Serie: Mythen von Monstern (Teil 1):Der blutrünstige Ziegensauger

Seit den neunziger Jahren macht der Chupacabra Lateinamerika unsicher. Auch im Süden der USA findet er seit einiger Zeit seine Beute. Inzwischen gibt es sogar ein Polizeivideo von ihm.

Markus C. Schulte von Drach

Solch ein Tier hatte Deputy Brandon Riedel noch nie gesehen. Eine ganze Weile lief das Wesen im August 2008 vor seinem Streifenwagen auf einem Feldweg bei Cuero, südöstlich von San Antonio, Texas, her. So hatte der stellvertretende Sheriff von DeWitt County genug Zeit, um in Ruhe Videoaufnahmen zu machen. Und schnell waren er und seine Kollegen überzeugt: Riedel hatte einen lebenden Chupacabra gefilmt.

Serie: Mythen von Monstern (Teil 1): Die ersten Augenzeugen berichteten von einem reptilienhaften Zweibeiner, der an die typischen Alienerscheinungen erinnert.

Die ersten Augenzeugen berichteten von einem reptilienhaften Zweibeiner, der an die typischen Alienerscheinungen erinnert.

(Foto: Quelle: oh)

Zuvor hatte es zwar schon eine Vielzahl von Zeugen gegeben, die behaupteten, dieses seltsame Tier gesehen zu haben. Auch waren wiederholt Kadaver aufgetaucht, von denen gesagt wurde, es handele sich um die Körper von Chupacabras. Aber jetzt: ein Video! Und noch dazu von Polizisten veröffentlicht, denen man nicht unterstellen möchte, sie hätten die Aufnahmen gefälscht.

Sollte es sich tatsächlich um einen Chupacabra handeln, hätte dieses Wesen seit den ersten Sichtungen allerdings eine starke Wandlung durchgemacht.

Die frühesten Meldungen, die im Zusammenhang mit dem unbekannten Tier zu stehen scheinen, stammen aus der Umgebung des Ortes Moca auf Puerto Rico. Zeitungen berichteten Anfang der neunziger Jahre davon, dass dort Ziegen, Hühner und andere Tiere von einer Art Vampir ausgesaugt worden seien. Die Haustiere wiesen angeblich zwei - in manchen Berichten waren es auch drei - Einstichstellen am Hals auf und waren den Zeugen zufolge blutleer. In den Medien hieß das Untier bald "El Vampiro de Moca".

Nachdem die Vorfälle in der Öffentlichkeit bekanntgeworden waren, häuften sich plötzlich die Berichte von weiteren ähnlichen Überfällen auf Haustiere auf Puerto Rico. Da besonders Ziegen betroffen waren, war schnell die Rede vom "Ziegensauger", auf Spanisch El Chupacabras.

Je bekannter der bald nur noch verkürzt Chupacabra gerufene Vampir wurde, umso größer wurde offenbar auch sein Lebensraum: Bald tauchte er in der Dominikanischen Republik auf, dann suchte er seine Opfer im gesamten mittel- und südamerikanischen Raum. Und auch der Süden der USA blieb nicht verschont. Jedes Mal war die Rede von Haustieren, die durch einen Biss in den Nacken getötet worden waren. Und immer waren die Opfer blutleer.

Grün, schuppig, Stacheln auf dem Rücken

Den Beschreibung der Augenzeugen zufolge handelte es sich um ein bizarres, unheimliches Wesen: Etwa einen bis eineinhalb Meter groß, sollte es sich auf zwei Beinen fortbewegen. Die ledrige, graugrüne Haut erinnerte die Beobachter an ein Reptil. Dazu kamen noch Stacheln, die aus dem Rücken herausstehen sollten. Große, rotglühende Augen und riesige Fangzähne vervollständigten das Bild, das an eine Mischung aus Alien und schwanzlosem Velociraptor erinnert.

Und immer mehr Ufo-Gläubige kamen zu der Überzeugung, dass es sich entweder um einen Außerirdischen handeln musste, ein entlaufenes Haustier der kosmischen Besucher oder um ein gentechnisches Experiment, das aus einem geheimen Labor entkommen sein sollte.

Der blutrünstige Ziegensauger

Nach und nach tauchten auch immer mehr Fotos angeblicher Chupacabras auf - insbesondere im Internet. Es handelte sich in der Regel um bizarre Kadaver oder Teile von Tieren, die so verwest waren, dass die Arten nicht zu identifizieren waren. Bei vielen Aufnahmen handelte es aber sich mit Sicherheit um Fälschungen.

Serie: Mythen von Monstern (Teil 1): Ein Chupacabra im Koffer? Die Story auf der Homepage von "The Austin Probe" ist nicht ernst gemeint.

