Science Fiction:Naturgesetze für die Traumfabrik

Wenn sich Science und Fiction treffen: Damit Hollywoods Phantasien nicht ins Lächerliche abgleiten, holen sich Filmemacher Rat bei Wissenschaftlern. Und so wird eine Seegurke das Vorbild für den "Hulk".

Hubertus Breuer

In einem dunklen Loft im Fashion District von Los Angeles sitzt ein Ingenieur mit Spitzbart und geröteter Stirn im Lichtkegel einer Schreibtischlampe. Gerade hat er noch nachgedacht. Über globale Epidemien, tödliche Bakterien, Allergien - und Vampire.

Hulk

Seegurke als Vorbild: Der Unglaubliche Hulk

(Foto: Foto: ILM/Universal)

Er sucht eine plausible Antwort auf eine seltsame Frage: Wie könnte eine Seuche die Menschheit in blutrünstige Zombies verwandeln - und wie ließe sich eine solche Katastrophe überleben? Fachartikel, mit Leuchtstift markiert, liegen vor ihm.

Der Bildschirmschoner zeigt wuchernde Zellen. Es wirkt wie das Empfangszimmer des Dr. Mabuse. Doch John Underkoffler sehnt keine Apokalypse herbei. "Das ist mein neuestes Projekt", erzählt er. Er arbeitet als wissenschaftlicher Berater für den futuristischen Vampirfilm "I am Legend", der nächstes Jahr mit Will Smith in der Hauptrolle in die Kinos kommt.

Dümmster Physikfilm aller Zeiten

In Hollywood verlangen Filmemacher zunehmend, dass ihre Streifen dem Boden naturwissenschaftlicher Tatsachen nicht völlig entschweben.

Denn längst klopft die Internetgemeinde jeden wissenschaftlich grundierten Film gnadenlos ab und gibt ihm, falls nötig, dem Gespött der Weltöffentlichkeit preis. Der Katastrophenfilm "The Core" (2003), der vom Zusammenbruch des Erdmagnetfelds handelt, wird da weitgehend einhellig "zum dümmsten Physikfilm aller Zeiten" erklärt.

Die Geschichte basiert auf der Behauptung, ohne das Magnetfeld würde die Erde von massiver Mikrowellenstrahlung der Sonne gegart. Physiker haben davon indes noch nie gehört. Solche Patzer sind eine Gefahr fürs Geschäft und den Ruhm. Deshalb buchen Regisseure Naturwissenschaftler inzwischen gerne für eine Handvoll Dollar - oder mehr - für ihre Projekte.

Seit 2000 arbeitet John Underkoffler für die Traumfabrik. Damals lockte ihn ein Angebot von Steven Spielbergs Produktionsteam. Es hatte ihn auf der Suche nach futuristischen Technologien für "Minority Report" (2002) am Bostoner Massachusetts Institute of Technology entdeckt. Underkoffler beeindruckte mit einem Monitor, dessen Darstellungen er mittels Handgesten kommandierte.

Das führte im Film zu einem transparenten Bildschirm, auf dem Tom Cruise wie ein Dirigent Bilder arrangiert. Underkoffler erwies sich aber außerdem als wandelndes Kino- und Poplexikon. Als das Angebot Spielbergs kam, stieg er sofort ins Flugzeug. Die nächsten Monate half er, ein genaues Bild eines Überwachungsstaates im Jahr 2054 zu kreieren.

Naturgesetze für die Traumfabrik

Wenig später lud ihn Regisseur Ang Lee ein, bei "Hulk" (2003) nach dem Rechten zu sehen. Keine leichte Aufgabe. Underkoffler musste erklären, wie ein passionierter Forscher sich plötzlich in ein grünes cholerisches Monster verwandelt, das bevorzugt Panzer durch die Luft wirbelt. "Darüber habe ich ziemlich gebrütet", gesteht er ein. Denn bläht sich der Mensch zu einem Ungeheuer auf, müsste eigentlich sein Gewebe zerplatzen. Doch ein Unterwasserwesen bot die Lösung: die Seegurke.

Minority Report

Interaktive Bildschirme: Tim Cruise in "Minority Report".

(Foto: Foto: Twentieth Century Fox/Dreamworks Pictures)

Dieses Tier verfügt über sogenanntes mutierbares kollagenes Bindegewebe. Obwohl es in der Regel eher geleeartige Konsistenz hat, kann es in Sekundenschnelle seinen Körper versteifen. Gefunden, getan. In den ersten Filmsequenzen sieht man den verrückten Wissenschaftler David Banner, der Gene einer Seegurke in sein Erbgut schleust.

Als Banner einen Sohn zeugt, muss der mit den Folgen des Selbstversuchs leben. Starker Gammastrahlung ausgesetzt, mutiert er als Erwachsener zum Hulk. "In Wirklichkeit ginge das wohl nicht", räuspert sich Underkoffler. "Aber es ist vorstellbar, darauf kommt es an."

Selbst die Phantasiewelt hat Gesetze

Denn selbst die Phantasiewelt hat Gesetze, die befolgt werden sollten. Die Drehbuchautoren von "Raumschiff Enterprise" ("Star Trek") konsultierten stets ein technisches Handbuch, in denen die Gesetze und Technologien ihres Universums niedergelegt sind.

Etwa den "Warp-Drive", ohne den Captain Kirk nie besonders weit gekommen wäre, oder den "Subraum", der Echtzeitkommunikation über galaktische Langstrecken erlaubt.

