Sicherheit:Mitten im Datenstrom

Wenn Gegenstände uns erkennen: Das Leben wäre komfortabler und sicherer, wenn die Objekte in unserer Umgebung mehr von uns wüssten. Das verspricht eine neue Technik, die den Menschen zum wichtigsten Teil des Netzwerks macht.

Karlhorst Klotz

Sekundenbruchteile bevor Stefan Donat die Türklinke berührt, hat sich das Schloss schon mit einem leisen "Klick" entriegelt, und das, obwohl er seinen elektronischen Ausweis in der Tasche stecken lässt. "Das erhöht den Komfort, wenn die Tür schon aufgeht, während ich noch zum Türgriff greife", sagt der Ingenieur bescheiden mit Blick auf einen Prototyp, der wie ein überdimensionierter Griff an einem zu wuchtig geratenen Holzbriefkasten wirkt.

Sicherheit: Schlaue Technik: Nur wenn der Fahrer den Knopf für die Handbremse drückt, reagiert er. Der Beifahrer müht sich umsonst.

Schlaue Technik: Nur wenn der Fahrer den Knopf für die Handbremse drückt, reagiert er. Der Beifahrer müht sich umsonst.

(Foto: Foto: Ident Technology)

Donat ist als einer der Gründer der Ident Technology AG dabei, eine Technik zur Marktreife zu bringen, die den Gegenständen in unserer Umgebung scheinbar Eigenleben verleiht.Wo immer er sich im Labor der Startup-Firma in Wessling den Ausstellungsstücken mit der Hand auch nur nähert, begrüßen ihn Monitore mit Nachrichten, blinken Lämpchen auf oder bleibt ein Schiebedach wie von Geisterhand berührt abrupt stehen.

"Die grundlegende Idee ist, dass man um den Menschen herum Daten überträgt oder Veränderungen in seinem Nahfeld feststellt", erklärt Donat ruhig, obwohl er weiß, dass er damit bei seinem Besucher noch auf kein Aha-Erlebnis hoffen kann.

Also erst mal ganz einfach: Damit das Türschloss vom elektronischen Ausweis in der Hosentasche etwas erfährt, könnte man eine Botschaft per Kabel übertragen - was natürlich höchst unpraktisch wäre. Viel pfiffiger ist es, den Menschen, der sowieso nach der Klinke greift, als Verbindung zu nutzen.

Genau das erreicht die Skinplex genannte Technik, obwohl der menschliche Körper Strom nur mäßig leitet und sich daher nicht als Ersatz für ein Kupferkabel eignet.

Der Mensch als Brücke

"Der Mensch stellt die Brücke her", startet Donat einen neuen Versuch, das Prinzip zu erklären, ohne zu viele Folterinstrumente aus dem Physikunterricht bemühen zu müssen.Wenn in der Nähe des Körpers ein elektrisches Signal vorhanden ist, verschieben sich im Körper die Ladungen im Gegentakt - ein Phänomen, das ein Sensor auf der anderen Körperseite registrieren kann.

Ein schwaches elektrisches Signal ist auf diese Weise plötzlich ein oder zwei Armlängen weiter messbar, weil der Körper eines Menschen es weiterreicht. Das Besondere daran: Dieser Effekt tritt nicht nur direkt auf der Hautoberfläche auf, sondern noch einige Zentimeter außerhalb - eben im so genannten Nahfeld.

Aha. "Ohne einen Menschen zwischen ihnen können sich Türschloss und elektronischer Ausweis nicht unterhalten", fasst Donat jetzt zusammen. "Erst der Mensch stellt einfach durch seine Anwesenheit die Verbindung her, und das sogar, ohne dass er die Gegenstände berührt - es genügt, wenn er in die Nähe kommt."

Die Idee, den menschlichen Körper für solche Dienste einzusetzen, ist schon Mitte der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts am Media Laboratory des Massachusetts Institute of Technology geboren worden.

Aber dort entstand nichts, was außerhalb des Labors funktioniert hätte. Seit 2001 beschäftigt sich die Ident Technology damit, die Umwelt intelligenter zu machen, indem sie auf Menschen reagiert.

Mitten im Datenstrom

Mehr noch als Türen im richtigen Moment zu öffnen, liegt dem Familienvater Donat daran zu verhindern, dass sie sich im falschen Moment schließen. Gerade zwei Jahre ist es her, dass im März 2004 eine Drehtür am Flughafen Köln/Bonn einen eineinhalbjährigen Jungen eingequetscht hat. Das Kind starb wenige Stunden später im Krankenhaus - tödlicher Schlusspunkt einer Unfallserie am Terminal 2, bei der sich in wenigen Jahren über ein Dutzend Kinder und Erwachsene Verletzungen an den Rotationstüren zugezogen hatten.