Ein Chupacabra im Koffer? Die Story auf der Homepage von "The Austin Probe" ist nicht ernst gemeint.

(Foto: Screenshot: www.austinprobe.com)

Doch im Jahre 2000 gelang es einem nicaraguanischen Bauern in der Nähe der Stadt Tolapa endlich, einen Chupacabra zu erlegen. Zuvor hatte es in der Region eine Reihe von Angriffen auf Schafe gegeben. Dann begegnete der Farmer Jorge Luis Talavera nachts einer Kreatur, die seiner Meinung nach auf der Suche nach Schafen war.

Er schoss mehrmals auf das Tier. Drei Tage später wurde dann in der Nähe ein bereits stark verwester, unvollständiger Kadaver entdeckt. Angeblich hatte das Tier ein gelbes Fell mit dünnen, langen Haaren besessen, eine ledrige Haut, riesige Fangzähne, extrem große Augenhöhlen und Stacheln auf dem Rücken.

Medienberichten zufolge wurde der angebliche Chupacabra dann an der Universidad Nacional Autónoma de Nicaragua-León untersucht. Die Fachleute konnten allerdings nichts anderes darin erkennen als eine Art Hund, der überhaupt keine anomalen Eigenschaften aufwies. Talavera behauptet inzwischen, an der Universität seien die Kadaver ausgetauscht worden.

Vom Reptil zum hundeähnlichen Wesen

Spätestens seit dem Fund bei Tolapa aber hatte sich das äußere Erscheinungsbild des Chupacabras gewandelt. Hundeähnlich sollte das Monster nun also sein.

Als 2004 ein Farmer bei San Antonio, Texas, ein haarloses Raubtier erlegte, vermuteten manche, dieses sogenannte Elmendorf Beast sei ebenfalls ein Chupacabra. Das extrem magere Tier hatte eine bläuliche, schuppige Haut und große Reißzähne.

Ein Jahr später fing der Farmer Reggie Lagow in Coleman, ebenfalls Texas, ein seltsames Tier in einer Falle, das einige seiner Hühner und Truthähne gerissen hatte. Der Bauer machte eine Aufnahme des Wesens und schickte den Kadaver an das Texas Parks and Wildlife Department.

2006 fotografierte dann eine Einwohnerin von Turner in Maine ein offenbar von einem Auto überfahrenes hundeähnliches Tier. Bevor der Kadaver allerdings untersucht werden konnte ... hatten sich die Aasfresser darüber hergemacht.

Der blutrünstige Ziegensauger

Serie: Mythen von Monstern (Teil 1): Der Chupacabra, den Jorge Luis Talavera getötet haben will.

Der Chupacabra, den Jorge Luis Talavera getötet haben will.

(Foto: Screenshot: www.ufos-aliens.co.uk)

Schlagzeilen machte dann Phylis Canion in Cuero, Texas. Gleich drei tote Tiere hatten sie und ihre Nachbarn entdeckt, fotografiert und von einem der Kadaver den Kopf eingefroren. Canion zeigte sich überzeugt, dass es sich um Chupacabras handelte.

Und was sagt die Wissenschaft zu den Funden?

Das Elmendorf Beast konnte aufgrund von DNS-Analysen der Familie der Hunde zugeordnet werden. Ein genaueres Ergebnis war offenbar aufgrund des schlechten Zustands des Materials nicht möglich.

Der Kadaver, den Reggie Lagow an das Texas Parks and Wildlife Department geschickt haben will, ist dort offenbar nie angekommen. Aufgrund der Fotos hielten die Fachleute es jedoch für wahrscheinlich, dass es sich um einen Kojoten handelte.

Kein Rätsel sondern Räude

Und eine Analyse des Erbguts der von Phylis Canion entdeckten Tiere an der University of California in Davis ergab, dass es sich ebenfalls um Kojoten handelte, allerdings mit einem mexikanischen Wolf unter den väterlichen Vorfahren.

Doch die Tiere sahen definitiv nicht aus wie Kojoten!

Dafür haben die Wissenschaftler eine Erklärung. Sowohl die Fotos, als auch die Beschreibungen der Augenzeugen in den USA deuten ganz klar darauf hin, dass die Haut der Wildhunde schlicht und einfach von Räudemilben zerfressen war.

"Wir haben uns das angeschaut, und natürlich handelt es sich um räudige Kojoten", sagte Danny Pence vom Texas Tech University Health Sciences Center in Lubbock den San Antonio Express-News. "Wir haben gar keine Zweifel."

Für Laien würden die Tiere, die unter dieser von Milben ausgelösten Hautkrankheit leiden, natürlich seltsam aussehen, erklärte der Parasitologe. Selbst Devin McAnally, der Farmer, der das Elmendorf Beast geschossen hatte, akzeptiert diese Erklärung, nachdem er Fotos von anderen, ebenfalls an der Räude erkrankten Kojoten gesehen hatte.