Das trifft ebenfalls für die kürzlich wiederbelebte Serie "Battlestar Galactica" ("Kampfstern Galactica") zu. Sie erzählt, wie von Menschen geschaffene Roboter gegen ihre Schöpfer eine Revolte anzetteln und die Zwölf Kolonien von Kobol vernichten. Allein ein veralteter Kampfstern überlebt. Die Serie wurde 1978 aus der Taufe gehoben, in der Hauptrolle des Captain Adama Lorne Greene, aller Welt als Ben Cartwright aus "Bonanza" bekannt.

Damals, als Jugendlicher, sah auch Kevin Grazier zu, der heute als Planetologe am Jet Propulsion Laboratory der Nasa im kalifornischen Pasadena wirkt. Die meiste Zeit verbringt er mit der Cassini/Huygens-Mission zum Ringplaneten Saturn und seinem Mond Titan. Als vor Jahren die Anfrage kam, ob er für die Neuauflage der Serie als Wissenschaftsberater tätig sein wolle, zögerte er nicht. Seit Februar laufen die Folgen auf RTL II.

"Schau ein Kasten TECH"

Äußerlich wirkt "Battlestar Galactica" technisch wenig aufwendig, doch das hat Methode. So hat Grazier bis heute verhindert, dass Laser statt ballistischer Geschosse eingesetzt werden. Grund: Laser seien zu kompliziert und ineffizient. Oft hilft er mit Details aus: Drehbuchautoren bitten ihn, Technikbegriffe einzufügen. Da hieß es kürzlich in einem Manuskript "Schau, ein Kasten TECH".

Grazier entschied, "25 optoelektronische Signalumwandler" in den Behälter zu packen. Oder er diskutiert mit einem Skriptschreiber den Unterschied zwischen einer Viper Mk. II und Mk. VII, Kampfjets der Galactica-Welt. "Für jemanden wie mich ist das der reinste Himmel", sagt Grazier. Kein Wunder: Er sah nicht nur die ursprüngliche Serie, als Kind verfolgte er Apollo-Missionen, die Mondlandung - und natürlich sah er "Star Trek".

Naturgesetze für die Traumfabrik

CSI: Miami

CSI: Miami - Authentische Spurensicherung.

(Foto: Foto: dpa)

Fachliche Expertise ist aber nicht nur für die Zukunft gefragt. Es gibt eine Serie, die modernste, echte Technologie zeigen will: die auch im deutschsprachigen Raum erfolgreiche Marke "CSI" ("Crime Scene Investigation").

Mit ihrem Anspruch an authentische Spurensicherung darf sie sich keinen Fehler erlauben. Ein Co-Produzent ist der Ingenieur Naren Shankar. Auch er ist, wie er eingesteht, ein Ziehkind Captain Kirks. "Ich hätte als kleiner Junge gerne einen Tricorder gehabt", erinnert er sich an ein wundersames Messgerät aus "Star Trek".

Da erscheint es nur konsequent, dass er nach einem Ingenieursstudium an der Cornell University seinen Weg nach Hollywood fand. Zunächst half er als Berater für "Star Trek: The next generation" aus. Später landete er bei "CSI". "Wir können es uns nicht leisten, neue Technik einfach zu erfinden", erklärt Shankar.

Der CSI-Effekt

Zwei Rechercheure überprüfen deshalb ständig in Absprache mit Experten, ob die forensischen Methoden in der Serie realistisch sind. Nur die Geschwindigkeit, mit der Untersuchungen zu Ergebnissen kommen, gibt Shankar freimütig zu, bilden die Realität nicht ab. Es dauere länger als ein paar Stunden, eine DNS-Probe zu analysieren. "Wir beugen uns dem Diktat des Fernsehformats."

Mit dem Erfolg kam die Kritik. Kenntnisreiche Zuschauer bemängelten einen 3D-Laserscanner, Modell DeltaSphere 3000, den "CSI: Las Vegas" nutzte, einen Tatort einzuscannen. Das Hightechgerät gehört bislang nicht zur Standardausrüstung forensischer Labors. Doch gibt es die Maschine. CSI-Mitarbeitern war sie auf einer Industrieausstellung aufgefallen.

Juristen wiederum werfen "CSI" vor, zu realistisch zu wirken. Gerüchten zufolge überzeugt die Serie manche Zuschauer so sehr, dass, kommen sie in Gerichtsverfahren als Laiengeschworene zum Einsatz, bestens aufgearbeitetes Beweismaterial erwarten. Das ist in den USA als "CSI-Effekt" bekannt.

Schweigen im Vakuum

Dass Filme die Sicht der Wirklichkeit verändern, ist ein Gemeinplatz. Doch eine Geschichte muss vor allem gut erzählt sein, um Zuschauer in ihren Bann zu schlagen. Deshalb stechen die Gesetze der Traumfabrik im Zweifelsfall den Expertenrat aus. "CSI" schummelt mit der Zeit. In "Battlestar Galactica" brummen Raumschiffe durchs Weltall, obwohl im Vakuum selbst bei Explosionen Schweigen herrscht. Und Tom Cruise benutzt in "Minority Report" transparente DVDs, die 2054 obsolet sein dürften, weil längst Datenspeicher mit höherer Kapazität und kleinerem Format existieren.

"Sehen gut aus, wurde mein Einwand abgewehrt", bemerkt Underkoffler, der dieses Detail gerne vergessen würde. Doch solange ein Film seine Welt eingängig präsentiert, mögen ein paar technische Fehler oder spekulative Hirngespinste nicht stören. Niemand weiß das besser als die Experten selbst. Sie sind mit "Star Trek", "2001: Odyssee im Weltraum" und den Zukunftsromanen Isaac Asimovs groß geworden. "Ohne all das", sinniert Underkoffler in seinem Denkerloft, "hätten sich viele von uns vielleicht nie den Naturwissenschaften zugewandt."

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