Seltene Krankheiten:Korrektur im Erbgut soll seltene Erkrankung stoppen

Seltene Krankheiten: Eine Familie im Kinderkrankenhaus in Boston, deren Söhne (vorne) unter Adrenoleukodystrophie leiden.

Eine Familie im Kinderkrankenhaus in Boston, deren Söhne (vorne) unter Adrenoleukodystrophie leiden.

(Foto: Katherine C. Cohen/AP)

Heilen kann man die seltene genetische Erkrankung Adrenoleukodystrophie bis jetzt nicht. Doch Forscher können das Leiden der Betroffenen inzwischen womöglich stoppen - mithilfe einer neuen Gentherapie.

Von Kathrin Zinkant

Der Verfall begann plötzlich. Erst kamen die Ausraster, dann die Ausfälle. Schließlich die fatale Diagnose. Zwei Jahre sollte der Sechsjährige noch zu leben haben, mehr wussten die Ärzte nicht zu sagen. Doch der Vater gab nicht auf. Er kämpfte für eine Behandlung mit speziellen Ölen, die niemanden interessierte und die sehr wahrscheinlich auch gar nicht half. Lorenzo Odone wurde entgegen der Prognose 30 Jahre alt.

Die Geschichte von "Lorenzos Öl" wurde verfilmt und warf ein Schlaglicht nicht nur auf die Verzweiflung der Eltern. Sondern auch auf die Schwierigkeit, Therapien für seltene genetische Erkrankungen wie die Adrenoleukodystrophie zu finden - jene Erkrankung, unter der Lorenzo litt, und die einen von 20 000 Jungen trifft, also wirklich selten ist.

Vielleicht jedoch bietet die Gentherapie für die erblichen "orphan diseases", Waisenkrankheiten, einen Ausweg: Im New England Journal of Medicine berichtet ein amerikanisch-französisches Ärzteteam nun von einer solchen Therapie, die das Leiden nach ersten Einschätzungen aufhalten kann. Die Forscher hatten in einer kombinierten Phase-2/3-Studie 17 Jungen in einem frühen Stadium der Erkrankung mit Blutstammzellen aus ihrem eigenen Körper behandelt. Dazu wurde den Kindern Knochenmark entnommen, der Erbdefekt in den Zellen mithilfe einer Genfähre korrigiert und die Zellen wieder zurückgeführt. Zwei Jahre später war bei 15 der 17 jungen Patienten keine Verschlechterung ihres Zustandes zu beobachten. Und das bei einem Leiden, das normalerweise binnen weniger Jahre zum Tode führt.

Ob die Wirkung von Dauer ist und welche Nebenwirkungen erst spät auftreten, ist noch unbekannt

Ob die Effekte von Dauer sind, ist bislang nicht sicher. Auch über erst langfristig auftretende Nebenwirkungen wissen die Ärzte noch nicht genug. Aber es wäre insbesondere für Kinder mit einer frühen Diagnose ein Hoffnungsschimmer. Die Krankheit betrifft fast ausschließlich Jungen. Grund dafür ist, dass das defekte Gen auf einem der zwei Geschlechtschromosomen liegt, dem X-Chromosom. Weil Frauen im Gegensatz zu Männern ein zweites X-Chromosom und damit eine gesunde Kopie des Gens besitzen, erkranken sie fast nie. Sie geben die krankmachende Version des Gens aber weiter.

Liegt nur eine defekte Kopie des Gens vor, wird der Lipid-Stoffwechsel derart gestört, dass sich in allen Geweben des Körpers extrem langkettige Fettsäuren anreichern. Die Ablagerungen führen zu Funktionsstörungen der Nebenniere und zerstören die aus Fetten bestehende Isolierung der Nervenzellen in Rückenmark und Gehirn. Die Folgen können zu unterschiedlichen Zeitpunkten sichtbar und verschieden stark ausgeprägt sein. Ein Drittel der betroffenen Jungen erkrankt zwischen dem vierten und zehnten Lebensjahr und entwickelt extrem schnell Verhaltensauffälligkeiten, Lähmungen und die Symptome einer schweren Demenz, dann folgt der Tod. Lediglich eine Transplantation von Knochenmark zeigt bei einigen Patienten Wirkung, allerdings ist sie auch nicht für alle Jungen mit ALD möglich.

So hartnäckig, wie Lorenzo Odones Vater für die mutmaßlich wirkungslose Öl-Kur kämpfte, so bedacht haben die Forscher das Ziel ihrer Gentherapie mit Patienteneigenen Zellen verfolgt. Erste Studien hatten bereits vor zehn Jahren nahegelegt, dass die Therapie effektiv sein könnte. Allerdings hat die Gentherapie in den vergangenen zwei Jahrzehnten zahlreiche Rückschläge erfahren, es kam zu Todesfällen und Leukämien. Nach diesen bitteren Lehren stehen heute allerdings neue, weniger riskante Genfähren und Verfahren zur Verfügung. Sie könnten noch zahlreichen Menschen mit seltenen Erkrankungen Hoffnung schenken.

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