Kreationismus und ID:Sieben Tage sind ihnen genug

Auch in Europa lehnen viele Menschen Darwins Evolutionstheorie ab. Ob aus fehlendem Verständnis oder starker Religiosität, die Schöpfungslehre ist ihnen lieber.

Wiebke Rögener

Jede Tierart und selbstverständlich den Menschen habe Gott einzeln nach seinem Plan erschaffen - ein solch naiver Schöpfungsglaube gilt meist als amerikanisches Problem. Doch auch in Europa hegen viele Menschen Skepsis gegenüber der wissenschaftlichen Erklärung zur Entstehung der Arten, die Darwin zuerst vor 150 Jahren veröffentlichte, und die seitdem vielfach belegt und weiterentwickelt wurde.

Kreationismus und ID: "Da machte Gott der HERR den Menschen aus Erde vom Acker und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase", so die Schöpfungsgeschichte der Bibel.

"Da machte Gott der HERR den Menschen aus Erde vom Acker und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase", so die Schöpfungsgeschichte der Bibel.

(Foto: Foto: AP)

Die Kenntnisse, die etwa Abiturienten über dieses Grundkonzept der Biologie besitzen, sind eher bescheiden. Das zeigen Erhebungen und Befragungen in verschiedenen europäischen Ländern. Wissenschaftler warnten nun jüngst bei einer Tagung in Dortmund, dass der Kreationismus in Europa einflussreicher werden könnte.

Zwar ersetzt der Schöpfungsglaube in den USA weit häufiger die wissenschaftlichen Einsicht - nur etwa 40 Prozent der Amerikaner halten die Evolutionstheorie für wahr. Doch auch viele Europäer zweifeln: Nur in Island, Dänemark, Schweden und Frankreich akzeptieren laut einer Veröffentlichung des Wissenschaftsmagazins Science mehr als 80 Prozent der Bevölkerung die Evolutionstheorie.

Deutschland liegt mit einer Zustimmungsrate von etwa 70 Prozent im europäischen Mittelfeld, vor vielen osteuropäischen Ländern. In Österreich halten nur 55 Prozent der Bevölkerung die Evolutionstheorie für richtig oder eher richtig.

Grund für die Vorbehalte sei das Fortwirken der "heftigen Gegenreformation" in dem heute fast ausschließlich katholischen Land, sagt der Biologe Günther Pass von der Universität Wien. Ganz am Ende in dieser Rangliste steht die Türkei, wo weniger als 30 Prozent der Erwachsenen die Evolutionstheorie akzeptieren.

Schöpfungslehre im Biologieunterricht?

Auch im politischen Raum ist Darwin in Europa keineswegs unumstritten, berichtete die Belgierin Anne Brasseur, Mitglied des Europarats in Straßburg. Sie erinnerte daran, dass der Europarat eine Resolution gegen die Verbreitung von Kreationismus und Intelligent Design im naturwissenschaftlichen Unterricht auf Betreiben der christlich-konservativen Europäischen Volkspartei zunächst ablehnte.

Erst nach Ergänzungen, die besonders betonen, Glaube und Religion sollten nicht in Frage gestellt werden, nahm die parlamentarische Versammlung im Oktober 2007 mit 48 Stimmen die Erklärung an - bei 25 Gegenstimmen, darunter jeweils drei aus Deutschland, Polen und Italien. Vor allem der Vatikan habe versucht, die Verabschiedung zu verhindern, berichtete Brasseur.

Muslimische Gegner Darwins streben ebenfalls nach Einfluss in Europa, allen voran der türkische Autor Adnan Oktar, der unter dem Pseudonym Harun Yahya einen "Atlas der Schöpfung" verbreitet. Seine schlichte Methode: Abbildungen heutiger Tiere und Pflanzen werden mit Bildern ähnlich aussehender Fossilien kombiniert, um zu suggerieren, dass keine Entwicklung stattgefunden habe.

Der aufwändig produzierte Bildband wird kostenlos an Lehrer und Journalisten verschickt. Als der Schöpfungsatlas 2007 an zahlreichen französischen Schulen auftauchte, schritt der Erziehungsminister ein und ordnete die Entfernung aus den Schulbibliotheken an.

Sieben Tage sind ihnen genug

Nicht alle seine Amtskollegen in Europa bezogen in der Vergangenheit einen so klaren Standpunkt für die Evolutionstheorie. Der Wissenschaftshistoriker Thomas Junker von der Universität Tübingen kennt einige Gegenbeispiele. So nannte 2006 der damalige stellvertretende polnische Erziehungsminister Miroslaw Orzechowski die Evolutionstheorie "eine Lüge".