Offenbar grassierte die Räude zur Zeit der Funde in der Region - und betroffen waren sowohl Kojoten, Füchse und wilde Hunde, was die etwas unterschiedlichen Kadaver erklären könnte. Ohne Fell und bis auf die Knochen abgemagert wirken die kranken Tiere aufgrund ihrer sonst nicht sichtbaren Körperproportionen mehr als ungewöhnlich.

Auch das Video der Polizisten vom August 2008 dürfte ein solches krankes Tier zeigen, wie selbst die Beamten zugeben.

Phylis Canion, die seit ihrem Fund Chupacabra-T-Shirts verkauft, ist die Einschätzung der Experten egal. Schließlich gilt ihre Heimatstadt Cuero nun als Hochburg der seltsamen Wesen. Und "wenn jeder seinen Spaß damit hat, machen wir weiter", erklärte sie der Nachrichtenagentur AP.

Der blutrünstige Ziegensauger

Serie: Mythen von Monstern (Teil 1): Phylis Canion in Cuero, Texas, hält den Kopf ihres Chupacabras in die Kamera.

Phylis Canion in Cuero, Texas, hält den Kopf ihres Chupacabras in die Kamera.

(Foto: Foto: AP)

Doch wenn der Chupacabra in den USA nur ein räudiger Hund ist, was ist mit den alienartigen Wesen in Mittel- und Südamerika? Und warum saugen die unheimlichen Wesen ihren Opfern das Blut aus?

Vermutlich tun sie das gar nicht. Ein Lebewesen dieser Größe hätte auch Probleme, sich allein vom Blut seiner Opfer zu ernähren. Vielmehr wirkten die Chupacabra-Opfer, die meist erst nach einiger Zeit entdeckt wurden, nur deshalb blutleer, weil ein Tier, das durch einen Nackenbiss getötet wird, nicht stark blutet und weil sich das Blut im Körper schnell zersetzt.

Die Ausbreitung der Chupacabra-Sichtungen von Puerto Rico aus weist außerdem alle typischem Merkmale der Entstehung einer sogenannten Urban Legend auf. Plötzlich wird jeder nicht gleich erklärbare Überfall auf Haustiere dem Chupacabra in die Schuhe geschoben. Und je häufiger darüber berichtet wurde, desto mehr Sichtungen gab es im Verbreitungsgebiet der Medien. Inzwischen hat die Legende sogar Russland erreicht. Auch dort werden seit 2005 Chupacabras gesichtet.

Vermutlich handelt es sich also bei den Chupacabras um verschiedene Raubtiere, die festgestellt haben, wie leicht sich Haustiere reißen lassen. Den Rest erledigen die Phantasie von Menschen, die im Dunkeln irgend etwas nicht genau gesehen haben, sensationsgierige Medien, gefälschte Bilder und das Internet. Und räudige Kojoten.

Filmstar Chupacabra

Vielleicht aber "ist die Wahrheit irgendwo da draußen", wie es so schön in der Serie "Akte X" heißt. Die hat sich übrigens auch schon mit dem Chupacabra beschäftigt. In der Folge "El Mundo Gira" stoßen die FBI-Agenten Mulder und Scully allerdings auf einen so kruden Mix aus Chupacabra-Legende, Pilzen aus dem All, Aliens und eifersüchtigen Brüdern, dass von dem eigentlichen "Ziegensauger"-Mythos nicht mehr viel übrigbleibt.

Ähnlich ist es mit dem Horrorfilm "Chupacabra Terror", in dem ein Kryptozoologe im lateinamerikanischen Dschungel ein monströses Reptil fängt und auf einem Kreuzfahrtschiff - wo auch sonst - transportiert. Natürlich entkommt das Tier und ... den Rest kann man sich denken.

Es bleibt abzuwarten, wie lange sich die Sage vom Chupacabra in Lateinamerika noch halten wird, und welche bizarren Geschichten angebliche Augenzeugen und die Medien noch verbreiten werden. Zum Beispiel solche wie die, die das nicht ernstzunehmende News-Portal Austin Probe vergangenes Jahr veröffentlichte: Man Caught Smuggling Chupacabra at Austin, Texas Airport. Es handelt sich hierbei zwar um eine Parodie. Aber das wirklich Lustige ist: Die Story ist genauso überzeugend wie alle ernstgemeinten Augenzeugenberichte.

Dass tatsächlich eines Tages ein bislang unbekanntes, reptilienähnliches Wesen auftauchen wird, das sich von Ziegen- und Hühnerblut ernährt, ist indes eher unwahrscheinlich.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: