmung in Häusern, durch geringere Verbräuche bei Kraftfahrzeugen, durch Entwicklung von Biokraftstoffen. Das sind alles industriepolitische Themen, und da ist das Beharrungsvermögen leider nicht ohne.

SZ: Die Industrie und der BDI leiden eben unter dem Anspruch, ständig Klimaschutz-Vorreiter sein zu müssen.

Gabriel: Was die Funktionäre der Verbände sagen, ist Gott sei Dank nicht immer die Auffassung ihrer Mitglieder. In Wahrheit ist es so, dass natürlich durch die wachsende Weltbevölkerung und durch den Zugriff auf begrenzte Rohstoffe die Preise durch die Decke schießen. Deshalb hat in Zukunft derjenige Wirtschaftsstandort die besten Chancen, der für Rohstoffe, weil er effizient damit umgeht, nicht so viel Geld verschwendet.

SZ: Deutschland bietet an, bis 2020 seine CO2-Emissionen um 40 Prozent zu mindern. Ist das überhaupt zu schaffen?

Gabriel: Wir kommen alleine durch mehr Energieeffizienz und durch mehr erneuerbare Energien schon auf 36 Prozent - bei konservativer Berechnung. Wenn wir engagiert darangehen, wird es mehr. Wenn wir die Entwicklung CO2-freier Kohlekraftwerke vorantreiben, noch mehr. Dafür müssen wir allerdings auch ernst machen, etwa beim Ausbau der erneuerbaren Wärme. Wenn wir solche Instrumente nicht nutzen, können wir die Ziele nicht erreichen.

SZ: Der Energieverbrauch sinkt nicht, sondern steigt, und das CO2-freie Kraftwerk gibt es nur in Forscherköpfen.

Gabriel: Wie gesagt: Schon bei vorsichtiger Schätzung schaffen wir eine Menge mit erneuerbaren Energien und höherer Effizienz. Und bei der CO2-freien Technik geht es in der Tat erst mal um Forschung. Das erste richtige Kraftwerk von RWE soll 2015 im Netz sein, immerhin 450 Megawatt Leistung. Ob es am Ende wirklich zu einer unterirdischen Speicherung von Kohlendioxid kommt oder nicht, das wird man sehen.

SZ: Vattenfall-Chef Lars Josefsson, Klimaberater der Bundesregierung, empfiehlt längere Laufzeiten für Kernkraftwerke als Mittel gegen Erderwärmung. Hat er Recht?

Gabriel: Dass er das fordert, wundert mich nicht. Aber Kernenergie macht nur gut sechs Prozent am weltweiten Primärenergieverbrauch aus. Wenn wir das Klima retten wollen, werden wir uns um die 94 Prozent kümmern müssen, die nicht kernenergiebetrieben sind. Was nützt uns Kernenergie bei der Unabhängigkeit vom Öl im Verkehrssektor? Gar nichts.

SZ: Die Klimadebatte lässt offenbar mehr Bürger am Atomausstieg zweifeln. Fürchten Sie nicht, dass die SPD bald nicht nur unter den Druck der Wirtschaft, sondern auch der Wähler gerät?

Gabriel: Eine Mehrheit der Bevölkerung ist nach wie vor der Meinung, dass wir beim Atomausstieg bleiben sollten. Ich glaube, dass man da eine klare Linie halten muss, und bin auch sicher, dass die überzeugt. Der Wirtschaft, insbesondere der Energiewirtschaft, geht es doch nur darum, durch alte abgeschriebene Kraftwerke Extraprofite zu machen. Nicht dass ich das für unzulässig hielte: Aber dieses Interesse sollte man erstens nicht als Klimaschutz verkleiden. Zweitens würde es dazu führen, dass der Kraftwerkspark gerade nicht modernisiert wird, weil man dann lieber mit alten Atomkraftwerken weiterarbeitet. Wenn wir die Industriegesellschaft ökologisch umbauen wollen, dann müssen wir weg von der jetzigen Monopolstruktur der Großen. Wir brauchen dezentralere Strukturen, also mehr Anbieter und damit mehr Wettbewerb.

SZ: Die EU könnte sich nächste Woche auf Klimaschutzziele für die Zeit nach 2012 einigen, die weit ehrgeiziger sind als alle bisherigen. Ist das die Wende?

Gabriel: Die Wende im Klimaschutz schaffen wir nur, wenn das Thema wie in Deutschland auch international auf die Ebene der Staats- und Regierungschefs gehoben wird. Wenn sich auf der nächsten Klimaschutzkonferenz wieder 189 Umweltminister und 5000 Experten treffen, ohne dass vorher eine klare politische Leitlinie durch die Staats- und Regierungschefs international verabredet wird, dann wird das nichts. Ich halte es für richtig, die Debatte zu verlagern, etwa auf die Ebene des Sicherheitsrates. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon überlegt, ob er eine Generalversammlung mit Staats- und Regierungschefs einberuft zu dem Thema. Meine Hoffnung ist, dass da die Dynamik doch deutlich größer wird als bei den letzten Verhandlungen auf Ministerebene.

SZ: Das alles soll noch 2007 passieren?

Gabriel: Die EU hat das Ziel, bereits auf der Weltklimakonferenz auf Bali im November Entscheidungen voranzutreiben, die zu echten Verhandlungen führen für die Zeit nach 2012. Wenn Sie sehen, wie lange es gedauert hat, bis Kyoto endlich in Kraft treten konnte, dann können Sie sich ja vorstellen, dass 2012 eigentlich schon morgen ist.

SZ: Und das Mandat geben Sie sich nächste Woche beim Europäischen Rat?

Gabriel: Das Mandat dafür wollen wir natürlich bei den Staats- und Regierungschefs haben. Aber viel wichtiger ist, ob wir die Chinesen, die Inder, die Brasilianer, die Südafrikaner überzeugen. Die USA werden mitmachen, wenn die großen Schwellenländer dabei sind. Die spannende Herausforderung ist, wenigstens eins dieser Länder zu gewinnen. Daran arbeiten wir.

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