In Serbien musste 2004 die Erziehungsministerin Liliana Colic zurücktreten, weil sie gefordert hatte, auch kreationistische Ideen zu unterrichten. Im gleichen Jahr versuchte ihre italienische Amtskollegin Letizia Moratti, die Evolutionstheorie aus Schulbüchern zu tilgen. Dafür fand sie nur wenig Unterstützung, doch fast zwei Drittel der Italiener sprachen sich dafür aus, die biblische Genesis neben der Evolutionstheorie in der Schule zu behandeln.

In Großbritannien werde Kreationismus zwar kaum an staatlichen Schulen gelehrt, aber nicht selten an christlichen, jüdischen und islamischen Bekenntnisschulen, berichtete James Williams von der University of Sussex bei der Dortmunder Tagung.

In Deutschland erregte 2006 die damalige hessische CDU-Kultusministerin Karin Wolff Aufsehen, als sie verlangte, die christliche Schöpfungsgeschichte im naturwissenschaftlichen Unterricht zu behandeln. Zwar bestritt sie, selbst dem Kreationismus zuzuneigen, befand aber gleichwohl, es sei "eine erstaunliche Erkenntnis, wie sehr Biologie und symbolhafte Erzählung von den sieben Schöpfungstagen auch übereinstimmen".

Junker nahm Wolff beim Wort und verglich die biblische Genesis-Erzählung mit der Naturgeschichte. Doch an Übereinstimmungen mangelt es: So lässt die Bibel Bäume und andere Landpflanzen am dritten Schöpfungstag entstehen, die Sonne erst einen Tag später, sämtliche Pflanzenarten vor den Tieren und Reptilien erst nach den Vögeln.

Darwins Theorie oft nicht verstanden

Dass die Evolutionstheorie oft nur mangelhaft akzeptiert wird, liege vor allem an Unkenntnis, hieß es in zahlreichen Diskussionsbeiträgen bei der Dortmunder Tagung. So steht die Evolution in vielen Ländern Europas erst am Ende der Schulzeit auf dem Lehrplan. Schafft der Lehrer das Pensum nicht, fällt sie ganz aus.

Der Biologie-Didaktiker Dittmar Graf von der Universität Dortmund und sein Fachkollege Haluk Soran von der Universität Ankara wollten es genauer wissen. Sie befragten gut 1200 deutsche und mehr als 500 türkische Lehramtsstudenten im ersten Semester zu ihren Kenntnissen und zur Akzeptanz der Evolutionstheorie.

Sieben Tage sind ihnen genug

Von den Deutschen, die einen Biologie-Leistungskurs absolviert hatten, lehnten 7,7 Prozent Darwins Theorie ab; von denen, die einen Bio-Grundkurs besuchten, waren es 17 Prozent. Unter den künftigen Lehrern, die an der Hacettepe-Universität in Ankara studierten, bestritten drei Viertel die Evolution. In beiden Ländern hatte nur eine Minderheit grundlegende Konzepte der darwinschen Theorie verstanden.

So wurden die Studierenden gefragt, welches von vier Löwenmännchen im Sinne der Evolutionstheorie der fitteste sei: George, der Größte und Stärkste? Ben mit den meisten Weibchen? Spot, der sich besonders gut an veränderte Umweltbedingungen anpassen kann? Oder Sandy, der zwar jung an einer Verletzung stirbt, aber die meisten Nachkommen hat, die die Geschlechtsreife erreichen?

Selbst unter den deutschen Bio-Leistungskurs-Absolventen erkannte nur ein Drittel Sandy als den fittesten Löwen, in der Türkei waren es weniger als sieben Prozent. Haluk Soran glaubt nicht, dass das schlechte Abschneiden der türkischen Studenten daran liegt, dass der Islam stärker gegen die Evolutionstheorie eingestellt sei als das Christentum. Die türkischen Schüler seien einfach schlechter ausgebildet.

Gute Bildung reicht nicht

Doch zeigt die Studie von Graf und Soran, dass guter Biologieunterricht nicht alles ist: Bessere Kenntnisse zu Evolutionsmechanismen gehen in Deutschland wenig, in der Türkei gar nicht mit einer größeren Zustimmung zu Darwins Theorie einher.

Hingegen stellte sich heraus, dass vor allem diejenigen, die allgemein eine positive Einstellung zur Wissenschaft äußern, die Evolutionstheorie anerkennen. Starke Religiosität, gleich ob christlich oder islamisch geprägt, ist hingegen eher mit Ablehnung der Evolutionstheorie verbunden.

Trotz aller Besorgnis will Dittmar Graf nicht von einer dramatischen Zunahme des Kreationismus in Europa sprechen. "Dazu gibt es keine Daten", sagt er. Derartige Überzeugungen habe es auch hier immer gegeben. "Doch treten sie heute stärker in Erscheinung, beispielsweise durch das Internet." Ob die Zahl der überzeugten Kreationisten zunimmt, sei nicht sicher. "Aber es gibt bei immer mehr Menschen eine große Verunsicherung."

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