Schweinegrippe:Zu früh, zu unsicher, zu teuer?

22.000 Infektionen sind bislang in Deutschland nachgewiesen. Die Impfung gegen die Schweinegrippe startet bald, doch viele Fragen und Risiken sind ungeklärt.

Werner Bartens

Am 26. Oktober soll in Deutschland die Impfung gegen die so genannte Schweinegrippe beginnen. Bisher sind hierzulande 22.000 Infektionen mit dem neuen H1N1-Virus nachgewiesen, zwei Patienten mit Vorerkrankungen sind gestorben, in einem Fall gilt die Schweinegrippe als Todesursache.

Schweinegrippe, Impfung, dpa

Vor dem Start der Schweinegrippenimpfung gibt es noch viele offene Fragen.

(Foto: Foto: dpa)

Um die Massenimpfung ist allerdings Streit entbrannt. Kritiker halten sie für zu früh, zu unsicher, zu teuer. Politiker betonen, die Bevölkerung schützen zu müssen. In dieser Woche wurde bekannt, dass die Bundeswehr einen anderen Impfstoff bestellt hat als den, der für die Normalbevölkerung vorgesehen ist.

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Wie groß ist die Gefahr?

Wie gefährlich ist die Schweinegrippe in Deutschland derzeit?

Schweinegrippe, Impfung, dpa

Wie sicher ist der Impfstoff?

(Foto: Foto: dpa)

Das Robert-Koch-Institut stellt fest: "Die Erkrankung verläuft bislang zwar häufig mild, hat aber in vielen Staaten auch schon schwere Verläufe und Todesfälle verursacht, auch bei jungen und gesunden Menschen." "Die vorliegenden Daten zeigen, dass die Schweinegrippe deutlich milder verläuft als eine saisonale Influenza", schreibt der unabhängige Arzneimittelbrief. "Nach wie vor verläuft die Schweinegrippe in Deutschland milde", schreibt das pharmakritische arznei-telegramm.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, ob die Gefahr durch die Schweinegrippe womöglich unterschätzt wird.

Wird die Gefahr unterschätzt?

Wird die Gefahr durch die Schweinegrippe womöglich unterschätzt?

Vermutlich ist die Dunkelziffer hoch und in Deutschland haben sich mehr Menschen mit Schweinegrippe infiziert als die bisher registrierten 22000. Doch sollten sich zum Beispiel bereits 220000 Menschen angesteckt haben, würde das auch bedeuten, dass das Virus im Verhältnis zur Zahl der Infizierten noch seltener zum Tode führt als bisher angenommen.

Erfahren Sie auf den nächsten Seiten alles über den Impfstoff.

Welche Impfstoffe gibt es?

Welche Impfstoffe gibt es?

In den USA sind seit September vier Impfstoffe zugelassen, die in bebrüteten Hühnereiern produziert werden und keine Wirkverstärker (Adjuvantien) enthalten. Anfang Oktober wurde in den USA mit der Impfung begonnen. In Deutschland und Europa sind drei Impfstoffe zugelassen, die auf Hühnereibasis hergestellt werden und unterschiedliche Adjuvantien enthalten. Darunter ist Pandemrix der Firma GlaxoSmithKline (GSK), das den Wirkverstärker AS03 enthält, sowie Focetria von Novartis mit dem Wirkverstärker MF59. Die Bundeswehr hat einen vierten in Deutschland zugelassenen Impfstoff, Celvapan von der Firma Baxter, bestellt. Er ist auf Nierenzellen von Grünen Meerkatzen gezüchtet worden und enthält kein Adjuvans.

Warum werden Impfstoffen überhaupt Adjuvantien beigefügt?

Adjuvantien sind Hilfsstoffe, mit denen die Wirkung eines Impfstoffs verstärkt wird. Weil die Herstellung aus Hühnereiern langwierig ist und die Kapazitäten begrenzt sind, lassen sich durch die Zusatzstoffe aus der gleichen Menge Impfstoff viermal mehr Impfdosen herstellen. Um für den Pandemiefall schneller gerüstet zu sein, entschieden sich die Behörden für die Adjuvantien - der konventionelle saisonale Grippeimpfstoff kommt ohne solche Verstärker aus. Der für die Bundesländer bestellte Impfstoff Pandemrix von GSK enthält das wenig erprobte Adjuvans AS03. "Durch die Adjuvantien besteht aber zusätzlicher Schutz gegen veränderte Viren", sagt Susanne Stöcker vom Paul-Ehrlich-Institut (PEI), das für Impfungen zuständig ist.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie sicher der Impfstoff ist.

Wie sicher ist der Impfstoff?

Wie sicher ist der Impfstoff?

Am 24. September hat die europäische Zulassungsbehörde Emea Pandemrix und Focetria zugelassen, am 1. Oktober Celvapan. In der Begründung heißt es gleichlautend: Der Impfstoff "wurde unter ,außergewöhnlichen Umständen' zugelassen. Dies bedeutet, dass es bisher nicht möglich war, umfassende Informationen über den Pandemie-Impfstoff zu erlangen." Die Sicherheit werde aber gewährleistet, schreibt die Emea weiter, da die "Unternehmen während des Einsatzes des Impfstoffes Informationen über die Sicherheit sammeln".

