Selbstheilung bei Tieren:Der Falter als Apotheker

Selbstheilung bei Tieren: Monarchfalter schützen ihren Nachwuchs mit speziellen Substanzen vor Parasiten. Auch viele andere Tiere haben ein ausgeprägtes Gesundheitsbewusstsein.

Monarchfalter schützen ihren Nachwuchs mit speziellen Substanzen vor Parasiten. Auch viele andere Tiere haben ein ausgeprägtes Gesundheitsbewusstsein.

(Foto: AFP)

Was machen Fliegen, Falter, Finken und andere Tiere, wenn sie krank sind? Sie behandeln sich selbst mit Alkohol, Medizin aus Blättern - oder auch mit Zigarettenkippen.

Von Katrin Blawat

Ausgerechnet Kippen. Dass die Tabakreste nicht gesund sind, wissen auch Spatzen und Finken. Deshalb lassen sie die Dinger normalerweise links liegen, wenn sie Baumaterial für ihre Nester suchen. Warum aber entdeckten dann Monserrat Suárez-Rodríguez und ihre Forscherkollegen trotzdem immer wieder mal Kippen in Vogelnestern auf dem Campus der Universität in Mexiko-Stadt?

Noch bizarrer wurde es, als die Biologen bemerkten, dass in den Nikotin-verseuchten Nestern etwas anderes fehlte: Parasiten. Aus ihren Beobachtungen entwickelten die Forscher eine Hypothese. Holen sich die Vögel vielleicht absichtlich Zigarettenreste in ihre Nester, um sich mit Hilfe des Nikotins schädliche Milben vom Leib zu halten?

Fest steht, dass die Substanz Parasiten fern halten kann. Die Forscher stellten beheizte Fallen auf, deren Wärme die Milben anzieht. Waren die Fallen zusätzlich voller Nikotin, ließ sich jedoch kaum ein Parasit blicken. Dazu passte, dass die Forscher umso weniger Milben in den Vogelnestern fanden, je mehr Nikotin diese enthielten. Zigarettenkippen, so folgerten die Forscher, sind für Vögel also nicht nur giftig - sondern manchmal auch eine wirksame Parasiten-Prophylaxe.

Spatz und Fink als Selbstheiler? Tatsächlich sind Vögel nicht die einzigen Tiere, die die Kunst der Selbstmedikation beherrschen. In der Fachzeitschrift Science präsentierten Biologen um Jacobus de Roode von der Emory University kürzlich eine lange Liste von Tieren, die sich mit Biopharmaka gegen Parasiten zu wehren wissen.

Am längsten bekannt sind Anekdoten und Berichte über Säugetiere mit Medizinkenntnissen. So kursieren Geschichten über Elefanten, die vermutlich wissen, welche Pflanzen sie fressen müssen, um Schmerzen zu lindern. Tiger, Bären und Schakale sollen Berichten zufolge Parasiten mit Hilfe bestimmter Früchte bekämpfen, und das Sumatra-Nashorn frisst womöglich eigens aus diesem Grund Pflanzenrinde, die extrem reich an Tannin ist. Grummelt einem Hund der Magen, frisst er ausnahmsweise Gras. Und Schimpansen zermalmen Blätter ohne jeden Nährwert, um aus ihnen Parasiten-feindliche Stoffe freizusetzen.

Schon Larven beherrschen die Selbstmedikation

Zumindest unter den großen Säugetieren ist die Eigentherapie also offenbar weit verbreitet. Doch um ehrlich zu sein: Wirklich überraschend ist das nicht. Wer wie Schimpansen in der Lage ist, sich mittels menschlicher Gebärdensprache zu unterhalten oder wie ein Hund den Unterschied zwischen "Sitz!" und "Platz!" zu begreifen, dem ist wohl auch zuzutrauen, sich im medizinischen Notfall selbst zu helfen.

Verblüffender sind solche Beobachtungen bei Insekten. Auch sie beherrschen Selbstmedikation - und das zum Teil sogar schon im Larvenstadium. Michael Singer von der Wesleyan University in Connecticut hält es deshalb nicht für gerechtfertigt, die Selbstmedikation ausschließlich Tieren mit höheren kognitiven Fähigkeiten zuzutrauen. Der Biologe kennt sich bestens aus mit dem Gesundheitsverhalten von Raupen. Wie alle anderen Selbsthelfer auch, müssen diese genau aufpassen, sich keine Überdosis zu verpassen. Denn wie Nikotin sind viele der Therapien eigentlich toxisch. Viel hilft nicht unbedingt viel - auch für Raupen ist das ein überlebenswichtiger Grundsatz.

