Erde extrem:Der windige Berg

Die Windgeschwindigkeit ist nirgendwo höher als im Jetstream der Atmosphäre. Aber aber auch in Bodennähe kann es sehr, sehr stürmisch zugehen.

Markus C. Schulte von Drach

Schlechtes Wetter war für die Meteorologen, die in der Wetterstation im April 1934 Dienst taten, nichts Neues. Im Gegenteil. Auf ihrem Berg herrschten ständig Verhältnisse, die an die Antarktis erinnerten. Und Salvatore Pagliuca, Alex McKenzie und Wendell Stephenson hatten immerhin bereits den zweiten Winter auf dem Mount Washington in New Hampshire, USA, verbracht - in einer Kälte, die bereits mehr als 100 Todesopfer gefordert hatte.

Erde extrem: Raueis überzieht die Wetterstation auf dem Mount Washington in New Hampshire, USA.

Raueis überzieht die Wetterstation auf dem Mount Washington in New Hampshire, USA.

(Foto: Foto: Michael Davidson, gemäß GNU-Lizenz für freie Dokumentation)

Nun war der Frühling da und versprach den Wissenschaftlern auf dem 1917 Meter hohen Gipfel in den White Mountains zwar nicht gerade Wärme, aber etwas mildere Temperaturen und vor allem: weniger Wind. Doch es sollte anders kommen.

Wie McKenzie in seinem Buch "The Way It Was" später erzählte, begann der 11. April mit einem wunderbaren Sonnenaufgang über dem Atlantischen Ozean. Doch dann zog sich der Himmel zu, gegen Nachmittag kam Nebel auf und packte die Station in eine dicke Schicht Raueis ein. "Die Beobachtungskatzen drängten sich am Nachmittag alle um den Kohleofen", berichtete McKenzie. Die Tiere gehörten damals wie heute gewissermaßen zum Inventar der Station.

Der Luftdruck fiel und der Wind blies immer stärker. Dass die Geschwindigkeiten schließlich das Niveau eines Hurrikanes erreichten, regte die Meteorologen noch nicht weiter auf. Erst als Stephenson am nächsten Morgen, dem 12. April, um vier Uhr aufwachte, bemerkte er, dass draußen ein besonders starker Sturm herrschte.

"The Way it was"

Das Gerät zum Aufzeichnen der Windgeschwindigkeit zeigte etwa 170 Kilometer pro Stunde - was Stephenson zu niedrig vorkam. Offensichtlich war das Gerät eingefroren. Der Wissenschaftler verließ die Station, kletterte mühsam zum sogenannten Anemometer auf dem Dach hinauf und befreite das Messgerät vom Eis.

Erde extrem: Mit diesen Instrumenten zeichneten die Wissenschaftler 1934 den Rekordwert auf.

Mit diesen Instrumenten zeichneten die Wissenschaftler 1934 den Rekordwert auf.

(Foto: Foto: Mount Washington Observatory)

Zurück in der Station überprüfte er erneut die Windgeschwindigkeiten. Nun zeigte das Gerät bereits 241 Kilometer pro Stunde an. Das Hochdruckgebiet über dem Atlantik und der Sturm über den Großen Seen führten offenbar zu einem außergewöhnlich starken Südostwind.

Nun waren alle in der Station hellwach. "Ich ließ alles stehen und liegen und konzentrierte mich auf die Beobachtungen", schrieb Pagliuca ins Logbuch der Station. "Es war wie bei einem Angriff im Krieg: Jeder wurde 'mobilisiert' und bekam eine Aufgabe. Die Instrumente wurden pausenlos beobachtet, so dass die verschiedenen meteorologischen Werte kontinuierlich und genau festgehalten wurden. Insbesondere der Anemometer wurde im Auge behalten."

372 Kilometer pro Stunde

Erde extrem: Der Mount Washington vom All aus gesehen.

Der Mount Washington vom All aus gesehen.

(Foto: Foto: Google Earth)

Das Gerät zeigte nun ständig Werte von mehr als 350 Kilometern pro Stunde an, hin und wieder kam es zu Böen mit einer Geschwindigkeit von 368 Kilometern pro Stunde.

Um 13.21 Uhr war es dann soweit. Der Rotor des "Number 2 Heated Anemometer", speziell vom MIT in Boston für den Mount Washington entwickelt, drehte sich so schnell wie nie zuvor: Die Windgeschwindkeit stieg auf 372 Kilometer pro Stunde - die höchste jemals physikalisch in Bodennähe gemessene Windgeschwindigkeit.

Pagliuca machte sich Sorgen, ob die Welt die Daten glauben würde und überprüfte alle möglichen Fehlerquellen. Aber er fand keine. Um sicher zu gehen wurde das Anemometer später noch zweimal getestet, mit dem Ergebnis, dass es eher zu niedrige Geschwindigkeiten anzeigte als zu hohe.