Das ist ungewöhnlich - die Sicherheitsprüfung müsste eigentlich vor der Zulassung erfolgen. "Die neuen Impfstoffe sind potenziell gefährlicher als der saisonale Grippeimpfstoff, da die sonst üblichen Sicherheitsprüfungen übersprungen werden", schreibt der Arzneimittelbrief. Influenza-Experte Thomas Jefferson kritisierte die Impfkampagne als "Großversuch an der Bevölkerung" - eine Einschätzung, die der Arzneimittelbrief als "sehr zutreffend" bezeichnet. Aus bisherigen Studien mit Pandemrix ist bekannt, dass bei mehr als einem von zehn Geimpften Kopf- und Gelenkschmerz sowie Fieber und Mattigkeit vorkommen. "Das wird häufiger als bei der normalen Grippeimpfung sein, ist aber nicht gefährlich", sagt Susanne Stöcker.

Wie sicher sind die Adjuvantien?

Das Pandemrix beigefügte Adjuvans AS03 wurde bislang in keinem Impfstoff verwendet. Die Tests an 5000 Probanden haben keine Sicherheitsmängel gezeigt. Wird an so wenigen Freiwilligen getestet, bleiben aber seltene Nebenwirkungen unerkannt, die bei der Impfung von Millionen etliche Opfer fordern würden - ein Dilemma jeder Impfstofftestung.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was die Ständige Impfkommission empfohlen hat.

Empfehlungen der Impfkommission

Was hat die Ständige Impfkommission (Stiko) empfohlen?

Am 8. Oktober hat die Stiko die Impfung in folgender Reihenfolge empfohlen: 1.Beschäftigte in Gesundheits- und Wohlfahrtsberufen, 2. Personen ab einem Alter von 6 Monaten mit erhöhter gesundheitlicher Gefährdung, 3. Schwangere und Wöchnerinnen. Danach Kinder und Jugendliche und schließlich Erwachsene. Als ausreichend gilt eine Impfung.

Was ist bei der Impfung von Schwangeren und Kindern zu berücksichtigen?

Das weiß bisher niemand. Die Stiko will die Risiken vermindern und schreibt deshalb, dass sie "sich der komplexen Problematik der Impfung in der Schwangerschaft bewusst ist, daher sollten Schwangere bis zum Vorliegen weiterer Daten mit einem nicht-adjuvantierten Spalt-Impfstoff geimpft werden". Dieser Impfstoff ist aber noch nicht zugelassen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, ob die Impfkommission sich in ihrer Entscheidung sicher war.

War sich die Ständige Impfkommission in ihrer Entscheidung sicher?

War sich die Ständige Impfkommission (Stiko) in ihrer Entscheidung sicher?

Wohl kaum. Zur Begründung ihrer Impfempfehlung schreiben die Experten im Epidemiologischen Bulletin vom 12. Oktober: "Die begrenzte Datenlage lässt sich kurzfristig nicht verbessern und hat zur Folge, dass quantitative Grundlagen für die Entscheidungen nicht umfassend sind und dadurch subjektive Einschätzungen eine größere Rolle spielen und unvermeidlich sind."

Gelten Stiko und Emea als unabhängig?

Die Stiko ist am Robert-Koch-Institut angesiedelt und hat 16 Mitglieder. Die Mehrzahl von ihnen hat Gutachten für Pharmafirmen geschrieben oder Beraterhonorare erhalten. "Die Mehrzahl der Mitglieder hat mehr oder minder intensive Kontakte, darunter auch bezahlte Tätigkeiten, zu den wichtigsten Herstellern von Impfstoffen", beklagte Transparency International im September. "Angesichts einer hohen Verunsicherung über die Impfung, ist eine unabhängige Empfehlung von Spezialisten unabdingbar." Die europäische Zulassungsbehörde Emea wird von Transparency seit Jahren kritisiert, weil sie in der Europäischen Kommission der Generaldirektion Wirtschaft und nicht der Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz unterstellt ist und zu fast zwei Dritteln von der Pharmaindustrie finanziert wird.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Pandemrix ausgewählt wurde.

Warum fiel die Wahl auf Pandemrix?

Warum haben Länder und Gesundheitsministerium Pandemrix mit dem umstrittenen Adjuvans ausgewählt?

Susanne Stöcker vom Paul-Ehrlich-Institut lobt die schnelle Produktionsmöglichkeit im Pandemiefall und den Schutz gegen Virus-Varianten. Dem arzneitelegramm liegt ein Vertrag vor, den Länder und Gesundheitsministerium 2007 mit dem Impfstoffhersteller GSK geschlossen haben. Die Partner verpflichten sich darin zur Geheimhaltung. Die Details sehen vor, dass 1) eine Impfdosis sieben Euro kostet. Der eigentliche Impfstoff kostet nur einen Euro, das umstrittene Adjuvans hingegen sechs Euro. Impfstoff ohne Adjuvans wäre aber schon für vier Euro zu haben. Bei 50 Millionen bestellten Impfdosen beträgt der Unterschied 150 Millionen Euro. 2) Die Lieferbedingungen fehlen, die Rede ist von Bereitstellung "zur Abholung". Bei Impfseren muss die Kühlkette eingehalten werden. "Die Gefahr des zufälligen Untergangs und der zufälligen Verschlechterung des Pandemie-Impfstoffs geht auf die Länder über", heißt es in dem Vertrag. 3) "Die Länder stellen GSK gesamtschuldnerisch frei von Schadensersatzansprüchen."

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