Ähnliche Fallen lauern in Autos: "Im Schiebedach zum Beispiel wird man erst mit einer Kraft von etwa 10 bis 15 Kilo eingeklemmt, bevor es abschaltet" weiß Donat. "Für den Unterarm ist das erträglich, aber nicht für den Hals."

Noch schwieriger abzusichern sind aufgrund ihrer unregelmäßigen Bauform komplette Cabrio-Dächer - wenigstens mit herkömmlicher Technik. "Wer so ein kompliziertes Teil wie ein Verdeck rundherum mit Sensoren absichern will, gibt für die Sensorik mehr aus als für das Verdeck. Wir benutzen dagegen das Cabrio-Verdeck selbst als Sensor", beschreibt der Vorstand der Ident Technology den weltweit einmaligen Ansatz. "Wenn jemand den beweglichen Teilen zu nahe kommt, stoppt der Schließvorgang sofort."

Gefährliche Irrtümer rechtzeitig entdecken und gar tödliche Unfälle verhindern, ist auch Ziel der Forscher und Entwickler des japanischen Telefongiganten NTT, der vor fünf Jahren begonnen hat, in seinem Microsystem Integration Laboratory eine ähnliche Technik zu entwickeln. RedTacton nennt sich das System, das Hideki Sakamoto gern mit einer Dose vorführt, die Medikamente oder gefährliche Chemikalien enthalten könnte.

Ein so genannter Transceiver am Boden der Dose gibt Auskunft über ihren Inhalt. Ein als Karte in einem Organizer oder Notebook einsteckbares Modul empfängt die Information in dem Moment, indem ein Mensch mit der anderen Hand nach dem Behälter greift.

Ende 2006 oder Anfang 2007 soll die Technik auf den japanischen Markt kommen und beispielsweise in Firmenlabors dafür sorgen, dass keine bedrohlichen Situationen entstehen, weil Chemikalien in falscher Kombination oder Reihenfolge verwendet werden.

Später könnte eine in die Armbanduhr integrierte, preiswertere Einheit ältere Menschen beim Einnehmen ihrer Medikamente vor gefährlichen Irrtümern bewahren. Die Besonderheit an der japanischen Technik ist der Sensor, der die Änderungen im elektrischen Feld aufspürt. "Wir nutzen einen elektrooptischen Sensor, wie ihn sonst Forscher und Entwickler einsetzen, um anhand abnormaler elektrischer Felder Fehler in integrierten Schaltungen aufzuspüren", erläutert Sakamoto.

Unter dem Einfluss des elektrischen Feldes verändert ein Kristall das durch ihn scheinende Laserlicht. "Das klingt kompliziert, ist aber viel einfacher als die Leseeinheit am CD- oder DVD-Player."

Anwendungen sieht NTT in vielen Bereichen der Kommunikation, insbesondere dort, wo vorübergehend flexible Netze gefragt sind. In Zukunft könnten Redtacton-Transceiver beispielsweise im Boden oder Konferenztisch stecken und jeden Mitarbeiter sofort online bringen, wenn er sich an seinen Platz begibt, ohne dass er die mitgebrachte Hardware anstöpseln muss. "Wenn man in die Nähe kommt, startet die Kommunikation sofort", betont der bei NTT für die Vermarktung neuer Techniken zuständige Sakamoto.

10 Mbit/s wären damit zu erreichen, also die Geschwindigkeit langsamer WLAN-Funknetze. Der große Vorteil: Dieses Datentempo hätte jeder Mitarbeiter zur Verfügung, unabhängig von der Anzahl der Personen im Raum, während sich bei Funktechniken alle Anwesenden die Gesamtkapazität teilen. Die Mitarbeiter am Tisch könnten sogar eine geschlossene Gruppe bilden, um beispielsweise vertrauliche Dokumente auszutauschen, die nirgends sonst im Rechnernetz der Firma auftauchen sollen.

Mitten im Datenstrom

Sakamotos Vision reicht noch über die reinen Körpernetzwerke hinaus: "Das Prinzip ist nicht auf den menschlichen Körper als Trägermedium beschränkt, sondern funktioniert mit nahezu beliebigen Stoffen." Selbst durch Wasser ließen sich auf diese Weise Daten über einige Meter Länge berührungslos schicken, wenn man sich in der Nähe der Flüssigkeit aufhält.