So kann eine unsachgemäß angewandte Therapie, nicht anders als bei den Tabletten der Pharmaindustrie, schlimme Nebenwirkungen haben. Mitunter sogar tödliche, wie das Beispiel der Bärenspinner-Raupen zeigt. Diese Raupen müssen sich häufig mit parasitären Fliegen herumschlagen, die ihre Eier in die Raupen legen, wo sich dann die Fliegenlarven entwickeln. Die Raupen versuchen sich dagegen mit Substanzen aus Greiskräutern zu schützen, sogenannten Alkaloiden.

In Michael Singers Studie steigerten die Alkaloide die Überlebensraten von befallenen Raupen um 17 Prozent. Nahmen jedoch gesunde Raupen ohne Parasiten zu viel der Greiskraut-Alkaloide zu sich, erhöhte das im Gegenteil deren Sterberate um 16 Prozent. Was lehrt dieses Beispiel? Medizin nehmen sollte nur, wer sie auch wirklich benötigt - allen anderen kann die Therapie eher schaden als nützen.

Nicht nur wenn sie selbst krank sind, machen sich Tiere die Gifte der Natur zu Nutze. Bienen, Schmetterlinge und Fliegen: Sie alle behandeln auch ihre Nachkommen. Sind diese noch zu klein, um sich selbst zu helfen, übernehmen die Eltern oder andere erwachsene Artgenossen die medizinische Versorgung. Eine solche benötigen zum Beispiel die Larven der Honigbiene, um sich gegen den Erreger der Kalkbrut zu wehren. Gegen den krankmachenden Pilz helfen Resine, das sind aus Naturharzen gewonnene Stoffe. Erwachsene Bienen sammeln auf ihren Ausflügen mehr Resine, wenn die Larven daheim im Stock unter Kalkbrut leiden, haben Michele Simone-Finstrom von der North Carolina State University und Marla Spivak im vergangenen Jahr gezeigt.

Machen sich kranke Artgenossen durch ihren Geruch bemerkbar?

Dabei müssen die erwachsenen Insekten abwägen: Sollen sie ihre Zeit und Energie auf das Sammeln von Futter oder von Medizin verwenden? Resine machen zwar nicht satt. Doch sie tragen dazu bei, dass das Immunsystem einzelner Tiere nicht permanent auf Hochtouren laufen muss - ein Zustand, der Bienen auf Dauer ebenso schwächt wie Menschen. Und da die Bienen einer Kolonie stark aufeinander angewiesen sind, hilft die medizinische Versorgung der Jungen durch die alten Mitglieder der gesamten Kolonie.

Der Schutz des Nachwuchses lässt auch Schmetterlinge und Fliegen auf Medizin zurückgreifen. Monarchfalter zum Beispiel legen ihre Eier bevorzugt auf eigentlich giftigen Pflanzen ab, um Parasiten und damit die Krankheiten ihrer Nachkommen einzudämmen. Die Gifte wirken nur prophylaktisch - haben sich die Schmetterlinge erst einmal infiziert, können sie sich nicht mehr kurieren.

Taufliegen dagegen vertrauen auf Alkohol als Medizin, um den Nachwuchs zu schützen. Wissen sich die Fliegen von parasitären Wespen umgeben, legen sie ihre Eier bevorzugt an Orten mit höherem Alkoholgehalt ab.

Wie aber erkennen Bienen, Falter und Fliegen, dass ihr Nachwuchs einer Parasiten-Prophylaxe bedarf? Im Fall der Fliegen konnten Experimente die Frage klären: Die Tiere richten sich danach, ob sie die Parasiten sehen. Andere Sinneswahrnehmungen wie Gerüche scheinen keine Rolle zu spielen. Anders ist es möglicherweise bei den Honigbienen. Deren Larven geben, wenn sie infiziert sind, chemische Substanzen von sich. Diese veranlassen erwachsene Artgenossen möglicherweise, die schützenden Resine zu sammeln.

Biologen kommen oft schnell auf die Frage, was aus evolutionärer Sicht hinter einem Verhalten stecken könnte. So auch bei der Selbstmedikation: Warum haben Insekten nicht einfach ein Immunsystem entwickelt, das auch ohne medikamentöse Hilfe mit verbreiteten Bedrohungen wie Parasiten fertig wird? So könnten sich die Tiere das mühevolle Sammeln der Medizin sparen und statt dessen mehr Futter heimbringen.

Doch offenbar lohnt sich diese Lösung nicht. Ein wirkungsvolles Immunsystem gegen alle möglichen Bedrohungen bereit zu halten, verlangt dem Körper viel ab - und braucht zudem einige Zeit in der Evolution, um sich zu entwickeln. So stellt die Medikation wohl trotz allen Aufwands die effizienteste Krankheitsabwehr dar.

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