Serie 200 Jahre Darwin (6):Darwins schwieriges Erbe

Charles Darwin hat uns ein schwieriges Erbe hinterlassen. Doch gerade in Darwins Denken liegt auch der Weg, um den neodarwinistischen Abgrund zu umgehen.

Matthias Drobinski

Survival of the fittest - der Beste überlebt. 1858 erhielt Charles Darwin das Manuskript des 35-jährigen Forschungsreisenden Alfred Russel Wallace. Der schrieb, Pflanzen und Tiere hätten sich in einem Ausleseprozess entwickelt. Darwin erschrak: An dieser These arbeitete er im Stillen seit zwanzig Jahren. Und er handelte.

Serie 200 Jahre Darwin (6): Darwin hat das Denken der Menschheit verändert wie Isaac Newton und Albert Einstein.

Darwin hat das Denken der Menschheit verändert wie Isaac Newton und Albert Einstein.

(Foto: Foto: The Complete Work of Charles Darwin online)

Einflussreiche Freunde sorgten dafür, dass Wallaces Aufsatz und ein hastig geschriebener Text Darwins vor der Londoner Linnean Society gemeinsam vorgelesen wurden. Eineinhalb Jahre später veröffentlichte der bekannte Privatgelehrte dann sein Buch über die Entstehung der Arten und schrieb Wissenschaftsgeschichte. Der Bessere überlebt: Danke, Darwin! So singt der Chor dem Forscher zum 200. Geburtstag.

Danke, Darwin. Er hat das Denken der Menschheit verändert wie Isaac Newton und Albert Einstein. Die Natur braucht keinen Uhrmachergott, sie entwickelt sich im Kampf ums Dasein, im Werden und Vergehen. Die Kirchen hat das empört: Wie konnte der Mensch, das Ebenbild Gottes, mit den Affen gemeinsame Vorfahren haben?

Evolutionstheorie und Glaube haben dann einen brüchigen Frieden geschlossen; die Theorie des Agnostikers Darwin ließ ja offen, ob am Anfang des Lebens der Zufall oder ein Schöpfer steht. Brüchig ist der Frieden geblieben, weil es Evolutionsbiologen gibt, die ihre Wissenschaft an die Stelle des Glaubens setzen wollen.

Und weil es Kreationisten gibt, die ihr wörtliches Bibelverständnis an die Stelle der Wissenschaft setzen. Doch die wirklich spannende Auseinandersetzung um Darwins schwieriges Erbe findet woanders statt.

Alles ist Augenblickszustand und Momentaufnahme

Denn in doppelter Hinsicht ist das Erbe des genialen Naturforschers schwierig. Er hat das Bild einer aufs Gute hin wohlgeordneten Welt zerstört. Und seine Hypothesen tragen in sich die Anlage, von der Naturtheorie zur biologistischen Sozialphilosophie zu mutieren.

Denn nichts ist wesentlich in dieser Evolution, alles ist Augenblickszustand und Momentaufnahme; ewige Glaubensaussagen sind so relativ wie alle anderen Grundannahmen über das Leben.

Darwin zerstörte die antike und mittelalterliche Vorstellung vom Kosmos, wonach die Welt ein harmonisch geordnetes Ganzes ist, in Schönheit auf das Gute hin ausgerichtet. Seine Welt ist ein Überlebenskampf, dieser Kampf ist weder gut noch böse, sondern erfolgreich oder nicht. Das Individuum verliert darin an Wert: Es ist Teil eines kollektiven Entwicklungs- und Anpassungsprozesses.

Charles Darwin hat seine Thesen nicht explizit auf den Menschen übertragen. Die Idee des Kampfes ums Überleben hat er aber der Sozialphilosophie des Thomas Malthus entnommen: Die Menschheit werde sich stärker vermehren als die Nahrungsmittelproduktion, also werde es einen Kampf um die knappen Ressourcen und damit ums Überleben geben, den die Starken gewinnen.

Es ist nur ein kleiner Schritt von Darwins Denken zum Darwinismus. Ein kleiner Schritt, der gefährlich geblieben ist, auch wenn der darwinistisch inspirierte Rassismus intellektuell diskreditiert ist.

Er ist gefährlich geblieben, weil er heute in einem anderen Gewand daherkommt, feiner, auf den ersten Blick logisch und wissenschaftlich begründet. Gene und Genpools stehen im Wettstreit miteinander, sie verändern sich schneller als bislang angenommen - dafür gibt es in der Forschung Beweise und Hinweise.

Was heißt das? Dass Europäer und Nordamerikaner sich zu aus evolutionsbiologischer Sicht besseren Menschen entwickeln, weil sich ihre Gene besonders schnell ändern? Mit einer zur Sozialphilosophie mutierten Evolutionsbiologie lässt sich viel begründen: Warum Frauen zurück an den Herd und behinderte Kinder nicht geboren werden sollen, warum die höhere Fruchtbarkeitsrate bei Migrantenfamilien schlimm ist, warum es keinen freien Willen gibt, sondern chemische Reaktionen und Hormonausschüttungen in Hirn und Körper.

Die Zeit ist günstig für solche Überlegungen im Darwin-Jahr 2009. Der Glaube der 70er Jahre ist zerbrochen, dass die Umwelt den Menschen prägt, die richtige Erziehung, die gesellschaftliche Großwetterlage.

Die Wirtschaftskrise wie der Klimawandel machen Malthus' Vorstellung vom Kampf um die knappen Ressourcen populär. Der moderne Darwinismus lebt von einer kollektiven Todesangst: Dass die Art, der Mensch, die eigene Gemeinschaft sich als zu schwach im Überlebenskampf erweist.

Er hat ein schwieriges Erbe hinterlassen, der geniale Naturforscher Darwin, vielleicht, weil geniales Denken immer auch Abgründe offenbart. Dabei liegt in Darwins Denken auch der Weg, um den neodarwinistischen Abgrund zu umgehen. Survival of the fittest bedeutet schlicht: Es siegt, wer gewonnen hat.

Das erlaubt die Erforschung der Vergangenheit, nicht die Vorhersage der Zukunft. Was das Beste für die merkwürdige Spezies Mensch ist, weiß niemand der Artgenossen und Teilnehmer an der Evolution.

Vielleicht überlebt diese Spezies ja gerade dann, wenn sie ihre eigene Kultur schafft, wenn sie Nächstenliebe übt und Gerechtigkeit anstrebt, wenn sie das Schwache schützt und nicht ausmerzt.

Auch das liegt in Darwins Denken. So gesehen: danke, Darwin. Im Wissen, dass es zum Abgrund nicht weit ist.

Charles Darwin im Netz: The Complete Work of Charles Darwin online Das Darwin-Jahr

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