Mit neuen Materialien experimentiert auch Wolfgang Richter, den seine Visitenkarte vieldeutig als Innovationsmanager von Ident Technology ausweist. "Er ist Mitbegründer der Firma und unser Daniel Düsentrieb, der kreative Kopf hinter den 42 Patenten, die wir in den 46 Monaten unserer Firmengeschichte angemeldet haben", erklärt Donat. Der rastlose Erfinder klipst Elektronik an ein Stück Gummi, die den schwarzen Isolator in einen gelb und rot blinkenden Berührungssensor verwandelt.

Rasch umgesteckt enthüllt ein vier Meter langer Karbonfaden, an welcher Stelle sich ihm ein Finger nähert. "Diese Faser ist nahezu unzerreißbar und lässt sich überall einnähen" begeistert sich Wolfgang Richter. "Was wir da machen, ist berührungslose Sensorik über eine Strecke von vier Metern - das beherrscht sonst noch keiner."

Bis solche Ideen ihren Weg in Produkte finden, dauert es eine Weile. Zahllose Praxisanforderungen sind zu erfüllen, damit die Technik robust genug für den Alltag ist. Immerhin hat ein Konzept schon Eingang in den F 600 gefunden, das Forschungsfahrzeug von Mercedes-Benz. In dem futuristischen Automobil erkennt der zentral angebrachte Dreh- und Druckschalter automatisch, ob er vom Fahrer oder vom Beifahrer berührt wird und regelt so die Klimaanlage individuell.

Die Unterscheidung gelingt mit Hilfe einer in die Vordersitze integrierten Elektronik, die verrät, von welchem Sitz aus der Schalter betätigt wurde.

Eine ganze Sammlung solcher Techniken ist in der "Sitzkiste" eingebaut, mit der Ident Technology auf Messen den Stand der Kunst demonstriert. Sie besteht aus dem mittleren Karosseriestück eines abgehalfterten Audi TT und bietet Platz für Fahrer und Beifahrer.

Ein Druck auf den Knopf lässt die Handbremse automatisch einrasten, falls der Fahrer gedrückt hat - sein Nebenmann müht sich umsonst. Auch beim Griff ins Lenkrad erkennt die Elektronik, wer ans Steuer will. Jeder Insasse kann in den Genuss von Kopfstützen kommen, die automatisch Kontakt zum Hinterkopf halten, so dass sie bei einem Unfall die Halswirbelsäule schützen.

Doch auch in Haushalt und Büro sind zahlreiche Anwendungen denkbar: Gefährliche Küchengeräte lassen sich nur von den Eltern einschalten, die sich dank eines kleinen Moduls im Schlüsselbund oder in der Armbanduhr als Berechtigte gegenüber dem Gerät ausweisen.Wer zum Handy greift, schaltet sein eigenes Gerät auf diese Art automatisch für abgehende Telefonate frei, andere Personen könnten es nicht benutzen.

Und das Mobiltelefon wiederum bemerkt, wenn die Entfernung zu seinem Eigentümer zu groß wird und warnt mit einem Piepston rechtzeitig vor Vergesslichkeit oder Diebstahl. Im Büro hält jeder Computer sofort die eigenen Daten bereit, egal an welchen Rechner man sich setzt.

Ebenso lädt jedes Telefon in der Firma beim Griff zum Hörer sofort das gewohnte Profil seines Benutzers und bietet ihm zum Beispiel die gewohnte Belegung der Kurzwahltasten an.

Eine Menge Betätigungsfelder für eine kleine Firma, die gerade innerhalb eines Jahres die Belegschaft von den ursprünglichen drei Gründern auf 15 Personen verfünffacht hat, aber nun erst einmal langsamer wachsen will.

"Wirkliche Innovationen und Basistechnologien kommen nicht aus großen Firmen heraus, sondern entstehen eher in der Garage", ist das Credo des Vorstandsvorsitzenden Peter Rosenbeck. "Wir sind so eine kleine Bude mit einer Querschnittstechnologie."

Momentan noch mit einem Fokus auf Anwendungen rund ums Automobil, auch wenn die selbst öffnenden Gebäudetüren noch in diesem Jahr in Serie gehen sollen. Aber die rigorosen Qualitätsstandards der Autoindustrie haben für Ingenieur Stefan Donat auch ihren Charme: "Was dort läuft, funktioniert überall - außer vielleicht in der Raumfahrt."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: