Archäologie:Ohne das Formular gäbe es keine Schrift

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Oft gehasst, aber für die Entwicklung der Menschheit unverzichtbar: das Formular (Foto: N/A)

Mit den ersten Schriftzeichen füllten Menschen Formulare für Bier und Schafe aus. Die Bürokratie wurde zum Entwicklungsschub für die Menschheit.

Von Hubert Filser

Dass die Schrift eine der bedeutendsten Erfindungen der Menschheitsgeschichte ist, gilt als unstrittig. Doch der Aufstieg der Schriftkultur begann nicht etwa mit literarischen Texten oder wichtigen Gesetzen, sondern mit etwas, von dem sich heute viele wünschen, es wäre nie erfunden worden: dem Formular. Nicht etwa die Worte der Götter, die Geschichten oder Befehle ihrer Anführer hielten die Menschen mit den ersten Schriftzeichen fest. Sie erfanden die ersten Symbole, um damit Waren zu verwalten und den Handel zu vereinfachen.

Die ersten Formulare hatten die Größe einer EC-Karte. Auf einem der frühesten erhaltenen Exemplare drückte beispielsweise ein Beamter aus der Stadt Uruk (das heutige Warka im Irak) vor 5200 Jahren seitlich vier Kerben ein und ritzte mit einem spitzen Stift auf die Vorderseite einen auf der Seite liegenden Krug und einen Kreis mit einem Kreuz darin. Vier Bier, vier Schafe notierte er so in einem Zeichensystem, das als unmittelbarer Vorläufer der Keilschrift gilt. Die Beamten nutzten für ihre Formulare aus Lehm gefertigte Täfelchen.

Der Ursprung der Bürokratie liegt also quasi in den lehmigen Böden der Flüsse Euphrat und Tigris, im Süden des heutigen Irak. Forscher vermuten, dass die Gesellschaft in Uruk oder Ur, den ersten Megacities der Menschheitsgeschichte, so komplex geworden war, dass das Gedächtnis der Verwalter nicht mehr reichte, um den Lauf der Dinge zu organisieren. Vor allem Besitz und Waren galt es zu dokumentieren, die Beamten mussten sich Notizen machen. Handel und Handwerk erlebten eine erste Blüte.

Excel-Tabellen aus Ton

Die Verwalter teilten alles in Tabellen und Listen ein, wie in Excel-Tabellen aus Ton. Anfangs schrieben sie vorwiegend Wortlisten mit Mengenbezeichnungen dahinter. Im Lauf der Zeit erfanden sie genauere Begriffe, für verschiedene Getreidesorten etwa, für Waren wie Textilien, Tiere oder Bier, aber auch für Bäume, die man als wichtige Holzlieferanten zum Bau von Gebäuden nutzte. Sie begannen, Aussaat und Ernte zu planen und die Handelsbeziehungen mit anderen Städten zu organisieren. Über alles führten die Beamten auf ihren Tonformularen Buch.

Damit war aber nicht nur die Bürokratie erfunden. Die Erfindung zeigt auch, dass die Menschen damals offenbar in der Lage waren, kompliziertere Vorgänge zu strukturieren. Bei allem Stöhnen über Bürokratie heute sollte man nicht vergessen, dass das Beamtentum der Motor hinter der so wichtigen Schriftentwicklung war. Die Menschen entwarfen immer differenziertere Zeichen und schließlich sogar ein Ordnungssystem, das Alphabet.

Mit der Schrift kam ein Entwicklungsschub für die Menschheit. Die ersten Bibliotheken entstanden, Wissen wanderte über die Kontinente. Am Ende des Mittelalters entwarf der deutsche Goldschmied Johannes Gutenberg ein neues mechanisches Verfahren, um Texte schnell zu vervielfältigen. Der Buchdruck läutete ein neues Zeitalter ein, das Buch wurde zum ersten Massenprodukt. Für all das war das Formular die Initialzündung.

© SZ vom 25.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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