Im 1997 versuchten Meteorologen der Andersen Air Force Base auf der Pazifikinsel Guam, den Rekord anzufechten. Sie meldeten während des Taifuns Paka am 16. Dezember des Jahres eine Geschwindigkeit in Bodennähe von fast 380 Kilometern pro Stunde. Doch eine genaue Untersuchung durch mehrere Fachleute konnte den Wert nicht bestätigen.

Somit hält der Mount Washington, der in der Sprache der Ureinwohner Agiocochook ("Heimat des Großen Geistes") heißt, den Rekord bis heute.

Höhere Geschwindigkeiten in der Atmosphäre

Erde extrem: Die Wetterbeobachtungsstation auf dem Gipfel des Mount Washington.

Die Wetterbeobachtungsstation auf dem Gipfel des Mount Washington.

(Foto: Foto: wwoods, gemäß GNU-Lizenz für freie Dokumentation)

Höhere Windgeschwindigkeiten werden allerdings durchaus gemessen - doch diese betreffen Luftbewegungen in größerer Höhe. Je größer die Entfernung von der Erdoberfläche, desto höher die Geschwindigkeit. In zehn bis zwanzig Kilometern Abstand zum Erdboden etwa gibt es den sogenannten Jetstream, wo Windgeschwindigkeiten von bis zu 650 Kilometer pro Stunde gemessen wurden.

Geschwindigkeiten an der 500 km/h-Grenze werden auch in einigen hundert Metern Höhe über dem Boden in Wirbelstürmen beobachtet. So konnte mit Hilfe eines Doppler-Radars bei einem Tornado über Oklahoma, USA, 1999 eine Geschwindigkeit von 486 Kilometer pro Stunde beobachtet werden. Bei Tornados - auch Twister, Wind- oder Wasserhosen genannt - handelt es sich um kleinräumige Luftwirbel, die sich durchgehend vom Boden bis zur Wolkenuntergrenze erstrecken.

Hurrikane, Taifune und Zyklone, die großen tropischen Wirbelstürme im Atlantik, Pazifik, Indischen Ozean und insbesondere im Golf von Bengalen, sind offenbar etwas langsamer. Die bislang höchsten gemessenen Geschwindigkeiten liegen zwischen 300 und 400 Kilometern pro Stunde.

Dass die Geschwindigkeit der Wirbelstürme nicht unbedingt etwas über den Schaden sagt, den sie anrichten können, zeigt das Beispiel des Zyklons Nargis.

Dem Indischen Büro für Meteorologie in Neu-Delhi zufolge erreichte der Sturm auf dem Höhepunkt eine Spitzengeschwindigkeit von 165 Kilometern pro Stunde, das Joint Typhoon Warning Center der amerikanischen Streitkräfte auf Hawaii berichtete von einer kurzen Böe mit einer Geschwindigkeit von "nur" 215 Kilometern pro Stunde. Trotzdem richtete der Sturm immensen Schaden in Birma an.

543 Tornados in einem Monat

Erde extrem: Die globale Verteilung der mittleren Windgeschwindigkeiten.

Die globale Verteilung der mittleren Windgeschwindigkeiten.

(Foto: Grafik: Nasa)

Anspruch auf die windigste Gegend der Erde könnten auch Nebraska, Kansas, Oklahoma, Texas und andere im mittleren Westen Nordamerikas gelegene US-Bundesstaaten erheben, die zur sogenannten Tornado-Allee gehören. Mehrere hundert bis eintausend dieser Wirbelstürme fegen dort jedes Jahr über das Land und fordern etliche Menschenleben.

Zusammen mit einigen im Osten gelegenen Bundesstaaten brachten es diese im Mai 2003 auf einen Rekord: Innerhalb des Monats traten 543 Tornados auf - die größte Häufung von Wirbelstürmen überhaupt seit dem Beginn der Messungen 1950.

Und in dreizehn zentral gelegenen US-Bundesstaaten kam es am 3. bis 4. April 1974 zu 148 Tornados innerhalb von 24 Stunden.

In Deutschland treten pro Jahr ebenfalls zwischen zehn bis einhundert Tornados auf - jedoch handelt es sich dabei meist um weniger starke Wirbelstürme. Mehr Aufsehen erregen deshalb Orkane wie Wiebke 1990, Lothar 1999, Kyrill im Januar 2007 und Emma im März 2008. Die größten Windgeschwindkeiten liegen dabei meist um 200 Kilometer pro Stunde.

Die höchste Windgeschwindigkeit in Deutschland überhaupt wurde laut Deutschem Wetterdienst am 12. Juni 1985 auf der Zugspitze gemessen wurde: immerhin 335 Kilometer pro Stunde.

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